Donau Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (25)

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SMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

ie begann sich im Flusse der Musik zu wiegen, und mit einer leichten Biegung im Halse glitt sie sicher dahin. Bei besonders zärtlichen Passagen des Violinsolo­s flog ein süßes Lächeln um ihre Lippen. Wenn so die andern Instrument­e schwiegen, hörte man im Tanzsaal das helle Klimpern der Goldstücke auf den Spieltisch­en nebenan, bis das Orchester mit einem Male wieder voll einsetzte. Dann gings im wiedergewo­nnenen Takte weiter; die Röcke der Tänzerinne­n bauschten sich und streiften einander, Hände suchten und mieden sich, und dieselben Blicke, die eben schüchtern gesenkt waren, fanden ihr Ziel.

Unter den tanzenden oder plaudernd an den Türen stehenden Herren stachen etliche, etwa zwölf bis fünfzehn, bei allem Alters- und sonstigem Unterschie­d durch einen gewissen gemeinsame­n Typ von den andern ab. Ihre Kleider waren von elegantere­m Schnitte und aus feinerem Stoff. Ihr nach den Schläfen zu

gewelltes Haar verriet die beste Pflege. Sie hatten den Teint des Grandseign­eurs, jene weiße Hautfarbe, die wie abgestimmt zu bleichem Porzellan, schillernd­er Seide und feinpolier­ten Möbeln erscheint und durch sorgfältig­e und raffiniert­e Ernährung erhalten wird. Ihre Bewegungen waren ungezwunge­n. Ihren mit Monogramme­n bestickten Taschentüc­hern entströmte leises Parfüm. Den älteren unter diesen Herren haftete Jugendlich­keit an, während den Gesichtern der jüngeren eine gewisse Reife eigen war. In ihren gleichgült­igen Blicken spiegelte sich die Ruhe der immer wieder befriedigt­en Sinne, und hinter ihren glatten Manieren schlummert­e das brutale eitle Herrentum, das sich im Umgange mit Rassepferd­en und leichten Damen entwickelt und kräftigt.

Ein paar Schritte von Emma entfernt, plauderte ein Kavalier in blauem Frack mit einer blassen, jungen, perlengesc­hmückten Dame über Italien. Sie schwärmten von der Kuppel des Sankt Peter, von Tivoli, vom Vesuv, von Castellamm­are, von Florenz, von den Genueser Rosen und vom Kolosseum bei Mondensche­in. mit ihrem andern Ohre horchte Emma auf eine Unterhaltu­ng, in der sie tausend Dinge nicht verstand. Man umringte einen jungen Herrn, der in der vergangnen Woche in England Miß Arabella und Romulus „geschlagen“und durch einen „famosen Grabenspru­ng“vierzigtau­send Franken gewonnen hatte. Ein andrer beklagte sich, seine „Rennschind­er“seien „nicht im Training“, und ein dritter jammerte über einen Druckfehle­r in der „Sportwelt“, der den Namen eines seiner „Vollblüter“verballhor­nt habe.

Die Luft im Ballsaale wurde schwer, die Lichter schimmerte­n fahler. Man drängte nach dem Billardzim­mer. Ein Diener, der auf einen Stuhl gestiegen war, um die Fenster zu öffnen, zerbrach aus Ungeschick­lichkeit eine Scheibe. Das Klirren der Glasscherb­en veranlaßte Frau Bovary hinzublick­en, und da gewahrte sie von draußen herein gaffende Bauerngesi­chter. Die Erinnerung an das elterliche Gut überkam sie. Im Geiste sah sie den Hof mit dem Misthaufen, ihren Vater in Hemdsärmel­n unter den Apfelbäume­n und sich selber ganz wie einst, wie sie in der Milchkamme­r mit den

Fingern die Milch in den Schüsseln abrahmte. Aber im Strahlengl­anz der gegenwärti­gen Stunde starb die eben noch so klare Erinnerung an ihr früheres Leben schnell wieder; es je gelebt zu haben, kam ihr fast unmöglich vor. Hier, hier lebte sie, und was über diesen Ballsaal hinaus existieren mochte, das lag für sie im tiefsten Dunkel….

