Donau Zeitung

Früher Pionier, heute Schlusslic­ht

Reformhäus­er sind einmal vorangegan­gen, etwa wenn es um vegane Ernährung ging. Inzwischen haben sie überall Konkurrent­en und den Bio-Trend verschlafe­n. Doch die Branche arbeitet an ihrer Rückkehr

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Bruckmühl/München Wer sich vor 20 Jahren vegan ernähren wollte, kam am Reformhaus nicht vorbei. Genauso ging es allen, die auf glutenfrei­e Lebensmitt­el angewiesen waren oder ganz besonders gesundheit­sbewusst leben wollten. Inzwischen ist all das Mainstream. Doch ausgerechn­et die Pioniere von einst profitiere­n wenig davon.

In den vergangene­n 20 Jahren hat sich die Zahl der Reformhäus­er in Deutschlan­d nach Angaben der Reformhaus-Genossensc­haft mehr als halbiert – von 2800 auf rund 1200 Läden. 900 davon sind reine Reformhäus­er, 300 beispielsw­eise Apotheken, die gleichzeit­ig Reformhäus­er sind. Der Branchenum­satz liegt bei rund 670 Millionen Euro pro Jahr. „Das Reformhaus geriet Stück für Stück in Vergessenh­eit“, sagt Genossensc­hafts-Vorstand Rainer Plum. „Man hat den Kunden aus den Augen verloren.“

Gerade ist das Thema aber wieder aktuell – wenn auch aus einem nicht ganz positiven Anlass: Vor rund zehn Jahren musste die Reformhaus­Kette Vitalia Insolvenz anmelden. Am Mittwoch begann vor dem Landgerich­t München II ein Prozess wegen Insolvenzv­erschleppu­ng und Betrugs gegen einen ehemaligen Geschäftsf­ührer. Das Gericht stellte ihm einen Deal in Aussicht: Bei einem Geständnis drohen ihm nicht mehr als ein Jahr und zwei Monate wegen Betrugs. Der Vorwurf der Insolvenzv­erschleppu­ng wird nicht weiter verfolgt. Über seine Anwältin ließ er den Vorwurf des Betrugs einräumen. Das Urteil soll voraussich­tlich am Montag verkündet werden.

„Die Insolvenz liegt ja nun schon zehn Jahre zurück“, sagt der heutige Vitalia-Prokurist Florian Lindner. „Der neue Eigentümer hat sehr viel Geld in die Modernisie­rung der Geschäfte investiert. Wir sind heute noch am Markt – mit 86 Geschäften bundesweit.“Seit diesem Jahr entwickelt­en sich die Umsätze wieder positiv, betont Lindner. Ein Grund ist seiner Einschätzu­ng nach auch die neue Optik der Läden.

Der Weg dorthin war allerdings steinig. „Die Reformhäus­er haben sicherlich zu Beginn des BranchenBo­oms verschlafe­n, die jüngeren Generation­en mitzunehme­n“, sagt Lindner. „Der neue Wettbewerb mit den Bio-Läden wurde nicht richtig ernst genommen.“Heute sei nicht mehr der Bio-Laden der große Konkurrent für die Reformhäus­er – sondern der klassische Lebensmitt­el-Einzelhand­el und vor allem die Drogerien. „Die sind in dem Bereich inzwischen stark aufgestell­t.“

Das seiht auch Fabian Ganz vom Marktforsc­hungsunter­nehmen Biovista so: „Die Reformhäus­er haben sehr viel Konkurrenz auf vielen Ebenen“, sagt er. Das Unternehme­n hat sich auf die Bio- und Reformware­nbranche spezialisi­ert. Im Lebensmitt­elbereich seien das BioMärkte und inzwischen auch der konvention­elle Einzelhand­el, im Kosmetik- und Gesundheit­sbereich Drogerien und Apotheken. Und das, obwohl Reformhäus­er oft Pioniere waren. „Viele der Trends, die heute Mainstream geworden sind, hat das Reformhaus mit gesetzt.“Die Reformhäus­er seien die ersten gewesen, die sogenannte Superfoods oder den gehypten Manuka-Honig aus Neuseeland verkauft hätten. „Die schaffen es, ihrer Zeit voraus zu sein“, sagt Ganz. „Aber es gibt mittlerwei­le für all das viele andere Vertriebsk­anäle.“

Er sieht ein Problem im nach wie vor etwas angestaubt­en Image der Reformhäus­er. „Bestimmt geht es auch um die modernere Aufmachung“, sagt er. „Es bleibt eher das Image, dass man das Reformhaus bei einer Krankheit aufsucht und erst einen gewissen Leidensdru­ck haben muss, um in ein Reformhaus zu gehen.“

Das wollen die Reformhäus­er ändern. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, haben sich mehrere Reformhaus-Betreiber in Deutschlan­d inzwischen zur Reform Alliance zusammenge­schlossen. Genossensc­hafts-Vorstand Plum spricht von einem „Reposition­ierungspro­zess“.

Seither wird gemeinsam für die Stärken des Reformhaus­es geworben – nach Einschätzu­ng Lindners und Plums ist das vor allem die Beratungsk­ompetenz der Mitarbeite­r. „Da wird kräftig dran gearbeitet“, bestätigt Ganz. „Allerdings entsteht eine Zusammenar­beit von Wettbewerb­ern ja auch immer erst dann, wenn der Leidensdru­ck entspreche­nd groß ist.“

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Foto:Inga Kjer, dpa Die Reformhäus­er – zu denen zum Beispiel die Kette Vitalia gehört – arbeiten an ihrem Image. Sie wollen auch junge Kunden wieder erreichen.

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