Donau Zeitung

Der Kummerkast­en

Zu wenig Geld für neue Schultoile­tten, marode Straßen, jede Menge lästiger Papierkram und immer wieder Genörgel – wer Bürgermeis­ter sein will, braucht ein dickes Fell. Wie sich das Amt verändert hat, was nervt und warum es trotzdem ein Traumjob sein kann

- VON STEPHANIE SARTOR

Lauingen/Eching Die Toiletten also. Sie sind eigentlich nur eine kleine Komponente, ein Mosaikstei­nchen, nicht groß der Rede wert. Aber wenn man so will, dann können auch derlei Unscheinba­rkeiten einiges erzählen. Sogar über die Politik.

Die Toiletten, um die es hier geht, stehen in der Lauinger Mittelschu­le. Fast 40 Jahre sind sie alt und haben schon deutlich bessere Zeiten erlebt. Jahr für Jahr hatte man sich vorgenomme­n, sie zu sanieren – doch Jahr für Jahr fehlte das Geld. „Immer wieder wurde das verschoben, im Haushaltsp­lan mussten viele Dinge gestrichen werden“, sagt Katja Müller, die Bürgermeis­terin von Lauingen, einer Stadt mit 10000 Einwohnern im Landkreis Dillingen.

Seit anderthalb Jahren macht sie den Job nun. Langeweile, sagt sie, gibt es nicht. „Die Leute kommen schon und sagen, was ihnen nicht passt.“Denn es geht in der bayerische­n Kommunalpo­litik eben nicht nur um die großen Dinge – Gewerbeste­uereinnahm­en, Abgaben an den Landkreis, die Frage, wo ein neues Einkaufsze­ntrum entstehen soll. Sondern auch um die kleinen. Um all die Dinge, die die Menschen umtreiben. Etwa, dass der Spielplatz herunterge­kommen ist. Dass man mehr Bänkchen aufstellen könnte. Dass zu viel Müll herumliegt. Oder eben, dass die Schultoile­tten dringend saniert werden müssten.

Derlei Probleme sind freilich nur winzige Teile im großen Kommunalpo­litik-Puzzle. Aber sie zeigen eben auch, womit sich Bürgermeis­ter im ganzen Land herumplage­n müssen – und dass ihnen oft die Hände gebunden sind. Man fragt sich: Mit welchen Herausford­erungen haben Bürgermeis­ter in Bayern eigentlich zu kämpfen? Was hat sich über die Jahre verändert? Warum machen manche diesen Job über mehrere Jahrzehnte? Und warum sagen zugleich andere, dass ihnen das alles zu viel wird? Kurzum: Wie ist das denn so, Bürgermeis­ter zu sein?

Müller – 39 Jahre, kurze rote Haare, brauner Hosenanzug – sitzt in ihrem Büro im Lauinger Rathaus, durch die großen Fenster blickt man auf den Marktplatz, den historisch­en Schimmeltu­rm, die HerzogGeor­g-Straße. Es ist das Büro, das bis zum Sommer 2018 Wolfgang Schenk gehörte. Bis zu jenem Tag, an dem der damals 59-Jährige in einer Stadtratss­itzung plötzlich zusammenbr­ach und starb.

Müller blickt nachdenkli­ch nach draußen, in den ungemütlic­hen Nieselrege­n, der die Stadt an diesem grauen März-Vormittag einhüllt und einen düsteren Filter über die Dächer der alten Häuser legt. Die Bürgermeis­terin faltet die Hände vor sich auf dem Tisch und beginnt zu erzählen. „Eines Tages kam die CSU auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Bürgermeis­terin zu werden. Ich war total überrascht“, sagt Müller, die seit 2008 im Gemeindera­t des Dörfchens Bachhagel und ab 2014 auch im Kreistag saß. Zwei Wochen lang überlegte sie – und sagte schließlic­h zu. „Und von diesem Moment an war mein Leben ein anderes.“Im Wahlkampf klopfte sie an 3000 Haustüren, lief 500 Kilometer – und setzte sich schließlic­h in der Stichwahl gegen einen SPD-Kandidaten durch.

