„Nach Amazon sind wir die Nummer zwei“
Der Chef von Weltbild, Christian Sailer, erklärt im Gespräch, was die Corona-Krise für sein Unternehmen bedeutet, wie die Zukunft des Lesens aussieht – und wie der Einzelhändler die Insolvenz 2014 verarbeitet hat
Herr Sailer, wie gehen Sie bei Weltbild jetzt mit dem Coronavirus um? Was bedeutet es für Ihr Geschäft? Christian Sailer: Es handelt sich um eine nie da gewesene Ausnahmesituation, mit der wir verantwortungsbewusst umgehen müssen. Wir sind vor allem im Onlinehandel tätig. Dieser macht 80 Prozent unseres Geschäftes aus. Die gute Nachricht ist: Die Kunden können weiter bestellen, für den Warenverkehr gibt es keine Einschränkung, der Onlinehandel läuft weiter. Im Filialgeschäft spüren wir aber die Corona-Krise. Wir sind gebunden an die Weisungen der Länder, das heißt zum Beispiel, dass in Bayern unsere Filialen ab Mittwoch geschlossen sein werden. Das werden wir merken, zum Glück sind wir aber nicht ganz so abhängig vom Filialgeschäft.
Wie stellt sich Weltbild in der täglichen Arbeit auf das Virus ein?
Sailer: Wir wollen unserer Verantwortung für unsere Mitarbeiter gerecht werden. Hier in der Zentrale in Augsburg läuft der Betrieb. Wir achten auf die verschärften Hygieneregeln, mehr Abstand, verzichten auf Meetings und Dienstreisen und so weiter. Mütter sind aktuell teilweise zu Hause. Andere Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice, wir haben die Möglichkeiten hierfür ausgebaut.
Lassen Sie uns zu einem längerfristigen Thema kommen – dem Lesen. Auf den Straßen schauen heute viele Menschen in ihr Smartphone. Gerät das Buch außer Mode?
Sailer: Nein, das gedruckte Buch behält seine Berechtigung. Die Menschen schätzen es nach wie vor, es sich zu Hause mit einer Tasse Tee und einem gedruckten Buch gemütlich zu machen. Der Markt ist recht stabil und über 90 Prozent der verkauften Bücher sind gedruckte Exemplare. Erst wenn man zum Beispiel in den Urlaub fährt, nehmen viele gerne einen E-Reader mit, um ein E-Book zu lesen.
Zeitweise hatte man die Erwartung, dass das E-Book das gedruckte Buch verdrängen könnte. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein … War es nur ein Hype?
Sailer: Der E-Book-Bereich ist tatsächlich ein kleines Segment geblieben, das aber sehr stabil und ein fester Teil des Marktes ist. Das ist nicht mehr wegzudenken. Was sich interessanterweise nicht durchgesetzt hat, ist, Bücher auf dem Tablet oder dem Smartphone zu lesen. Rund 80 Prozent der E-Books werden auf einem E-Reader gelesen. Wir bei Weltbild haben aus diesem Grund kürzlich drei neue Modelle unseres E-Readers Tolino auf den Markt gebracht und eines aktualisiert. Und bei den Marktanteilen sind die
Buchhändler der Tolino-Allianz auf einer Augenhöhe mit dem Kindle von Amazon.
Wie sieht Ihrer Meinung nach das Lesen in Zukunft aus?
Sailer: Die Menschen lieben Geschichten, das gilt auch weiterhin. Was sich ändert, ist die Darreichungsform von Inhalten. Neben gedruckten Büchern werden E-Books gelesen, Hörbücher gehört. Die Menschen suchen aber auch über das Internet nach Ratgeber-Themen – zum Beispiel zu Gesundheit oder Garten. Weltbild bietet aus diesem Grund auch OnlineKurse an. Menschen wollen aber auch unterhalten werden. Bereits heute gibt es bei uns ein InternetRadio mit Volksmusik, Schlagern oder Rock. Wir werden außerdem bald ein Streaming-Portal freischalten, auf dem man zum Beispiel Serien schauen kann. Die Kunden müssen heute über mehrere Sinne angesprochen und über mehrere digitale Kanäle erreicht werden.
Welche Rolle spielt da noch das klassische Buch für Weltbild?
Sailer: Das Buch ist und bleibt zentral für Weltbild. Wenn ein Kunde bei uns zum Beispiel einen Artikel aus dem Deko-, Gesundheits- oder Gartensortiment bestellt, ist immer auch ein Buch dabei. Unter den Neukunden, die wir vergangenes Jahr gewinnen konnten, kam der größte Anteil über das Buch zu uns.
Kommen Sie aber am Ende gegen den Riesen Amazon an?
Sailer: Nach Amazon sind wir die Nummer zwei im deutschen OnlineBuchhandel. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres sind wir zudem wieder schön gewachsen. Wir sehen bei Weltbild unsere Stärke darin, nicht nur eine lose Aneinanderreihung von Produkten zu bieten, sondern als Ratgeber für unsere Kunden zu agieren. Wer nach einem Thema sucht, findet also bei uns Antworten und dazu die passenden Bücher und Produkte. Wir sprechen von einem kuratierten Umfeld – dieser Begriff ist zentral für uns. Angenommen ein Kunde hat Fragen zum Thema Arthrose und begibt sich im Internet auf die Suche. Er findet dann bei Weltbild ein Buch und bekommt dazu zum Beispiel gleich eine Bandage angeboten.
Da brauchen Sie wahrscheinlich inzwischen mehr Computer-Experten und Daten-Analysten?
Sailer: Seit zwei Jahren sind bei uns Spezialisten im Einsatz, die sehr stark darin sind, das Kundenverhalten zu analysieren. Big Data – das Auswerten großer Datenmengen – ist hier ganz zentral. Rund 50 Prozent unserer Kunden kommen über Suchmaschinen zu uns. Wir wissen heute sehr genau, was die Kunden suchen, was sie interessiert und was wir ihnen anbieten können. Von der Software-Seite sind wir inzwischen top aufgestellt.
Wollen Sie angesichts des OnlineHandels noch an den Filialen festhalten?
Sailer: Wir wollen unbedingt an unseren Filialen festhalten. Mit dem Filialnetz wird Weltbild von den Kunden gesehen und wahrgenommen. Derzeit betreiben wir rund 100 Filialen und erwirtschaften damit zwischen 15 bis 20 Prozent des Umsatzes. Mit dieser Größe fühlen wir uns wohl. Vertreten sind wir in kleineren bis mittleren Städten und wollen auch wieder neue Geschäfte eröffnen. Früher waren an vielen Standorten die Mieten zu hoch. Diese Standorte haben wir aufgegeben.
Wie steht Weltbild heute da? Im Jahr 2014 hatte Weltbild mit der Insolvenz ja eine schwere Zeit erlebt …
Sailer: Die Geschäftslage sieht gut aus. Wir haben vergangenes Geschäftsjahr ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Damit schließen wir zum dritten Mal in Folge mit einem Gewinn ab. Wir erwarten, dass wir auch dieses Jahr positive Ergebnisse schreiben können und der Umsatz wächst. Vergangenes Geschäftsjahr hat Weltbild rund 400 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, dieses Jahr wollen wir auf 450 Millionen Euro kommen. Dabei hilft uns, dass wir im Herbst die Gärtnerei Pötschke übernommen haben, den ältesten deutschen Versender, für alles, was grünt und blüht. Damit haben wir ein Anker-Investment für die Kategorie Natur und Garten getätigt, die für unsere Kunden immer wichtiger wird. In dieses Jahr sind wir übrigens sehr gut gestartet.
Wären Sie auch dafür gerüstet, wenn die Zeiten härter würden und sich der Konsum eintrübt, zum Beispiel durch das Coronavirus?
Sailer: Finanziell sind wir heute gut aufgestellt. Unser Gesellschafter – die Droege Group aus Düsseldorf – zeigt seit Jahren sein starkes Bekenntnis zu Weltbild. Dazu kommt, dass wir heute zentralere Strukturen haben und viel schneller auf Marktsituationen reagieren können, sodass wir in Summe sehr zuversichtlich in die Zukunft blicken. Weltbild hat heute rund 300 Vollzeitmitarbeiter am Standort Augsburg, mit den Beschäftigten in den Filialen sind es rund 1000 Mitarbeiter. Dazu kommen je nach Saison rund 300 bis 400 Beschäftigte in der Logistik in Tschechien, sodass wir heute auf 1300 bis 1400 Mitarbeiter kommen.
Haben Sie die Krise aus dem Jahr 2014 also abgehakt?
Sailer: Die Krise ist definitiv vorbei. Wir sind besser aufgestellt als noch vor drei Jahren und haben viel Detailarbeit mit Blick auf die Zufriedenheit unserer Kunden geleistet. Wir sind jeder Beschwerde nachgegangen, falls zum Beispiel einmal die falsche Ware ankam. Wir haben dann jeden Kunden persönlich angeschrieben und die Probleme gelöst. Heute bekommen wir in Bewertungsportalen beste Noten für unseren Service. Da zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wie sieht Ihre Strategie für die Zukunft aus?
Sailer: Unser Ziel ist es, ein Sortiment anzubieten, das es nur bei Weltbild gibt. Heute sind dies 70 Prozent unserer Artikel. Damit sind wir nicht austauschbar. Klar, den Buch-Besteller wird man bei uns genauso wie bei anderen finden, die meisten Produkte sollen aber der Devise „Nur bei Weltbild“folgen. Dazu gehören Buch-Eigenproduktionen und eigene Produkte im Non-Media-Bereich. Wir machen große Fortschritte. Und das macht Spaß. Wir können wieder etwas vorweisen und haben viel erreicht. Gerne würden wir dies auch nach außen zeigen …
Was meinen Sie damit?
Sailer: Wir lieben Augsburg und bekennen uns zu unserem Hauptsitz. Gerne würden wir auch in eine neue Zentrale einziehen und Weltbild wieder unter einem Dach vereinen. Derzeit sind wir auf zwei Gebäude verteilt und zur Miete. Ein neues Gebäude in Augsburg zu finden, ist bisher aber sehr schwer. Mitte Mai planen wir zudem, eine Kampagne mit einem prominenten Gesicht. Wer dies ist, darf ich leider noch nicht verraten.
OChristian Sailer, 48, ist seit 2017 Chef des Einzelhandelsunternehmens Weltbild. Er wohnt in Weiden in der Oberpfalz und in Augsburg.