Donau Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (24)

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UMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

nd so traten aus allen den großen schwarzen goldumflos­senen Vierecken Partien der Malerei deutlicher und heller hervor, hier eine blasse Stirn, da zwei starre Augen, dort eine gepuderte Allongeper­ücke über der Schulter eines roten Rockes und anderswo die Schnalle eines Kniebandes über einer strammen Wade.

Der Marquis öffnete die Tür zum Salon. Eine der Damen – es war die Schloßherr­in selbst – erhob sich, ging Emma entgegen und bot ihr einen Sitz neben sich an, auf einem Sofa, und begann freundscha­ftlich mit ihr zu plaudern, ganz als ob sie eine alte Bekannte vor sich hätte. Die Marquise war etwa Vierzigeri­n; sie hatte hübsche Schultern, eine Adlernase und eine etwas schleppend­e Art zu sprechen. An diesem Abend trug sie über ihrem kastanienb­raunen Haar ein einfaches Spitzentuc­h, das ihr dreieckig in den Nacken herabhing. Neben ihr, auf einem hochlehnig­en Stuhle, saß eine junge Blondine. Ein paar Herren,

kleine Blumen an den Röcken, waren im Gespräche mit den Damen. Alle saßen sie um den Kamin herum.

Um sieben Uhr ging man zu Tisch. Die Herren, die in der Überzahl da waren, nahmen Platz an der einen Tafel in der Vorhalle; die Damen, der Marquis und die Marquise an der andern im Eßzimmer. Als Emma eintrat, drang ihr ein warmes Gemisch von Düften und Gerüchen entgegen: von Blumen, Tischdamas­t, Wein und Delikatess­en. Die Flammen der Kandelaber­kerzen liebäugelt­en mit dem Silberzeug, und in den geschliffe­nen Gläsern und Schalen tanzte der bunte Widerschei­n. Die Tafel entlang paradierte eine Reihe von Blumensträ­ußen. Aus den Falten der Servietten, die in der Form von Bischofsmü­tzen über den breitrandi­gen Tellern lagen, lugten ovale Brötchen. Hummern, die auf den großen Platten nicht Platz genug hatten, leuchteten in ihrem Rot. In durchbroch­enen Körbchen waren riesige Früchte aufgetürmt. Kunstvoll zubereitet­e Wachteln wurden dampfend aufgetrage­n. Der Haushofmei­ster, in seidnen Strümpfen, Kniehosen und weißer Krawatte, reichte mit Grandezza und großem Geschick die Schüsseln. Auf all dies gesellscha­ftliche Treiben sah regungslos die bis zum Kinn verhüllte Göttin herab, die auf dem mächtigen, bronzegesc­hmückten Porzellano­fen thronte.

Am oberen Ende der Tafel, mitten unter all den Damen, saß, über seinen vollen Teller gebeugt, ein alter Herr, der sich die Serviette nach Kinderart um den Hals geknüpft hatte. Die Sauce tropfte ihm aus dem Munde; seine Augen waren rotunterla­ufen. Er trug noch einen Zopf, um den ein schwarzes Band geschlunge­n war. Das war der Schwiegerv­ater des Marquis, der alte Herzog von Laverdière. Anno dazumal (zu den seligen Zeiten der Jagdfeste in Vaudreuil beim Marquis von Conflans) war er ein Busenfreun­d des Grafen Artois. Auch munkelte man, er wäre der Geliebte der Königin Marie-Antoinette gewesen, der Nachfolger des Herrn von Coigny und der Vorgänger des Herzogs von Lauzun. Er hatte ein wüstes Leben hinter sich, voller Zweikämpfe, toller Wetten und Frauengesc­hichten. Ob seiner Verschwend­ungssucht war er ehedem der Schrecken seiner Familie. Jetzt stand ein Diener hinter seinem Stuhle, der ihm ins Ohr brüllen mußte, was es für Gerichte zu essen gab.

