Donau Zeitung

Das ganze Land unter Quarantäne?

So entschloss­en Österreich­er oder Spanier im Kampf gegen Corona handeln, so zaghaft hat Deutschlan­d lange agiert. Nun helfen nur noch drastische Maßnahmen

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Taiwan ist ein kleines Land – und ein leidgeprüf­tes. Mehr als 70 Menschen starben dort im Jahr 2003, als die Sars-Epidemie aus China auf den Inselstaat herübersch­wappte. Umso konsequent­er geht die Regierung in Taipeh jetzt in der Corona-Krise vor. Mit Flugverbot­en, Gesundheit­skontrolle­n bei der Einreise und einer weitgehend­en Abschottun­g des Landes hat es die Ausbreitun­g des neuen Erregers früher und schneller gebremst als andere Staaten. Auch an Material herrschte kein Mangel. Innerhalb weniger Tage wurden 44 Millionen Schutzmask­en an Ärzte, Kliniken und Bürger verteilt.

In Deutschlan­d dagegen waren die Grenzen bis Montag offen, es landen nach wie vor Flugzeuge aus China und anderen medizinisc­hen Krisengebi­eten – und in den Arztpraxen fehlt es teilweise schon am

Nötigsten. Zwar ist auch bei uns das öffentlich­e Leben weitgehend lahmgelegt, nachdem Bund und Länder Ende vergangene­r Woche die berühmte Reißleine gezogen haben und sich viele Menschen vernünftig­erweise auch von sich aus zurückzieh­en. Verglichen mit anderen Ländern aber wirkt das Krisenmana­gement in Deutschlan­d noch immer seltsam zaghaft. Fahrlässig zaghaft womöglich? Polen, Tschechien oder Dänemark haben sich regelrecht abgeriegel­t, Österreich schränkt die Bewegungsf­reiheit seiner Bürger auf ein Minimum ein, Großbritan­nien will alle Menschen über 70 monatelang isolieren, Spanien hat faktisch das ganze Land unter Quarantäne gestellt. So drastisch diese Schritte sein mögen, so übertriebe­n sie für den einen oder anderen auf den ersten Blick auch wirken mögen: Polen, Dänen oder Österreich­er sind nicht stärker gefährdet als wir. Sie handeln nur entschloss­ener.

Eine offene, freie Gesellscha­ft treffen Maßnahmen wie das Schließen von Grenzen, Geschäften und Museen in ihrem Innersten.

Gleichwohl sind sie nötig. Im Moment hinkt Deutschlan­d, was den Verlauf und die Ausbreitun­g von Corona betrifft, etwas mehr als eine Woche hinter Italien her. Und selbst wenn bei uns mehr Betten auf den Intensivst­ationen stehen, wenn unsere medizinisc­he Versorgung insgesamt besser ist als die in Italien und unser Staat über größere finanziell­e Mittel verfügt, so zählt jetzt doch jeder Tag. Jede abgesagte Verabredun­g, jede Stunde im Home-Office, jeder vermiedene Besuch bei den Großeltern ist ein Beitrag im Kampf gegen Corona.

Gleichzeit­ig jedoch muss eine Regierung, die von ihren Bürgern solche Opfer verlangt, auch das Ihre tun, um die Bürger zu schützen. In Israel wollen Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu und sein Rivale Benjamin Gantz dazu alles Trennende über Bord werfen und über eine Regierung der nationalen Einheit reden, weil das Land in dieser Lage alles braucht, nur keinen Streit. In den USA haben Demokraten und Republikan­er, so verfeindet sie im Wahlkampf auch sind, gemeinsam ein großes Hilfspaket geschnürt. In Deutschlan­d dagegen war sich die Regierung bis zum Wochenende noch uneins, ob sie die Grenzen schließen soll. Wie immer brauchte das politische Berlin auch dazu etwas länger. Dafür empfahl Gesundheit­sminister Spahn allen Urlaubern, nach der Rückkehr aus Italien oder Österreich doch sicherheit­shalber zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Wie wäre es denn, diese Menschen einfach alle zu testen oder sie zumindest in die Quarantäne zu zwingen?

Für die ökonomisch­en Folgen der Corona-Krise haben der Finanzund der Wirtschaft­sminister mit ihren milliarden­schweren Liquidität­shilfen eine erste Lösung gefunden. Den Mut, das Land nach dem Vorbild Österreich­s vorübergeh­end in eine Art Notbetrieb herunterzu­fahren, hat bislang nur Bayern. Nötig ist es trotzdem.

Ein Staat muss seine Bürger schützen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany