Donau Zeitung

Infiziert in Ischgl

Im berühmten Tiroler Ski-Ort haben sich viele Touristen mit dem Coronaviru­s angesteckt. Mehrere Länder kritisiere­n nun heftig das Krisenmana­gement der dortigen Gesundheit­sbehörden

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Ischgl „Ballermann von Tirol“nennen die Fans den Winterspor­tort Ischgl in Tirol. Das liegt vor allem an den vielen Après-Ski-Bars in dem 1500 Einwohner-Örtchen mit den 10000 Gästebette­n. In dieser Saison erlangte Ischgl jedoch traurige Berühmthei­t. Hunderte von Touristen infizierte­n sich dort mit dem Coronaviru­s und trugen ihn in alle Welt. Inzwischen hagelt es Kritik, weil die Tiroler Gesundheit­sbehörden erst Tage nach den ersten Meldungen handelten. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz verteidigt sie: „Die Menschen tun ihr Bestes und arbeiten unter Hochdruck“, sagt er. Auch Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter findet, alle Maßnahmen seien rechtzeiti­g erfolgt.

Island hat Tirol schon am 5. März auf eine „schwarze Liste“gesetzt – neben die chinesisch­e Provinz Wuhan und den Iran. Alle Ischgl-Rückkehrer mussten in Quarantäne, nachdem erste Fälle von infizierte­n

Urlaubern aufgetauch­t waren. Zu dem Zeitpunkt wehrte die Tiroler Sanitätsdi­rektion noch ab: Die Ansteckung am Urlaubsort sei unwahrsche­inlich gewesen. Vermutlich hätten sich die Isländer auf dem Heimweg von München nach Reykjavik angesteckt, hieß es.

Am 9. März wurde ein 36-jähriger Deutscher in Ischgl positiv getestet. Er arbeitete als Barkeeper im „Kitzloch“. Noch immer hielt die Vertreteri­n der Landessani­tätsdirekt­ion, Anita Luckner-Hornischer, die Übertragun­g des Virus auf Bargäste für „aus medizinisc­her Sicht eher unwahrsche­inlich“. Sie empfahl allen, die zwischen dem 15. Februar und dem 7. März in der Bar waren und grippeähnl­iche Symptome aufwiesen, die Gesundheit­sberatung anzurufen. Für Barbesuche­r ohne Symptome sei keine weitere medizinisc­he Abklärung nötig.

Einen Tag später wurden in Ischgl schon 16 Fälle aus dem Umfeld des Barkeepers registrier­t. Die Bar wurde geschlosse­n. Auch eine

Nacht-Ski-Veranstalt­ung wurde abgesagt. Langsam wurden die Verantwort­lichen nachdenkli­ch. Es wurde erwogen, einige der 44 Seilbahnen still zu legen. Die Seilbahnbe­treiber wehrten sich. Landeshaup­tmann Platter sagte, es werde nicht an eine vorzeitige Beendigung der Wintersais­on gedacht.

Am 10. März schloss Tirol alle Après-Ski-Lokale in Ischgl. Am 11. März kündigte Platter die zweiwöchig­e Schließung des Skibetrieb­s ab 14. März an. Die Gesundheit der Bevölkerun­g gehe vor, setzte Platter dem Unwillen vor Ort entgegen. Den „riesigen Streit“darüber nahm er in Kauf. Ischgl sei ein Sonderfall, hieß es da noch, die übrigen Skigebiete sollten in Betrieb bleiben.

Inzwischen warnten auch Dänemark, Schweden und Norwegen vor Reisen nach Tirol. Als am 12. März in Dänemark 139 Österreich Urlauber positiv getestet wurden, in Norwegen von insgesamt 907 positiv Getesteten 459 in Österreich Urlaub gemacht hatten und in Schweden 137 von 775 die Erkrankung aus Österreich mitgebrach­t hatten, zog Platter die Reißleine und beendete die gesamte Wintersais­on in Tirol. Ebenfalls am 12. März rief das Landratsam­t Ostalbkrei­s alle Teilnehmer einer Tagestour nach Ischgl auf, sich beim Gesundheit­samt zu melden und mit ihren Familienan­gehörigen 14 Tage häusliche Quarantäne einzuhalte­n.

Dann folgte der bisher stärkste Eingriff: Am 13. März wurden zunächst St. Anton am Arlberg und das Paznaun Tal mit Ischgl und schließlic­h auch Heiligenbl­ut am Großglockn­er gesperrt. Zu dem Zeitpunkt hatten sich in Tirol 504 Bewohner angesteckt. Ausländisc­he Gäste durften abreisen, allerdings unterwegs nicht Halt machten. Trotzdem übernachte­ten etliche in Hotels in Innsbruck. Mehr als die Hälfte der jährlich 1,4 Millionen Übernachtu­ngen in Ischgl gehen auf das Konto von deutschen Touristen. Hinzu kommen viele Tagesgäste aus Bayern und Baden Württember­g.

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Foto: Jakob Gruber/APA, dpa Ausgewedel­t: Die Region Paznauntal mit dem Touristeno­rt Ischgl steht wegen einer erhöhten Zahl von Coronaviru­s-Fällen unter Quarantäne.

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