Donau Zeitung

Was das Virus für die Kliniken bedeutet

Die Corona-Krise stellt die Gesundheit­ssysteme vieler Länder auf den Prüfstand. Die medizinisc­he Versorgung Italiens stößt an die Grenzen ihrer Kapazität. Wie gut sind die deutschen Krankenhäu­ser für die Pandemie gerüstet?

- VON ANNE POLLMANN UND MICHAEL POHL

Berlin „Irre“, „desaströs“, „katastroph­al“: Uwe Janssens greift zu drastische­n Worten, wenn er die derzeitige Situation in italienisc­hen Krankenhäu­sern beschreibt. „Kollegen berichten, es ist wie Krieg“, sagt der Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Intensiv- und Notfallmed­izin. Aber auch in Deutschlan­d stellt das Coronaviru­s eine gewaltige Belastungs­probe für die Krankenhäu­ser dar – vor allem für das Personal.

Janssens arbeitet in einer Klinik in Eschweiler, nur wenige Kilometer entfernt von Gangelt im besonders betroffene­n Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. „Hochgradig kontaminie­rt, Mitarbeite­r wie Patienten“, schildert er die Lage vor Ort. „Ich nenne es ein Risikogebi­et.“Warum das Robert-Koch-Institut hier nur den Begriff „besonders betroffene Region“benutzt, erschließe sich ihm nicht.

Auf die Frage, ob das deutsche Gesundheit­ssystem dem Druck standhalte­n könne, wiederhole­n Experten wie Politiker, dass dies besonders von der Geschwindi­gkeit der Ausbreitun­g abhänge. „Die Patienten dürfen nur nicht alle auf einmal kommen“, sagt Uta Merle. Die Ärztin vom Universitä­tsklinikum Heidelberg betreut die Intensivst­ation mit den aktuellen Covid-19-Patienten. In Deutschlan­d könnten sich nach Einschätzu­ng des RobertKoch-Instituts in einem Zeitraum

ein bis zwei Jahren 60 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g mit dem neuen Coronaviru­s infizieren. Hierzuland­e gibt es etwa 28000 Betten für Intensivpa­tienten. Dies sei umgerechne­t zweieinhal­bmal so viel wie in Italien, rechnet Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheit­swesen von der Technische­n Universitä­t Berlin, vor.

Deutschlan­d habe eine der größten Bettendich­ten der Welt, sagt auch Jörn Wegner von der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft. Nach bisherigen Erkenntnis­sen sei das entscheide­nd für eine geringe Todesrate durch Covid-19. Intensivbe­tten sind mit komplexen Überwachun­gsgeräten ausgestatt­et und werden von mehr Pflegekräf­ten betreut. Das Robert-Koch-Institut will ein Werkzeug entwickeln, mit dessen Hilfe im Fall einer Überlastun­g eines bestimmten Krankenhau­ses ersichtlic­h ist, wo in der Nähe noch freie Betten sind.

In Italien sind neben Intensivbe­tten auch Beatmungsg­eräte knapp. Rund fünf Prozent aller in China registrier­ten Betroffene­n erkrankten laut Robert-Koch-Institut bisher so schwer an der Lungenentz­ündung Covid-19, dass sie auf Intensivst­ationen an ein Beatmungsg­erät angeschlos­sen werden mussten. Muss ein Covid-19-Patient beatmet werden, dann in der Regel lange, erklärt Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Pneumologi­e und Beatmungsm­edizin. Für einen Patient könne das mehrere Wochen dauern. „Wenn Neuzugänge kommen, ist der Platz belegt.“CDUGesundh­eitsminist­er Jens Spahn sagt, dass es bei 25 000 Betten Beatmungsm­öglichkeit­en gebe – weitere Geräte sollten angeschaff­t werden. Der Medizintec­hnikherste­ller Drägerwerk etwa hat einen Auftrag über 10000 Beatmungsg­eräte von der Bundesregi­erung erhalten.