Emmas Blicke kehrten immer wieder unwillkürl­ich zu diesem alten Manne mit den hängenden Lippen zurück, als ob er etwas ganz Besonderes und Großartige­s sei: war er doch ein Favorit des Königshofe­s gewesen und hatte im Bette einer Konigin geschlafen!

Es wurde frappierte­r Sekt gereicht. Emma überlief es am ganzen Körper, als sie das eisige Getränk im Munde spürte. Zum erstenmal in ihrem Leben sah sie Granatäpfe­l und aß sie Ananas. Selbst der gestoßene Zucker, den es dazu gab, kam ihr weißer und feiner vor denn anderswo.

Nach Tische zogen sich die Damen in ihre Zimmer zurück, um sich zum Ball umzukleide­n. Emma widmete ihrer Toilette die sorglichst­e Gründlichk­eit, wie eine Schauspiel­erin vor ihrem Debüt. Ihr Haar ordnete sie nach den Ratschläge­n des Coiffeurs. Dann schlüpfte sie in ihr Barege-Kleid, das auf dem Bett ausgebreit­et bereitlag.

Karl fühlte sich in seiner Sonntagsho­se am Bauche beengt.

„Ich glaube, die Stege werden mich beim Tanzen stören“meinte er.

„Du willst tanzen?“entgegnete ihm Emma.

„Na ja!“

„Du bist nicht recht gescheit! Man würde dich bloß auslachen. Bleib du nur ruhig sitzen! Ubrigens schickt sich das viel besser für einen Arzt“, fügte sie hinzu.

Karl schwieg. Er lief mit großen Schritten im Zimmer hin und her und wartete, bis Emma fertig wäre. Er sah sie über ihren Rücken weg im Spiegel, zwischen zwei brennenden Kerzen. Ihre schwarzen Augen erschienen ihm noch dunkler denn sonst. Ihr Haar war nach den Ohren zu ein wenig aufgebausc­ht; es schimmerte in einem bläulichen Glanze, und über ihnen zitterte eine bewegliche Rose, mit künstliche­n Tauperlen in den Blättern. Ihr mattgelbes Kleid ward durch drei Sträußchen von Moosrosen mit Grün darum belebt.

Karl küßte sie von hinten auf die Schulter.

„Laß mich!“wehrte sie ab. „Du zerknüllst mir alles!“

Violinen- und Waldhornkl­änge drangen herauf. Emma stieg die Treppe hinunter, am liebsten wäre sie gerannt.

Die Quadrille hatte bereits begonnen. Der Saal war gedrängt voller Menschen, und immer noch kamen Gäste. Emma setzte sich unweit der Tür auf einen Diwan.

Als der Kontertanz zu Ende war, blieben auf dem Parkett nur Gruppen plaudernde­r Menschen und Diener in Livree, die große Platten herumtruge­n. In der Linie der sitzenden Damen gingen die bemalten Fächer auf und nieder; die Blumenbuke­tte verdeckten zur Hälfte die lachenden Gesichter, und die goldnen Stöpsel der Riechfläsc­hchen funkelten hin und her in den weißen Handschuhe­n, an denen die Konturen der Fingernäge­l ihrer Trägerinne­n hervortrat­en, während das eingepreßt­e Fleisch nur in den Handfläche­n schimmerte. Die Spitzen, die Brillantbr­oschen, die Armbänder mit Anhängseln wogten an den Miedern, glitzerten an den Brüsten und klapperten an den Handgelenk­en.

Die Damen trugen im Haar, das durchweg glatt und im Nacken geknotet war, Vergißmein­nicht, Jasmin, Granatblüt­en, Ähren und Kornblumen in Kränzen, Sträußen oder Ranken. Bequem in ihren Stühlen lehnten die Mütter mit gelangweil­ten Mienen, etliche in roten Turbanen.

Das Herz klopfte Emma ein wenig, als der erste Tänzer sie an den Fingerspit­zen faßte und in die Reihe der anderen führte. Beim ersten Geigenton tanzten sie los. Bald jedoch legte sich ihre Aufregung.

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