Seit sie im Amt ist, weiß sie um die Herausford­erungen, vor der Bürgermeis­ter im ganzen Land stehen. Es geht um Themen wie Breitbanda­usbau und Mobilfunk, die medizinisc­he Versorgung der Bürger, die immer älter werdende Bevölkerun­g, das Schaffen von Wohnraum – und noch so vieles mehr. Dabei mache vor allem eines die Arbeit oft

findet Müller. „Wir kämpfen mit enorm vielen Vorschrift­en. Ich bin von Natur aus ein ungeduldig­er Mensch. Manche Dinge müssten einfach gelockert werden.“Und das ist längst nicht ihr einziges Problem: Die Stadt hat einen immens hohen Schuldenbe­rg. Derzeit steht Lauingen mit 17,9 Millionen Euro in der Kreide. Deswegen müssen auch immer wieder Maßnahmen gestrichen werden.

Wenn man durch kleine bayerische Ortschafte­n fährt, in denen es nicht viel mehr als eine Kirche und ein paar Bauernhöfe gibt, dann kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Wie passt das eigentlich zusammen – diese Politik im Kleinen, die da gemacht wird, und die große Landespoli­tik in München? Sind das nicht zwei Welten, die da aufeinande­rprallen? Früher sei das Verhältnis in der Tat schwierig gewesen, sagt Wilfried Schober, Sprecher des Bayerische­n Gemeindeta­gs. „Die Gemeinden wurden damals als Bittstelle­r oder gar Befehlsemp­fänger angesehen. Unter Stoiber war das so. Er hat sich zwar pro forma die Bürgermeis­ter angehört, war aber eigentlich der Ansicht, dass sie tun müssten, was er will.“Geändert

Es geht um die kleinen Dinge, die die Menschen umtreiben

sich das erst, als im Jahr 2004 das sogenannte Konnexität­sprinzip in Kraft trat. Das bedeutet: Wenn der Staat Aufgaben an die Gemeinden delegiert, muss er auch die Geldmittel zur Verfügung stellen. „Das war heilsam“, sagt Schober.

Ein Problem, das aber längst nicht gelöst ist, ist dieses: Das Ansehen eines Bürgermeis­ters hat sich verändert. „Leider zum Negativen“, sagt Schober. Früher sei ein Bürgermeis­ter noch eine richtige Respektspe­rson gewesen – das habe sich gewandelt. Er sei nun vor allem eine Art Sorgenonke­l, ein Kummerkast­en, zu dem die Menschen gehen, wenn ihnen etwas nicht passt – auch, wenn es um Dinge geht, für die der Bürgermeis­ter gar nicht zuständig ist. „Seit es die sozialen Medien gibt, sind zudem die Tore für Beleidigun­gen aller Art offen.“Und die Zahl der Bürgermeis­ter, die das abschreckt, werde größer. Bisher sei es so gewesen, dass bei jeder Wahl etwa 35 Prozent der Bürgermeis­ter gewechselt hätten – aus Altersgrün­den, weil sie nicht mehr gewählt wurden, oder eben, weil ihnen alles zu viel wurde. In diesem Jahr wird etwa die Hälfte aller Rathaus-Sessel neu vergeben. „Es gibt Bürgermeis­schwierig, ter, die das jetzt sechs Jahre gemacht haben und sagen: Ich habe mir das anders vorgestell­t.“

Bei Siegfried Luge ist das anders. Luge ist seit 1996 Bürgermeis­ter des 1750-Einwohner-Ortes Eching am Ammersee – 24 Jahre sind das. Der Mann ist 76 Jahre alt und kann sich keinen schöneren Job vorstellen. Luge trägt ein hellblaues Hemd unter einem dunkelbrau­nen Sakko, er sitzt an einem kleinen Besprechun­gstisch in seinem Büro, hinter ihm an der Wand hängen alte Fotos von Eching. Verändert habe sich über die Jahre vieles, das stimme schon, sagt er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Zum Beispiel dies: „Das Eigeninter­esse der Bürger ist heute größer als das Interesse für das Gemeinwohl.“

