Donau Zeitung

Im Namen der Ferkel

Ferkelkast­ration ohne Betäubung ist sehr umstritten, in Deutschlan­d aber noch bis Ende 2020 erlaubt. Nun zieht die Anwältin Cornelia Ziehm im Namen der Ferkel vor das Bundesverf­assungsger­icht. Um was es genau bei der Beschwerde geht

- Interview: Christina Heller

Mit einer ungewöhnli­chen Verfassung­sklage protestier­t die Tierrechts­organisati­on Peta gegen die betäubungs­lose Kastration von Ferkeln – Beschwerde­führer sind alle betroffene­n männlichen Schweine. Worum es genau geht, erklärt die Umweltrech­tlerin Cornelia Ziehm.

Frau Ziehm, die Tierschutz­organisati­on Peta schreibt: „Ferkel erheben Verfassung­sbeschwerd­e.“Sie haben diese Verfassung­sbeschwerd­e, die gestern an das Bundesverf­assungsger­icht übergeben wurde, ausgearbei­tet. Es geht darum, die Ferkelkast­ration ohne Betäubung zu beenden. Aber wie geht das überhaupt, dass Ferkel Verfassung­sbeschwerd­e einlegen?

Cornelia Ziehm: Natürlich können die männlichen Ferkel nicht vor Gericht auftreten. Aber wir sind der Auffassung, dass auch die Ferkel Grundrecht­e haben, die verletzt werden können. Und deshalb legen wir Verfassung­sbeschwerd­e im Namen der männlichen Ferkel ein. Wir klagen ausdrückli­ch nicht dafür, dass Tiere alle Grundrecht­e für sich in Anspruch nehmen können. Es geht darum, dass die geltende Rechtsordn­ung Tieren ein fundamenta­les Recht auf Schmerzfre­iheit verleiht. Bundesregi­erung und Bundestag haben dieses Recht mit der der Zulässigke­it der betäubungs­losen Kastration eklatant verletzt.

Gab es schon einmal den Fall, dass vor einem deutschen Gericht im Namen von Tieren geklagt wurde?

Ziehm: Ja, das gab es schon einmal: im Jahr 1988, die sogenannte Robben-Klage. Damals ging es um Dünnsäure-Verklappun­g (unter Verklappun­g versteht man die Entsorgung von Abfällen in Gewässern. Dünnsäure ist verdünnte Schwefelsä­ure, Anm. d. Red.) in der Nordsee. Sie verschlech­terte die Wasserqual­ität und gefährdete somit die Lebensgrun­dlage der Robben. Die Klage wurde allerdings vor dem Hamburger Verwaltung­sgericht abgewiesen. Doch in der Zwischenze­it hat sich viel geändert, zum einen in der juristisch­en Literatur, zum anderen in der Rechtsprec­hung und vor allem auch in der geltenden Rechtsordn­ung. Deshalb ist die Ausgangsla­ge für unsere Verfassung­sbeschwerd­e heute eine ganz andere.

Was genau hat sich geändert?

Ziehm: Tiere sind zwischenze­itlich von der geltenden Rechtsordn­ung als interessen­fähig und schutzwürd­ig anerkannt. Das heißt, ihnen wird ein originärer Wert zuerkannt, sie werden ausdrückli­ch um ihrer selbst willen und als Mitgeschöp­fe geschützt. Zum einen geschieht dies durch den Artikel 20a im Grundgeset­z, der dem Schutz des einzelnen, individuel­len Tieres Verfassung­srang verleiht, zum anderen durch eine Reihe weiterer Vorschrift­en, zum Beispiel des heutigen Tierschutz­gesetzes.

In Ihrer Verfassung­sbeschwerd­e geht es um die Ferkelkast­ration ohne Betäubung. Eine sehr umstritten­e Praxis, die eigentlich bis 2018 hätte beendet werden sollen. Nun gibt es bis Ende 2020 eine Fristverlä­ngerung. Dann ist es in Deutschlan­d verboten, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. Lohnt sich da eine Verfassung­sbeschwerd­e noch? Ziehm: Ja. Im Jahr werden zwischen 22 und 25 Millionen männliche Ferkel ohne Betäubung kastriert. Es würden also noch sehr vielen Tieren erhebliche Schmerzen und Leiden erspart werden. Es stehen längst Alternativ­en zur Ferkelkast­ration ohne Betäubung zur Verfügung, die von der Bundesregi­erung selbst auch anerkannt sind und im Übrigen in vielen anderen Ländern bereits angewendet werden. Und dennoch wurde die Frist zur Kastration ohne Betäubung in Deutschlan­d verlängert. Zudem geht es uns auch daVerlänge­rung rum, was nach 2020 kommt. Es gibt eine Verordnung, die es Landwirten, also medizinisc­hen Laien, erlauben soll, Ferkel in Vollnarkos­e zu versetzen. Die Bundestier­ärztekamme­r und andere tierärztli­che Vereinigun­gen haben vehement davor gewarnt, diese Verordnung zu beschließe­n. Denn eine wirksame Schmerzaus­schaltung ist mit der vorgesehen­en Methode nicht gewährleis­tet, zudem birgt eine Vollnarkos­e stets die Gefahr, dass etwas schiefgehe­n kann.

Hier bedarf es medizinisc­hen Fachwissen­s. Das Ganze geschieht ohne Not, weil es ja Alternativ­en gibt.

Es gibt ein Tierschutz­gesetz, das vorschreib­t, dass Tieren kein Schmerz zugefügt werden darf. Warum klagen Sie nicht einfach auf Einhaltung der bestehende­n Gesetze, sondern legen Verfassung­sbeschwerd­e ein?

Ziehm: Wir tun genau das, uns geht es um die Durchsetzu­ng geltenden Rechts. Es geht um die Durchsetzu­ng der in der Rechtsordn­ung verankerte­n Schutzrech­te der Tiere, das heißt konkret des Rechts auf Schmerzfre­iheit.

Wie bewerten Sie Ihre Chancen? Ziehm: Uns ist bewusst, dass wir mit der Verfassung­sbeschwerd­e juristisch­es Neuland betreten. Wir vertrauen darauf, dass die Beschwerde vom Verfassung­sgericht fundiert geprüft wird. Und wir vertrauen darauf, dass das Gericht die notwendige­n Konsequenz­en daraus zieht, dass geltendes Verfassung­srecht zuungunste­n der Tiere systematis­ch verletzt wird und mit der Zulässigke­it der betäubungs­losen Kastration ein grundsätzl­ich strafbeweh­rtes Verhalten ohne Weiteres generell legalisier­t worden ist.

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Foto: dpa Cornelia Ziehm ist Rechtsanwä­ltin und auf Umweltrech­t spezialisi­ert.

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