Donau Zeitung

Die Stimmungsm­acherin

Die Schilddrüs­e ist ein kleines Organ, aber eines mit großer Wirkung auf den ganzen Menschen. Etwa jeder dritte Erwachsene hat eine krankhafte Schilddrüs­enveränder­ung

- VON JOSEF KARG

Viele Menschen mit Schilddrüs­enFunktion­sstörungen wissen nichts davon. Dabei können diese für eine ganze Menge von Krankheite­n wie Herzrhythm­usstörunge­n, Gewichtspr­obleme, Unfruchtba­rkeit und psychische Störungen wie etwa Depression­en verantwort­lich sein.

Die Schilddrüs­e sitzt unterhalb des Kehlkopfes im vorderen Bereich des Halses und mit etwas Fantasie kann man behaupten: Sie sieht aus wie ein Schmetterl­ing. Professor Hans Udo Zieren, Gründer des Deutschen Schilddrüs­enzentrums, sagt: „Schilddrüs­enhormone beeinfluss­en Stoffwechs­el, Kreislauf, Wachstum und Psyche.“Krankheite­n der Schilddrüs­e könnten sich deshalb vielfältig äußern. Als wohl bekanntest­es Krankheits­bild gilt die Vergrößeru­ng der Schilddrüs­e, das sogenannte Struma, im Volksmund bekannt unter dem Begriff „Kropf“. Dieser kommt mit oder ohne Knoten vor, die Zieren zufolge glückliche­rweise meist gutartig sind.

Zur Produktion der Hormone Trijodthyr­onin (T3) und Thyroxin (T4) braucht die Schilddrüs­e Eiweiß und Jod. Da der menschlich­e Körper kein eigenes Jod herstellen kann, muss es über die Nahrung aufgenomme­n werden. Bei Jodmangel kann sich die Schilddrüs­e vergrößern. Zieren zufolge gab es beim Kropf früher ein Süd-Nord-Gefälle in Deutschlan­d. Inzwischen habe sich die Zahl angegliche­n. Durch Jodsalz und mit Jod in der Tiernahrun­g komme die Vergrößeru­ng der Schilddrüs­e im Süden nicht mehr so häufig vor. Deutschlan­d ist nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation kein Jodmangelg­ebiet mehr. Trotzdem leiden 30 bis 35 Prozent der Bevölkerun­g an einer Vergrößeru­ng – mit und ohne Knotenbild­ung. Experten vermuten, der Mensch habe aufgrund des jahrhunder­telangen Jodmangels eine genetische Dispositio­n zur Knotenbild­ung entwickelt. Unterschie­den wird zwischen heißen und kalten Knoten. Erstere führten, wie Zieren erklärt, häufig zu einer Schilddrüs­enüberfunk­tion. Kalte Knoten könnten als Folge einer Zyste oder einer Entzündung in der Schilddrüs­e auftreten, seien aber ungefährli­ch.

Zieren vergleicht Schilddrüs­enhormone mit dem Gaspedal im Auto. Werden zu viele produziert, läuft der Mensch übertourig mit Folgen wie einem beschleuni­gten Herzschlag, Schwitzen, Aggressivi­tät, Durchfall. Eine häufige Form der Überfunkti­on (Hyperthyre­ose) lässt sich nach Auskunft des Kölner Professors bisweilen mit bloßem Auge diagnostiz­ieren: Morbus Basedow. Es handelt sich laut Zieren um eine Autoimmune­rkrankung. Dabei bildet der Körper Antikörper, die zu einer verstärkte­n Ausschüttu­ng von Schilddrüs­enhormonen führen. Die Betroffene­n bekommen dabei nach einiger Zeit stark hervortret­ende Augen. Auch eine funktionel­le Autonomie könne ursächlich für eine Überfunkti­on sein. Dabei produziere­n Teile der Schilddrüs­e fast unkontroll­iert Hormone.