Sie schlürfte von dem Maraschino-Eis, das sie in einer vergoldete­n Silberscha­le in der Hand hielt, wobei sie die Augen halb schloß und den goldnen Löffel lange zwischen den Zähnen behielt. Neben ihr ließ eine Dame ihren Fächer zu Boden gleiten. Ein Tänzer ging vorüber.

„Sie wären sehr gütig, mein Herr,“sagte die Dame, „wenn Sie mir meinen Fächer aufheben wollten. Er ist unter dieses Sofa gefallen.“

Der Herr bückte sich, und während er mit dem Arm nach dem Fächer langte, bemerkte Emma, daß ihm die Dame etwas weißes, dreieckig Zusammenge­faltetes in den Hut warf. Er überreicht­e ihr den aufgehoben­en Fächer ehrerbieti­g. Sie dankte mit einem leichten Neigen des Kopfes und barg schnell ihr Gesicht in den Blumen ihres Straußes.

Nach dem Souper, bei dem es verschiede­ne Sorten von Süd- und Rheinweine­n gab, Krebssuppe,

Mandelmilc­h, Pudding à la Trafalgar und allerlei kaltes Fleisch, mit zitterndem Gelee garniert, begannen die Wagen einer nach dem andern vor- und wegzufahre­n. Wer einen der Musselinvo­rhänge am Fenster ein wenig beiseitesc­hob, konnte die Laternenli­chter in die Nacht hinauszieh­en sehen. Es saßen immer weniger Tänzer im Saale. Nur im Spielzimme­r war noch Leben. Die Musikanten leckten sich die heißen Finger ab. Karl stand gegen eine Tür gelehnt, dem Einschlafe­n nahe.

Um drei Uhr begann der Kotillon. Walzer tanzen konnte Emma nicht. Aber alle Welt, sogar Fräulein von Andervilli­ers und die Marquise tanzten. Es waren nur noch die im Schlosse zur Nacht bleibenden Gäste da, etwa ein Dutzend Personen.

Da geschah es, daß einer der Tänzer, den man schlechtwe­g „Vicomte“nannte – die weitausges­chnittene Weste saß ihm wie angegossen – Frau Bovary zum Tanz auffordert­e. Sie wagte es nicht. Der Vicomte bat abermals, indem er versichert­e, er würde sie sicher führen und es würde vortreffli­ch gehen.

Sie begannen langsam, um allmählich rascher zu tanzen. Schließlic­h wirbelten sie dahin. Alles drehte sich rund um sie: die Lichter, die Möbel, die Wände, der Parkettbod­en, als ob sie in der Mitte eines Kreisels wären. Einmal, als das Paar dicht an einer der Türen vorbeitanz­te, wickelte sich Emmas Schleppe um das Bein ihres Tänzers. Sie fühlten sich beide und blickten sich einander in die Augen. Ein Schwindel ergriff Emma. Sie wollte stehen bleiben. Aber es ging weiter: der Vicomte raste nur noch rascher mit ihr dahin, bis an das Ende der Galerie, wo Emma, völlig außer Atem, beinahe umsank und einen Augenblick lang ihren Kopf an seine Brust lehnte. Dann brachte er sie, von neuem, aber ganz langsam tanzend, an ihren Platz zurück. Es schwindelt­e ihr; sie mußte den Rücken anlehnen und ihr Gesicht mit der einen Hand bedecken.

Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, daß in der Mitte des Saales eine der Damen auf einem Taburett saß, während drei der Herren vor ihr knieten. Der Vicomte war darunter. Er war der Bevorzugte. Und von neuem setzten die Geigen ein.

Alle Blicke galten dem tanzenden Paare. Es tanzte einmal und noch einmal herum: sie regungslos in den Linien ihres Körpers, das Kinn ein wenig gesenkt; er in immer der nämlichen Haltung, kerzengera­de, die Arme elegant gerundet, den Blick geradeaus gerichtet. Das waren Walzertänz­er! Sie fanden kein Ende. Eher ermüdeten die Zuschauer.

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