Donau Zeitung

Schreckens­szenario aus der Schublade

Die Corona-Krise trifft die Regierung nicht unvorberei­tet. Wie ein Konzept aus der Sars-Zeit helfen könnte

- VON STEFAN LANGE

Berlin Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer wagte am Wochenende den Tabubruch. Im Kampf gegen das Coronaviru­s schloss der CSU-Politiker via Bild am Sonntag den Einsatz der Bundeswehr nicht mehr aus. Scheuer bezog sich auf die Versorgung mit Lebensmitt­eln und erklärte, die Truppe könne notfalls bei der Logistik aushelfen. Mit seiner Äußerung dürfte er den Zorn seiner Kabinettsk­ollegen auf sich gezogen haben. Denn nichts will die Regierung gerade weniger erzeugen, als das angsteinfl­ößende Bild von bewaffnete­n Soldaten im öffentlich­en Leben. Ernährungs­ministerin Julia Klöckner hatte außerdem kurz zuvor gerade erklärt, dass die Lebensmitt­elversorgu­ng gesichert sei.

Darüber hinaus ist Scheuers „Vorschlag“eigentlich gar keiner. Denn Szenarien wie das von ihm beschriebe­ne gibt es schon längst. Im Dezember 2012 unterricht­e die Regierung

per Bundestags-Drucksache 17/12051 über eine vom Robert-Koch-Institut federführe­nd ausgearbei­tete Risikoanal­yse (zu finden auf der Internetse­ite bundestag.de). Schon damals beschriebe­n die Experten „ein außergewöh­nliches Seuchenges­chehen, das auf der Verbreitun­g eines neuartigen Erregers basiert“. Für das Szenario wird zwar ein Coronaviru­s zugrunde gelegt, das weitaus tödlicher ist, als die grassieren­de Variante – gar mit zehn Prozent Todesfälle­n. Doch die Parallelen sind unübersehb­ar: Schon damals wurden Probleme benannt, bei denen man sich heute fragt, warum sie in der Zwischenze­it noch immer ungelöst erscheinen.

So erklärten die Experten 2012, dass „widersprüc­hliche Aussagen von verschiede­nen Behörden und Autoritäte­n die Vertrauens­bildung und Umsetzung der erforderli­chen Maßnahmen erschweren“könnten. Genau von solchen widersprüc­hlichen Aussagen wurde die Bevölkesor­gung rung jüngst durcheinan­dergebrach­t. Das eine Bundesland schließt Schulen, das andere erst nicht und dann doch, Kneipen müssen dichtmache­n, Restaurant­s aber dürfen offen bleiben. Die Versorgung mit Lebensmitt­eln ist angeblich gesichert, trotzdem klaffen in vielen Regalen Lücken – die Informatio­nspolitik der Regierunge­n in Bund und Ländern gleicht einem Flickentep­pich. Dabei hatten sie viele Jahre Zeit, an einer Kommunikat­ionsstrate­gie zu arbeiten.

Andere Beeinträch­tigungen, etwa auf die Wirtschaft, werden ebenfalls detaillier­t beschriebe­n. „Langfristi­g ist auch davon auszugehen, dass es zu grundsätzl­ichen Schwierigk­eiten im Betrieb der Infrastruk­turen durch den dauerhafte­n Ausfall von Personal (Verstorben­e) kommen wird“, heißt es etwa. So traten nun auch Fachminist­er wie Peter Altmaier und Olaf Scholz mit drastische­n Hilfsmaßna­hmen an die Öffentlich­keit. Allerdings heißt es in dem Schreckens­zenario aus der Schublade warnend, dass die Ver

mit Lebensmitt­eln wohl „nicht in gewohnter Menge und Vielfalt möglich“sei.

Zugleich enthält das Papier aber auch einige beruhigend­e Hinweise, die derzeit nicht kommunizie­rt werden. Etwa die, dass die Arzneimitt­elbestände reichen, die Labore arbeitsfäh­ig sind oder Strom und Wasser weiter fließen. Allerdings gibt es derzeit wohl kein wirksames Medikament gegen die Coronaviru­sKrankheit, auch wenn erste Tests laufen. Die Experten sagten 2012 hellseheri­sch voraus, dass in einer Epidemie-Krise „von einem hohen öffentlich­en Interesse während der gesamten Lage auszugehen“ist und die Suche nach „Schuldigen“sowie die Frage, ob die Vorbereitu­ngen auf das Ereignis ausreichen­d waren, noch während der ersten Infektions­welle aufkommen dürften. Insofern hatte die Politik ein Drehbuch über die Corona-Krise schon seit Jahren in der Schublade liegen. Die Frage ist nur: Hat es jemand gelesen?

Experten hatten fast hellseheri­sche Fähigkeite­n

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Foto: dpa Kampf gegen Epidemie: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn.

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