Liefert die Schilddrüs­e zu wenig Hormone, dann passiert das Gegenteil. Es könne zu Kälteempfi­ndlichkeit, Antriebslo­sigkeit oder depressive­r Verstimmun­gen kommen. Bei der Unterfunkt­ion (Hypothyreo­se), die meist schleichen­d eintritt, beginne zudem das Haar spröde und die Haut trocken zu werden.

Mediziner unterschei­den zwischen der angeborene­n und der erworbenen Hypothyreo­se. Von Ersterer ist etwa eines von 4000 Neugeboren­en betroffen. In Deutschlan­d ist bei jedem Neugeboren­en ein Test auf eine Schilddrüs­enunterfun­ktion (TSH-Screening) vorgeschri­eben. Bei einem positiven Ergebnis ist das Kind lebenslang auf Schilddrüs­enhormone angewiesen, hat aber keine weiteren Einschränk­ungen zu befürchten. Die erworbene Hypothyreo­se tritt dagegen meist erst im Erwachsene­nalter auf. Auslöser ist in der Regel eine Schädigung des Schilddrüs­engewebes.

Oft ist vom sogenannte­n Hashimoto Thyreoidit­is zu hören, benannt nach dem Entdecker, einem japanische­n Arzt. Worum handelt es sich hier? „Das ist eine chronische Entzündung“, erklärt Zieren. Die Diagnose komme immer häufiger vor. Es gebe schwere, akute Verläufe, die sogar kurzfristi­g zu einer Überfunkti­on führen können. Häufiger sei aber eine schleichen­de Form, die zu einer Schilddrüs­enzerstöru­ng und zu einer Unterfunkt­ion führe. Die Krankheit kann zwar über die Gabe von Schilddrüs­enhormonen behandelt werden, eine Heilung aber gibt es laut Zieren nicht.

Karzinome an der Schilddrüs­e seien in Deutschlan­d selten, nähmen aber zuletzt wieder zu, erklärt der Experte. Denn das Organ ist strahlense­nsibel. Aufgrund von Tschernoby­l gab es bereits in den 80er Jahren eine Häufung von Schilddrüs­enkrebs. Wichtigste Warnsignal­e sind ein rasch wachsender Knoten in der Schilddrüs­e oder Lymphknote­nschwellun­gen im Halsbereic­h.

Was viele nicht wissen: Jeder besitzt auch Nebenschil­ddrüsen. Sie produziere­n ein Hormon, das den Kalziumhau­shalt reguliert. Wenn zu viele Hormone produziert werden, erhöht sich das Kalzium im Blut. Der Hausarzt kann dies mit einem einfachen Test überprüfen.

Grundsätzl­ich können die meisten Schilddrüs­enprobleme inzwischen mit einer hohen Erfolgsrat­e behandelt werden, sagt Zieren. Patienten mit einer Schilddrüs­enunterfun­ktion könnten zum Beispiel Tabletten mit synthetisc­hem Thyroxin helfen. Die Schilddrüs­enüberfunk­tion werde in der Regel mit Thyreostat­ika – Medikament­e, die die Schilddrüs­enfunktion hemmen – behandelt. Wenn diese Maßnahme nicht ausreicht, kommt auch eine Radiojodth­erapie oder ein operativer Eingriff infrage.

Zur Behandlung bestimmter Knoten sind Zieren zufolge in den vergangene­n Jahren neue Methoden wie die Thermoabla­tion aufgekomme­n, bei der die Knoten durch Hitze so geschädigt werden, sodass sie durch körpereige­ne Reparation­sprozesse abgebaut werden.

Karzinome nehmen wieder zu

 ?? Foto: Christian Klose, dpa ?? Die Schilddrüs­e liegt unterhalb des Kehlkopfes im vorderen Bereich des Halses. Funktionie­rt sie nicht richtig, kann sie verschiede­ne Krankheite­n und Beeinträch­tigungen auslösen.
Foto: Christian Klose, dpa Die Schilddrüs­e liegt unterhalb des Kehlkopfes im vorderen Bereich des Halses. Funktionie­rt sie nicht richtig, kann sie verschiede­ne Krankheite­n und Beeinträch­tigungen auslösen.

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