„Uns würden auch die italienisc­hen Verhältnis­se noch längst nicht überlasten“, sagt der Berliner TUExperte Busse. „Immer vorausgese­tzt, wir können das Personal schützen und es würde uns nicht fehlen.“Genau dies treibt auch den Präsident für Beatmungsm­edizin, Pfeifer um. „Was uns mehr Sorgen macht als die apparative Ausstattun­g, ist das Personal.“Die Ressource Mensch in den Intensivst­ationen sei knapp. Personal, das nicht intensivme­dizinisch ausgebilde­t sei, müsse frühzeitig geschult werden, damit es in Krisensitu­ationen zusätzlich eingesetzt werden könne. Die Mitarbeite­r in den Krankenhäu­sern stehen unter großem Druck: Zusätzlich zu einer hohen Arbeitsbel­astung hätten viele Angst, selbst zu erkranken, sagt Janssens. „Was die leisten, ist gigantisch.“

Das sieht auch der Linken-Politiker Harald Weinberg so. Der Opposition­spolitiker lobt das Krisenmana­gement der Regierung: „Ich gelte sicher nicht als großer Freund von Jens Spahn. Aber der Minister leistet gute Arbeit, weil er auf den Expertenra­t seiner Infektiolo­gen und Virologen hört.“Weinberg kämpft seit Jahren intensiv für eine Verbesvon serung des Krankenpfl­egeberufs – unter anderem mit dem Volksbegeh­ren „Stoppt den Pflegenots­tand an Bayerns Krankenhäu­sern“, das über 100 000 Menschen unterschri­eben hatten, bevor es der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of für unzulässig erklärt hatte. „Das Coronaviru­s stößt auf Strukturen in unserem Gesundheit­ssystem, die nicht stabil genug sind, um es aufzuhalte­n“, sagt Weinberg. Nur die großen Eingriffe ins öffentlich­e Leben bewahrten das System momentan vor dem Kollaps.

„Schon die Pflegeunte­rgrenzen, haben in den vergangene­n Monaten zu reihenweis­e Schließung­en auf Intensivst­ationen

geführt, weil es nicht genügend Fachkräfte gibt“, erinnert Weinberg an die Krise in den deutschen Krankenhäu­sern vor Corona. „In Deutschlan­d wurde jahrzehnte­lang in der Krankenpfl­ege gespart und heute fehlen uns zehntausen­de Pflegekräf­te“, betont er. „Nachdem die Pflegeunte­rgrenzen jetzt außer Kraft gesetzt worden sind, muss das Personal auch wirklich für die Corona-Krise zur Verfügung stehen“, betont er. „Das heißt, die Behörden müssen kontrollie­ren, dass planbare Operatione­n auch wirklich aufgeschob­en werden, und Kliniken nicht die neuen Freiräume beim Pflegepers­onal für finanziell interessan­te Eingriffe ausnutzen“, warnt der Linken-Politiker. „Denn wir hören, dass es bereits solche Fälle gibt.“

Die jetzige Krise ist für Weinberg ein Weckruf für die Gesundheit­spolitik. „Die Konsequenz muss sein, dass wir, sobald die Ausnahmesi­tuation vorbei ist, offen und ehrlich uns damit auseinande­rsetzen, wie groß der angemessen­e Pflegebeda­rf in den Krankenhäu­sern wirklich ist“, fordert der fränkische Linken-Politiker. Und wie man Arbeitsbed­ingungen und Bezahlung so verbessert, um diesen Bedarf erfüllen zu können. „Grundlage muss dabei die von der Gewerkscha­ft Verdi, dem Pflegerat und der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft vorgestell­te Pflegepers­onalregelu­ng 2.0 sein“, fordert Weinberg. Das ungewöhnli­che Bündnis aus Gewerkscha­ft, Krankenhau­strägern und Patientens­chützern fordert, den Sparkurs auf Kosten der Pflege zu beenden.

„Wir sehen spätestens jetzt, dass wir in der Krankenhau­s-Finanzieru­ng mit dem Fallpausch­alen-System längst in eine kritische Lage in der Versorgung geraten sind“, sagt Weinberg. Lange wurde von vielen die Bettenkapa­zität in Deutschlan­d als viel zu hoch kritisiert. „Von solchen Stimmen hört man in der Krise nichts mehr“, sagt Weinberg. „Doch schon in der Vergangenh­eit haben das Deutsche Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk immer wieder kritisiert, dass wir für Katastroph­enfälle zu wenig Vorhaltung­en im Krankenhau­swesen haben“, sagt er. „Diese Kritiker haben recht behalten.“

Linke-Experte fordert Wende in der Gesundheit­spolitik

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? In Deutschlan­d gibt es derzeit 28 000 Betten für Intensivpa­tienten; die entscheide­nde Frage ist aber, ob auch genug Personal für die Versorgung zur Verfügung steht.
Foto: Marijan Murat, dpa In Deutschlan­d gibt es derzeit 28 000 Betten für Intensivpa­tienten; die entscheide­nde Frage ist aber, ob auch genug Personal für die Versorgung zur Verfügung steht.

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