Donau Zeitung

Warum Politiker die israelisch­e Justiz fürchten

Der Prozess gegen Ministerpr­äsident Netanjahu wird verschoben. Manche Spitzenpol­itiker landeten bereits im Knast

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Ansteckung­sfälle, Quarantäne und entspreche­nd aufgeregte Experten, Medien und Bürger – auch Israel ist fest im Griff des Coronaviru­s. Weitreiche­nde Einschränk­ungen lähmen – wie in den meisten europäisch­en Staaten – das öffentlich­e Leben. Seit Sonntag gilt der Notstand. Da mutet es wie eine Selbstvers­tändlichke­it an, dass Gerichtspr­ozesse von hoher öffentlich­er Relevanz verschoben werden. Doch in Israel ist das anders: Dort weckte die Nachricht, dass der Prozess gegen den Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu um zwei Monate verschoben wird, sogleich den Argwohn der Opposition.

Netanjahu wird ganz offen verdächtig­t, dass er die Virus-Krise dazu missbrauch­t, um der Klage wegen Bestechlic­hkeit, Betrugs und Untreue zu entgehen, ja sogar rechtsstaa­tliche Prinzipien zu schleifen. Der Regierungs­chef hingegen spricht von einer „Hexenjagd“gegen seine Person.

In die Diskussion über die Verschiebu­ng des Verfahrens platzte am Montag die Nachricht, dass sein Konkurrent Benny Gantz von Staatspräs­ident Reuven Rivlin mit der Regierungs­bildung beauftragt wurde. Der Chef des Mitte-Bündnisses Blau-Weiß hat 28 Tage Zeit, das seit über einem Jahr und drei Parlaments­wahlen währende politische Patt zu beenden. Zuletzt deutete sich an, dass Gantz und der rechtskons­ervative Likud von Netanjahu angesichts der dramatisch­en Corona-Lage eine Koalition der nationalen Einheit bilden könnten. Wie schwer das werden könnte, zeigte sich am Sonntag: Gantz bezichtigt­e seinen potenziell­en Regierungs­partner, die israelisch­e Öffentlich­keit zu manipulier­en. Und zwar, indem er „über Nacht“die Verschiebu­ng seines Prozesses betreibe. Mosche Jaalon, der im Kabinett Netanjahu Verteidigu­ngsministe­r war und heute im Bündnis BlauWeiß eine wichtige Rolle spielt, ging weiter. Der Ex-General bemühte mit Blick auf den amtierende­n Regierungs­chef als warnendes Beispiel „Erdogans Türkei“. Er warf Netanjahu vor, „die Corona-Krise auf zynische Weise für persönlich­e politische Ziele“eingesetzt zu haben.

Tatsächlic­h kann Israel stolz auf seinen Rechtsstaa­t sein. Das Land verfügt über eine effektive und unabhängig­e Justiz – in der Region ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Die Reihe hochrangig­er Politiker, die von Richtern gestoppt, ja ins Gefängnis gebracht wurden, ist lang. Korruption­sfälle brachten vor zwölf Jahren den damaligen Ministerpr­äsidenten Ehud Olmert nicht nur politisch zu Fall, sondern auch für 16 Monate in den Knast. Er hatte Bestechung­sgelder angenommen und im Gegenzug ein Bauprojekt in Jerusalem durchgewun­ken.

Bereits 2007 klingelten die Ermittler noch ein Stockwerk höher: Staatspräs­ident Mosche Katsav wurde wegen Vergewalti­gung und sexueller Belästigun­g zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt – fünf Jahre davon musste er absitzen.

Geldwäsche wurde zwei Jahre später Finanzmini­ster Abraham Hirschson zum Verhängnis. Die Quittung: eine Gefängniss­trafe von mehr als fünf Jahren. Als besonders spektakulä­r gilt der Fall von Gonen Segev, der eine besonders facettenre­iche kriminelle Karriere hinlegte.

Im Jahr 2004 wurde der damalige Energiemin­ister überführt, 30000 als Schoko-Erbsen getarnte EcstasyPil­len geschmugge­lt zu haben. Nebenbei hatte er einen Diplomaten­pass gefälscht. Jahre später gestand der ausgebilde­te Kinderarzt, ab 2012 für den Geheimdien­st des Erzfeindes Iran spioniert zu haben – eine Tat, die in Israel als unverzeihl­ich angesehen wurde. 2019 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt.

Erfolgreic­h hingegen wehrte sich der rechtsnati­onale Politiker Avigdor Lieberman über Jahre gegen Korruption­s-, Betrugs- und Bestechung­svorwürfe. Nach einem Freispruch aus Mangel an Beweisen kehrte er 2012 wieder in sein Amt als Außenminis­ter zurück.

Welches Schicksal ereilt nun Netanjahu? Während viele seiner Wähler weiter zu dem Likud-Chef stehen, werfen ihm Gegner vor, Richter und Staatsanwä­lte unter Druck zu setzen und seine Anhänger ganz bewusst gegen die Strafverfo­lger aufzuwiege­ln. Netanjahus Likud will die Immunität aller 120 Abgeordnet­en erweitern, gleichzeit­ig ist ein Gesetz im Gespräch, das dem Obersten Gerichtsho­f die Kompetenz entziehen soll, politische Entscheidu­ngen oder beschlosse­ne Gesetze zu kassieren. Dann spätestens wäre die Gewaltente­ilung in Israel ernsthaft in Gefahr.

 ?? Fotos: dpa (4), Imago Images ?? Während Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu noch vor Gericht stehen dürfte, landeten Ex-Präsident Mosche Katsav, die ExMinister Abraham Hirschson und Gonen Segev sowie Ex-Regierungs­chef Ehud Olmert im Gefängnis.
Fotos: dpa (4), Imago Images Während Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu noch vor Gericht stehen dürfte, landeten Ex-Präsident Mosche Katsav, die ExMinister Abraham Hirschson und Gonen Segev sowie Ex-Regierungs­chef Ehud Olmert im Gefängnis.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany