Donau Zeitung

Als die Nation das Sporteln lernte

Vor genau 50 Jahren, am 16. März 1970, startete in Deutschlan­d die größte Fitness-Breitenspo­rtaktion aller Zeiten – mit Trimmy als „Vorturner“sowie vielen positiven Neben- und Langzeitwi­rkungen

- VON GÜNTER STAUCH

Er erblickte das Licht der deutschen Welt am 16. März 1970. Zu einem Zeitpunkt, als das Wirtschaft­swunder der Nachkriegs­zeit, das zu einer Wohlstands­gesellscha­ft im ganzen Land geführt hatte, begann, auch seine Schattense­iten zu zeigen: Die Zahl der Herz- Kreislaufe­rkrankunge­n war dramatisch angestiege­n, ein Drittel der Männer und 40 Prozent der Frauen brachten durchschni­ttlich sieben Pfund Übergewich­t auf die Waage. Ende der Sechzigerj­ahre trieben nur 16 Prozent der Deutschen regelmäßig Sport. Und Trimmy, so der Name des „Neugeboren­en“sollte die bewegungst­rägen Landsleute wieder vom Sofa herunterlo­cken.

Mit hochgereck­tem Daumen stand das Maskottche­n des damaligen Deutschen Sportbunde­s, einem Vorläufer des heutigen Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB), an der Spitze einer mit ihm eingeleite­ten Fitnesswel­le zur Leibesertü­chtigung eines ganzen Volkes. Dabei diente der freundlich­e kleine Mann, der laut seinem Zeichner

Dieter Sihler „weder Supermann noch Held, sondern ein ganz durchschni­ttlicher, kleiner, schmächtig­er und unscheinba­rer Bursche“darstellen sollte, als eine Art Mehrzweckw­affe für die neue Fitness im Land: Es gab ihn in schwarz-weißen und farbigen Versionen, als Läufer, Radfahrer und Wanderer, als Tischtenni­s-, Federball- und Hockeyspie­ler. Mit Fußball, Hanteln und Golfschläg­er, mit Badehose Schwimmflo­ssen, auf Skiern und Schlittsch­uhen. Das Motto der ganzen Bewegungsk­ampagne: „Trimm Dich Fit“. Mit dem fröhlichen Männchen an ihrer Spitze und flotten Sprüchen, die heute nach 50 Jahren eher an Kalauer aus vergangene­n Zeiten erinnern, machte sich die Nation auf die Beine. „Ein Schlauer trimmt die Ausdauer“, „Lauf mal wieder“oder „Kick mal wieder“lauteten vor einem halben Jahrhunder­t die Botschafte­n an den Bürger, den rund 250 000 Herzinfark­ten und dem Wohlstands­speck einfach davonzuren­nen.

Seinerzeit schwappte eine Welle der Bewegung über die Bundesrepu­blik, lange bevor es Aerobic,

Walking oder Mountainbi­ken erfunden wurde. Sichtbare Überbleibs­el aus dieser Zeit stellen auch in unserer Region die zwei bis vier Kilometer langen Parcours dar, die zwar offiziell den Namen „Trimm-Dich-Pfad“ausweisen, mit Trimmy und seiner Aktion zwar direkt nichts zu tun haben, letztlich aber ein Ergebnis der anrollende­n Fitness-Welle waren.

Um Breitenspo­rt im wörtlichen Sinne, für den damals kräftig wie erfolgreic­h geworben wurde, geht es bei Beidem. „Der ist heute wichtiger denn je“, betont Alfons Strasser, noch etwas außer Atem vor einer der insgesamt 20 Stationen am gut gepflegten Trimm-Dich-Pfad von Dillingen. Mit der 70er-Jahre-Initiative, so der Kreisvorsi­tzende beim Bayerische­n Landes-Sportverba­nd (BLSV), sei eine wichtige Gegenposit­ion zum Sitzen bei Arbeit und Alltag geschaffen worden. Strasser lobt den vorbildlic­hen Einsatz der noch heute offizielle­n Symbolfigu­r Trimmy beim DOSB und setzt dann zu einer weiteren Serie von Klimmzügen an der Reckstange an.

Dort, im Dunstkreis der schönen blauen Donau und inmitten schattiger Auwälder, bietet sich – wohl ganz im Sinne von Trimmy – die umfassende Klaviatur von sportliche­r Bewegung an: Dauerlauf und Gymnastik genauso wie Turnen und Kraftsport. Die idyllisch zwischen Seen und Bäumen gelegene Strecke findet eine gute Bewertung bei den Fitnessexp­erten der Homepage www.trimm-dich-pfad.com, auf der Sporthungr­ige viele nützliche Hinweise zu den Fitness-Anlagen in ganz Deutschlan­d mitnehmen können. Wie bei den ähnlichen Pfaden in Gundelfing­en und Wittisling­en reicht das Programm von A wie Armkreisen bis Z wie Zwischendu­rch-Laufen. Dort sind Kniewippen, Rumpfschwi­ngen und Wanderhang­eln angesagt – wie auch Balanciere­n, Armheben, Beinspreiz­en und die unvermeidl­iche Liegestütz­e. Große Tafeln mit schwarz-weißen Übungsfigu­ren begleiten den Nutzer der in die Jahre gekommenen Stützpunkt­e aus der guten alten „Kreidezeit“. Wer zu Corona-Zeiten auf den Trimm-Dich-Pfaden sportelt, sollte allerdings HandschuSt­retching, he benutzen oder sich zumindest nachher die Hände waschen.

Dass die vor 50 Jahren losgetrete­ne „Trimmwelle“Sinn machte, wer könnte das besser beurteilen als Max Wetzstein, Ehrenvorsi­tzender des TV Gundelfing­en. „Man hat die Leute in Bewegung gebracht“, blickt das „Turner-Urgestein“beim mit 1500 Mitglieder­n zweitgrößt­en Verein im Landkreis zurück. Für den 82 Jahre alten Barren-Spezialist­en gilt das regelmäßig­e Sportabzei­chen noch heute zu den Pflichtübu­ngen des Alltags. „Vier Diszipline­n inklusive Radfahren – aber keineswegs mit dem E-Bike“, gibt der erfahrene wie erfolgreic­he Senior lachend zu verstehen.

Apropos „Olympiade des kleinen Mannes“, wie die Ehrung sportliche­r Vitalität scherzhaft tituliert wird: Christine Sextl, beim BLSVKreisv­erband dafür zuständige Referentin, zweifelt an dem Ursprung des sportliche­n Aufbruchs 1970: „Das war lediglich eine Modeersche­inung und die Leute kamen nicht zu dick daher, sondern hatten hart gearbeitet und kaum Zeit für Sport“, unterstrei­cht Sextl, die sich als aktive Läuferin auf Distanzen jenseits der 100 Kilometer wohlfühlte. „Da wurde auch noch am Samstag geschuftet. Und wer hat dann am späten Nachmittag noch Lust aufs Laufen?“, gibt sie zu verstehen. Die „fetten Jahre“bei den Deutschen sieht die flotte Frau erst später gekommen, nämlich als die Fast-Food-Lokale aus dem Boden gesprossen seien.

Schnelles Essen war auch noch nie Sache von Werner Friedel, Coach bei der LG Zusam und fit wie der sprichwört­liche Turnschuh. Aber: „So einen Trimmpfad habe ich noch nie betreten.“Fachlich gesehen bewertet der Zehnkämpfe­r den Raum Wertingen als „Breitenspo­rt-Diaspora“. Einzig im Buttenwies­ener Ortsteil Lauterbach habe es in den 80er-Jahren zusammen mit der Krankenkas­se eine Laufaktion nebst gymnastisc­her Übungen gegeben. „Da machten bis zu 50 Leute mit. Und als Belohnung gab es dann die begehrten Trimm-Taler, die so groß waren wie Fünf-Mark-Stücke.“Damals die Zusamtaler auf die Beine gebracht zu haben, dürfte einen unbezahlba­ren Wert darstellen.

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Foto: G. Stauch Fit wie ein Turnschuh: BLSV-Kreisvorsi­tzender Alfons Strasser auf dem Trimm-Dich-Pfad in Dillingen. Der Parcours an der Donau ist einer von nur drei Anlagen seiner Art im Landkreis.

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