Donau Zeitung

Unfall oder Mord?

Ein Autofahrer rast mit Tempo 160 durch Stuttgart und verursacht einen Crash, bei dem zwei Menschen sterben. Nun muss ein Gericht eine heikle Frage klären

- Martin Oversohl, dpa

Stuttgart Was geht vor in einem jungen Menschen, der sich einen PSstarken Sportwagen mietet und durch die Straßen von Stuttgart rast? Der seinen Motor immer wieder aufheulen und die Tachonadel ausschlage­n lässt, das Auto dann nicht mehr kontrollie­ren kann und einen fatalen Crash verursacht? War er sich bewusst, dass er eine tödliche Gefahr darstellte?

Ein halbes Jahr nach einem Unfall mit zwei Toten sitzt ein 20 Jahre alter Mann auf der Anklageban­k des Landgerich­ts – wegen Mordes. Im „Geschwindi­gkeitsraus­ch“sei der junge Mann mit seinem Jaguar F-Type Coupé durch Stuttgart und über die Autobahn gefahren, stundenlan­g – so schildert es die Staatsanwä­ltin zu Beginn des Prozesses vor der Jugendkamm­er am Mittwoch. Den geliehenen Boliden habe er an seine Grenzen bringen und seinen Freunden imponieren wollen. Das Schicksal anderer? „Das war ihm völlig gleichgült­ig“, sagt die Anklagever­treterin. Nur vom Zufall sei abhängig gewesen, ob es zum Zusammenst­oß kommen würde.

Es ist die erste Anklage dieser Art nach einem Raser-Unfall in BadenWürtt­emberg. Einen Präzedenzf­all gibt es: Anfang März hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) erstmals ein Mordurteil gegen einen rücksichts­losen Raser bestätigt. Der Mann hatte 2017 in Hamburg mit einem gestohlene­n Taxi einen Menschen getötet und zwei schwer verletzt.

Eine rote Linie für eine Mordverurt­eilung in Raserfälle­n legten die Karlsruher Richter jedoch nicht fest: „Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfall­s“, urteilten die Bundesrich­ter. So wurde das deutschlan­dweit erste Mordurteil im Februar 2017 vom BGH kassiert. Die Richter sahen den bedingten Tötungsvor­satz bei den beiden Angeklagte­n nach einem tödlichen Autorennen in der Berliner Innenstadt nicht ausreichen­d belegt. Im neu aufgerollt­en Prozess wurden die Männer im März dann erneut wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Diese Entscheidu­ng ist allerdings noch nicht rechtskräf­tig.

Bei der Stuttgarte­r Tempofahrt an einem Abend im vergangene­n März verliert der junge Deutsche laut Anklage die Kontrolle über seinen Jaguar. Nach einem Gutachten rast er kurz vor dem Crash mit seinem PS-starken Auto bei Tempo 160 bis 165 auf eine Kreuzung in der Innenstadt zu, er drückt das Gaspedal voll durch und kann kaum noch ausweichen, als ein anderes Fahrzeug auf die Straße einbiegt.

Mit einer Geschwindi­gkeit von rund 100 bis 110 Stundenkil­ometern rammt der 20-Jährige einen stehenden Kleinwagen am Straßenran­d. Dessen 25 Jahre alter Fahrer und seine 22 Jahre alte Beifahreri­n sterben, der Jaguar-Fahrer und sein Beifahrer bleiben unverletzt.

Die beiden Opfer waren erst kurz vorher aus Nordrhein-Westfalen nach Stuttgart gezogen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 20-Jährigen Mord vor. „Keineswegs“, sagt dagegen der Verteidige­r des jungen Unfallfahr­ers. Der Zusammenst­oß sei unfassbar tragisch gewesen. Sein Mandant trage schwer an seiner Verantwort­ung, er sei zudem nicht vorbelaste­t gewesen. „Den Vorwurf eines Mordes weisen wir daher entschiede­n zurück.“

Auf einem Tisch im Gerichtssa­al haben Eltern eines Opfers zu Prozessbeg­inn einen Bilderrahm­en aufgestell­t. Mit den Fotos der gestorbene­n Tochter wollen sie an ihr Kind erinnern. Die Mütter der beiden Getöteten weinen beim Verlesen der detaillier­ten Anklage, sie schütteln den Kopf bei den Aussagen des Beifahrers aus der Unfallnach­t. „Das war eine Sache von 30 Sekunden“, erinnert sich der 19-Jährige an die Momente des Zusammenst­oßes. „Das ging ruckzuck.“

Ansonsten sind seine Erinnerung­en an die Nacht eher dürftig. „Ich dachte mir einfach „Jaguar, wow“, erklärt er seinen Wunsch nach einer spätabendl­ichen Spritztour. Er habe vor allem Videos der Fahrt bei Instagram einstellen wollen. Ob er kurze Clips gedreht hat während der kaum einminütig­en Fahrt? Ob er sie gelöscht hat? Schweigen. Und ungläubige Nachfragen einer Kammer, der es noch an Einblick fehlt in die Chat- und Click-Welt junger Menschen.

Die Mütter weinen beim Verlesen der Anklagesch­rift

 ?? Foto: Kohls/SDMG, dpa ?? Ein Trümmerfel­d: Zwei Menschen starben im März beim Zusammenst­oß dieser beiden Fahrzeuge in Stuttgart. Später stellte sich heraus: Der Fahrer des weißen Sportwagen­s (links) war mit extrem überhöhter Geschwindi­gkeit in den Kleinwagen gerast.
Foto: Kohls/SDMG, dpa Ein Trümmerfel­d: Zwei Menschen starben im März beim Zusammenst­oß dieser beiden Fahrzeuge in Stuttgart. Später stellte sich heraus: Der Fahrer des weißen Sportwagen­s (links) war mit extrem überhöhter Geschwindi­gkeit in den Kleinwagen gerast.

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