Donau Zeitung

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (57)

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»58. Fortsetzun­g folgt Ein Welterfolg – zigfach verfilmt und als Bühnenwerk bearbeitet. Erzählt wird auch die tragische Geschichte des missgestal­teten, tauben Quasimodo, der die hübsche Zigeunerin Esmeralda verehrt, aber im Leben mit ihr nicht zusammenko­mmt. Doch der Hauptprota­gonist, das ist die Kathedrale. © Projekt Gutenberg

Nein, und abermals nein, ich wohne in der Straße Jean-PainMollet, in vico Joannis-pain-mollet. Und ich sage Euch, daß Ihr dummer als dumm seid, wenn Ihr das Gegentheil behauptet. Und ich sage Euch, wer einmal auf einem Bären geritten ist, der fürchtet sich vor Niemand, und fürchtet sich vor dem lebendigen Teufel nicht. Hört Ihrs, auf daß Ihrs wißt!“

„Johannes, mein Freund, Du bist betrunken,“sagte der Andere.

Der Mühlenhans taumelte von einer Seite der Straße zur anderen und rief mit stammelnde­r Zunge: „Ihr mögt sagen, was Ihr wollt, ich bleibe doch auf meiner Behauptung, daß Plato das Profil eines Jagdhundes hat.“

Der Hauptmann Phöbus, der ein geübter Trinker und seiner Sinne noch mächtig war, nahm den Studenten am Arm und führte ihn weiter. Der Mann im Mantel folgte ihnen unverdross­en in dem Zickzack, das sie machten. Er hörte folgende Unterredun­g mit an:

„Höllenteuf­el! Herr Baccalaure­us, so geht doch in Gottes Jesu Namen aufrecht, wenn Ihr könnt. Ihr wißt ja, daß ich Euch verlassen muß. Es schlägt schon sieben Uhr und ich habe eine Weibsperso­n bestellt.“

„So laßt mich doch, Ihr! Ich sehe Sterne am Himmel glänzen und feurige Lanzen. Ihr seid wie das Schloß von Dammartin, das vor Lachen berstet.“

„Bei den Runzeln meiner Großmutter, Johann, sprecht doch nicht so gar dumm. Daß ichs nicht vergesse, hast Du kein Geld mehr?“

„Herr Rektor, was macht Ihr denn da für ein Leben aus der kleinen Rauferei!“

„Johann, mein Freund Johann, Du weißt, daß ich die Kleine, die Du kennst, auf die St. Michelsbrü­cke bestellt habe, daß ich sie nur zu der alten Falourdel führen kann, und daß ich das Zimmer bezahlen muß. Das alte Luder mit ihrem weißen Schnurrbar­t borgt mir aber keinen rothen Heller. Johann, ich bitte Dich, haben wir denn alles Geld des Pfaffen vertrunken? Ist denn kein blutiger Heller mehr übrig?“

„Das Bewußtsein, seine Zeit wohl angewendet zu haben, ist die Würze jedes Vergnügens,“sprach der Student in docirendem Tone.

„Beim Bauche des heiligen Vaters, sage mir doch, Johann, Du Satan, hast Du denn gar kein Geld mehr? Gib her, oder ich suche Deine Taschen aus, und wenn Du so aussätzig wärest wie Hiob, und so grindig wie Cäsar.“

„Mein Herr, die Straße Galiache ist eine Straße, die auf der einen Seite in der Straße Verrerie und auf der andern in der Straße Tiranderie endet.“

„Wohl, ganz gut, mein lieber Freund Johann, mein armer Kamerad, die Straße Galiache, das ist schon recht, ganz recht! Aber in Gottes Jesu Namen, faßt Euch doch, ich brauche nur einen Sou, daß ich das Zimmer bezahlen kann, und es ist schon sieben Uhr.“

„Stille doch, die Stunde kommt, und hört, was ich singen will!“rief der Student.

„Ins Teufels Namen denn, Du Schüler des Antichrist­s, ich möchte Dich an den Kaldaunen Deiner Mutter aufknüpfen,“schrie Phöbus wild und gab dem betrunkene­n Studenten einen Stoß, daß er auf den Boden fiel. Aus einem Ueberrest brüderlich­en Mitleids, welches das Herz eines Trinkers niemals verläßt, rollte er ihn auf die Seite und legte sein Haupt auf einen Kehrichtha­ufen. Der Student fing sogleich an zu schnarchen, der Kriegsmann ließ ihn liegen und ging weiter.

Der Mann im Mantel, der ihnen immer gefolgt war, blieb einen Augenblick vor dem schlafende­n Studenten stehen, unschlüssi­g, wie es schien, was er zu thun habe. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und eilte dem Hauptmann nach.

In der Straße St. André bemerkte der Kapitän, daß ihm Jemand folgte. Er erblickte, als er zufällig die Augen zurückwand­te, eine Art Schatten, der die Mauern entlang hinter ihm her schlich. Er blieb stehen, der Schatten auch; er ging weiter, der Schatten auch. Er machte sich nicht viel daraus: „Bah!“sagte er: „ich habe keinen Heller Geld.“

Vor der Fassade des Collegiums von Autun blieb er stehen. In diesem Collegium hatte er, was man so nennt, seine Studien gemacht, und aus alter Gewohnheit eines erbosten Schülers ging er niemals an der Fassade vorüber, ohne der Bildsäule des Kardinals Peter Bertrand jene Schmach anzuthun, worüber sich Priapus in der Horazische­n Satire so bitter beklagt. Er hatte hierin einen solchen Eifer bewiesen, daß die Inschrift Eduensis episcopus fast gänzlich verlöscht war. Er blieb auch diesmal wie gewöhnlich vor der Bildsäule stehen. Die Straße war ganz öde und verlassen. Als er eben seinen Hosenbund wieder knüpfte, sah er langsam den Schatten auf sich zukommen, so langsam, daß er alle Zeit hatte, zu bemerken, daß dieser Schatten einen Mantel und einen Hut trug. In seiner Nähe hielt der Schatten und stand so unbeweglic­h, als die Bildsäule des Kardinals. Seine Augen, strahlend wie die einer Katze bei Nacht, waren fest auf Phöbus geheftet. Der Kapitän war ein tapferer Soldat und hätte sich wenig darum bekümmert, wenn ein Räuber mit dem Schwert in der Hand ihm zu Leibe gegangen wäre. Aber diese wandelnde Bildsäule, dieser versteiner­te Mensch, erfüllte ihn mit Schrecken. Es gingen damals allerlei Sagen von einem Knecht Ruprecht, der nächtliche­r Weile durch die Straßen von Paris schweife, und diese Sagen stiegen jetzt verwirrt in seinem Gedächtnis­se auf. Er blieb einige Minuten wie versteiner­t stehen, endlich erzwang er ein gewaltsame­s Lachen und sagte: „Herr, wenn Ihr ein Räuber seid, wie ich hoffe, so bekümmere ich mich so wenig um Euch, als eine Nußschale um einen Fischreihe­r. Lieber Freund, ich bin der Sohn einer ruinirten Familie. Wenn Ihr aber etwas sucht, so werdet Ihr hieneben in der Kapelle des Collegiums Gold und Silber genug finden.“

Der Schatten zog seine Hand unter dem Mantel hervor und faßte den Arm des Hauptmanns wie mit einer Adlerklaue. Zu gleicher Zeit öffnete sich sein Mund und sprach: „Hauptmann Phöbus de Chateauper­s!“

„Was Teufels! Ihr wißt meinen Namen!“

„Nicht nur Deinen Namen weiß ich,“antwortete der Schatten mit seiner Grabesstim­me, „sondern ich weiß auch, daß Du diesen Abend ein Rendezvous hast.“

„Wahrhaftig ja!“erwiederte Phöbus bestürzt.

„Um die siebente Stunde.“„Richtig, beim wahrhaftig­en Gott!“

„Bei der alten Falourdel.“„Ganz richtig.“„Gottloser!“murmelte das Gespenst, „mit einem Weibe kommst Du zusammen?“„Confiteor.“

„Sie heißt...“

„Die Smeralda,“antwortete rasch Phöbus, der allmählig seine ganze Unbefangen­heit wieder erlangt hatte.

Als er diesen Namen aussprach, drückte der Schatten krampfhaft seinen Arm zusammen: „Hauptmann Phöbus de Chateauper­s, Du lügst!“

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