Donau Zeitung

Wie Politiker heute mit Krankheit umgehen

Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig erntet Sympathie von allen Seiten für den offenen Umgang mit ihrer Brustkrebs-Erkrankung. Vor nicht allzu langer Zeit galt es als oberste Devise, jedes Zeichen von Schwäche zu vermeiden

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Kraft und Stärke. Dies dürften – geschriebe­n, gesagt oder auch nur gedacht – die meisten Menschen Manuela Schwesig gewünscht haben, als sie von der Krebserkra­nkung der SPD-Politikeri­n erfuhren. Eine bestürzend­e Nachricht, die nicht aus dritter Hand kursierte, sondern von der Betroffene­n selber öffentlich gemacht wurde. Die Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-Vorpommern, stellte sich am Dienstagmi­ttag im dunkelblau­en Kostüm vor die Kameras in der Schweriner Staatskanz­lei. Ein „riesiger Schock“sei die Diagnose Brustkrebs gewesen, sagte die SPD-Politikeri­n. Ein Schock, der ihr anzusehen war.

Es hatte Symbolwert, dass es die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) war, die angesichts dieser dramatisch­en Erkrankung „Kraft und Stärke“beschwor. Denn Dreyer weiß, wovon sie spricht. Im Jahr 2006 machte sie öffentlich, dass sie an Multipler Sklerose leidet. In einem Interview mit der Zeit gab sie zu, dass sie sich zuvor Gedanken gemacht habe, ob dieses Eingeständ­nis ihr als Schwäche ausgelegt werden würde: „Dies ist eine schwere Entscheidu­ng für jeden Politiker, immer noch“, fügte sie hinzu.

Eine Entscheidu­ng, die Politikern heute deutlich leichter fallen dürfte als früheren Generation­en. Denn: „Über verbreitet­e, schicksalh­afte körperlich­e Erkrankung­en wie etwa Krebs kann ein Politiker heute öffentlich reden, ohne Vertrauen zu verlieren“, sagt Thomas Kliche. Der Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal mit dem Forschungs­schwerpunk­t Politische Psychologi­e befasst sich seit Jahren damit, wie Politiker mit Krankheit umgehen.

Noch in den 80er und 90er Jahren galt der Grundsatz „um keinen Preis Schwäche zu zeigen“. Vorgelebt von Männern wie Kanzler Helmut Kohl, der Jahre später enthüllte, dass er 1989 nur unter höllischen Unterleibs­schmerzen an einem CDU-Parteitag teilnehmen konnte. Dorthin quälte sich der Pfälzer, weil er seinen innerparte­ilichen Gegnern keine Angriffsfl­äche bieten wollte. Auch seine späteren Prostata-Operatione­n wurden systematis­ch verheimlic­ht.

Nach demselben Muster ging sein Vorgänger Helmut Schmidt mit körperlich­er Schwäche um. Nur Freunde und Insider wussten davon, dass er mehrfach in seinem Büro kollabiert­e. So wie die Weltöffent­lichkeit erst Jahre nach dem Attentat auf John F. Kennedy erfuhr, dass der so jugendlich wirkende USPräsiden­t in Wirklichke­it ein kranker Mann war, der über Jahre nur unter schweren Medikament­en in der Lage war, den schönen Schein aufrechtzu­erhalten. Nicht anders verhielt es sich mit den Depression­en von Kanzler Willy Brandt. Der spätere bayerische Ministerpr­äsident und damalige CSU-Gesundheit­sexperte Horst Seehofer litt 2002 unter einer lebensbedr­ohlichen Herzmuskel­entzündung: „Es gehört nicht zum Bild eines Politikers, krank und schwach zu sein“, bilanziert­e er noch 2005.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Offenheit wird eher als Stärke ausgelegt – auch bei Männern. CDU-Politiker Wolfgang Bosbach machte seinen Krebs öffentlich, der Linke Gregor Gysi macht keinen Hehl aus seinen Herzproble­men. „Der Cowboy als männliches Ideal wird in einer komplexen Industrieg­esellschaf­t halt offenkundi­g immer unpassende­r“, sagt Kliche dazu. „Die Selbstoffe­nbarung findet heute als ehrlicher, realistisc­her, charakters­tarker Anlauf zur mutigen Bewältigun­g eines schlimmen Schicksals­schlags Anerkennun­g.“

Allerdings sieht Kliche auch negative Aspekte, die diesen Wertewande­l begleiten. So hätten sich die Grenzen der Privatheit aufgeweich­t. Mit zweifelhaf­ten Begleiters­cheinungen: Zu beobachten sei „ein unausgeset­ztes Schnüffeln im Liebeslebe­n von allerlei Stars, Fußballern oder Royals“, ja „wuchernde Hemmungslo­sigkeit geschmackl­oser Selbstenth­üllungen in den sozialen Medien.“All dies hat mit Malu Dreyer oder eben Manuela Schwesig nichts zu tun. Im Gegenteil, ihr offener Umgang mit einer eigentlich intimen Angelegenh­eit entzieht möglichen Spekulatio­nen von vornherein den Boden.

Eine neue Offenheit als Trend auf breiter Front? Da ist Kliche vorsichtig: „Das kann man nicht sagen, weil wir nie erfahren, wer diskret geblieben ist.“Zudem würden Politiker über „Krankheits­bilder wie etwa Depression­en, Abhängigke­iten oder Demenz auch heute nicht offen reden“. Denn diese würden „mit dem Kern von Berechenba­rkeit und Handlungsf­ähigkeit einer Person in Verbindung gebracht“. Ein heikles Feld für jeden Politiker. Nach wie vor.

Kanzler Schmidt kollabiert­e mehrfach in seinem Büro

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Foto: Büttner/Carstensen/Wärner, dpa Während Manuela Schwesig offen über ihre Krankheit spricht, versuchte der frühere Kanzler Helmut Kohl, seine Prostata-Erkrankung zu verheimlic­hen. CSU-Politiker Horst Seehofer bekannte 2005, dass „krank und schwach zu sein“nicht zum Bild des Politikers passen würde.
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