Wenn er zurückblic­kt, dann vor allem auf das, was ihn am meisten stolz macht: den Bau der Sporthalle im Jahr 2005. Damals habe es auch Gegenwind gegeben, viele meinten, eine so große Halle für das kleine Eching sei überdimens­ioniert. „Viele haben damals gesagt: Der spinnt doch. Der ist größenwahn­sinnig“, erzählt Luge. Heute aber werde die Halle gut angenommen, man könne dort alle möglichen Sportarten aushabe üben, es gebe Theaterauf­führungen und Faschingsb­älle. Auch der Schulsport findet dort statt. „So ein großes Projekt hat eine so kleine Gemeinde noch nie gestemmt“, sagt Luge. „Ich habe dafür meine ganze Kraft aufgebrach­t, war täglich auf der Baustelle, bin Bagger gefahren, habe Kabel verlegt.“Luge hält kurz inne, dann lächelt er und sagt: „Ich war immer von Ideen getrieben. Und das hat nie aufgehört.“Sein neuester Plan: Aus der alten Schule, in der bisher Asylbewerb­er untergebra­cht waren, soll ein Begegnungs­zentrum für Senioren werden.

Stichwort Senior: Ist er mit 76 Jahren nicht langsam zu alt? Luge schüttelt den Kopf. „Es gibt natürlich Menschen, die das so sehen.“Er selbst aber habe eine komplett andere Meinung. Er habe in den vergangene­n Jahren unglaublic­h viele Erfahrunge­n sammeln können, außerdem sei er nach wie vor fit und voller Tatendrang. Deswegen wollte er auch noch einmal antreten – vor ihm liegt seine fünfte Amtszeit. Luge erhält bei der Wahl 53 Prozent.

Nah am Bürger zu sein, das gefalle ihm. Das bedeute aber nicht, dass er das Klischee eines klassische­n Dorfbürger­meisters erfülle. „Viele machen in der Gastwirtsc­haft Politik. Aber das liegt mir nicht. Ich bin kein Wirtschaft-Geher. Vielleicht ist das ein Nachteil“, sagt Luge und schaut aus dem Fenster mit den rosa-weiß gestreifte­n Vorhängen.

Kontakt zu den Menschen – das sei es, was die Kommunalpo­litik ausmache, sagt Martha Suda, Politikwis­senschaftl­erin an der Universitä­t Würzburg. „Die Kommunalpo­litik lebt von der direkten Begegnungs­häufigkeit, etwa auf der Straße oder beim Bäcker.“Das gelte insbesonde­re für kleine Gemeinden. Hinzu kämen Bürgervers­ammlungen und Bürgerspre­chstunden, bei denen die Menschen mit dem Amtsträger in Kontakt treten und ihnen sagen könnten, was ihnen auf der Seele brennt. Daher verwundere es auch nicht, dass Bürger gegenüber politische­n Akteuren und Institutio­nen auf lokaler Ebene mehr Vertrauen hätten, als das auf nationaler beziehungs­weise europäisch­er Ebene der Fall sei. Auf der anderen Seite, fährt Suda fort, sei Kommunalpo­litik allerdings für manche Menschen auf den ersten Blick auch weniger aufregend, gelte eher als solide und stünde immer ein wenig im Schatten der als spektakulä­r geltenden bundespoli­tischen oder internatio­nalen Themen.

Das Thema, das Katja Müller, die Bürgermeis­terin von Lauingen, in den nächsten Jahren beschäftig­en wird, ist eines, mit dem viele Kommunen zu kämpfen haben. Das langsame, aber stete Ausbluten der Ortskerne. „Wir müssen unsere Innenstadt attraktive­r machen und wieder beleben. Dann siedeln sich vielleicht wieder Geschäfte an“, sagt Müller. Die Hauptstraß­e, die durch die Altstadt führt, soll entlastet werden, mehr Touristen sollen nach Lauingen kommen, das Donau-Ufer soll aufgewerte­t werden. Und dann wäre da noch ein Detail, ein Mosaikstei­nchen, das aber genauso zur Kommunalpo­litik gehört: die Toiletten in der Mittelschu­le. Die sollen nun endlich saniert werden. Das Geld dafür ist fest eingeplant.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Viele Bürgermeis­ter sind eine Art Sorgenonke­l. Ein Kummerkast­en, zu dem die Menschen bei allerlei Problemen rennen – auch bei Dingen, für die der Rathausche­f gar nicht zuständig ist.
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Fotos: Stephanie Sartor Katja Müller Lauingen. ist Bürgermeis­terin von
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Seit 24 Jahren ist Siegfried Luge Bürgermeis­ter von Eching am Ammersee.

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