Ein Horrorszenario im dichten Nebel
Vor 40 Jahren stürzte bei Hafenreut im Donau-Ries-Kreis ein Düsenjäger der Bundeswehr ab. Der Pilot verhinderte wohl im letzten Moment eine Katastrophe – und bezahlte dies mit seinem Leben. Zeitzeugen erinnern sich
Kaisheim-Hafenreut Auch nach 40 Jahren erinnert sich Josef Czernich noch genau an jeden Moment an dem kalten, nebligen Morgen des 13. März 1980. Der Hausmeister der Kaisheimer Schule hält sich auf deren Hof auf, als um 7.15 Uhr zwei Düsenjäger über den Ort donnern: „Im nächsten Moment gab es einen dumpfen Knall, und der Strom fiel aus.“Wenige Augenblicke später heult in Kaisheim bereits die Sirene. Feuerwehrkommandant Czernich eilt sofort zum Gerätehaus und rückt mit seinen Kameraden aus. Unter diesen ist auch Rudolf Mieling, damals gerade mal 21 Jahre alt. Der Bundeswehrsoldat hat an jenem Tag Urlaub. Die Einsatzkräfte eilen den Berg hinauf in Richtung Hafenreut. Dort ist – darauf deutet alles hin – ein Flugzeug abgestürzt, und zwar direkt östlich des höchstgelegenen Dorfs im Landkreis.
Doch die Sicht ist wegen dichten Nebels und Schneeregens so schlecht, dass die Männer erst nach der vermeintlichen Unglücksstelle suchen müssen. „Was passiert war, sahen wir erst, als wir direkt davorstanden“, erinnert sich Mieling. 30 bis 40 Meter neben der Straße in Richtung Leitheim tut sich auf einem Acker ein Krater auf. Drumherum nichts als Zerstörung. Die Maschine – ein Starfighter der Bundeswehr – ist mit derartiger Wucht aufgeschlagen, dass der tonnenschwere Stahlvogel in Abertausende Teile zerfetzt wurde, die sich über eine Distanz von fast einem Kilometer verteilten, hauptsächlich im Wald. „Das war richtig gruselig“, beschreibt Mieling die Szenerie. Er habe in den folgenden Jahrzehnten nie wieder etwas Vergleichbares erlebt, erzählt der Kaisheimer, der inzwischen als Kreisbrandrat tätig ist: „Es roch nach Kerosin, und es knisterte, da viele der Teile brannten.“Was die Einsatzkräfte am meisten belastet: Überall liegen Leichenteile verstreut.
Nach und nach wird auch deutlich, wie viel Glück die Bewohner von Hafenreut hatten. Czernich, der im März 1980 als Einsatzleiter fungiert, erfährt später, dass die Piloten der beiden Maschinen zum Jagdbombergeschwader 34 in Memmingen gehören. Sie sind dort bei schönem Wetter gestartet und wohl auf Sicht geflogen, also ohne Orientierungshilfe durch technische Geräte.
Die Piloten dürften diese Runde schon oft geflogen sein. Jedoch: Im Raum Kaisheim rasen sie unerwartet in eine Nebelwand. Einer der Piloten – ein 36-jähriger Hauptmann – verliert anscheinend die Orientierung, bemerkt, dass er zu niedrig ist, erblickt Häuser, zieht den Starfighter hoch, um nicht in die Gebäude zu rasen, und verliert die Kontrolle über den Kampfbomber. Der durchtrennt eine Stromleitung, und die Maschine bohrt sich Bruchteile einer Sekunde später in den Untergrund.
Vier Waldarbeiter, die sich schätzungsweise 100 Meter davon entfernt im Forst befinden, erblicken einen großen Feuerball. Die Männer – so berichten sie später unserer Zeitung – werfen sich instinktiv auf den Boden, spüren die Druckwelle und hören das Pfeifen von Trümmern, die durch die Luft schießen, Bäume köpfen, Zweige abreißen und kleinere Stämme fällen.
Die Arbeiter sind nicht die Einzigen, die den Unfall in unmittelbarer Nähe erleben. Schließlich sind viele Menschen gerade zur Arbeit oder zur Schule unterwegs. Ein Radfahrer, der dem schlechten Wetter trotzt und sich auf der Straße nahe der Absturzstelle befindet, wird durch die Explosion von seinem Gefährt geschleudert. Ein Wemdinger, der mit seinem Auto in Richtung Marxheim unterwegs ist, spürt etwa 100 Meter östlich von Hafenreut durch die Scheiben des Pkw die Hitze des Feuerballs. Wenige Augenblicke vorher, so schildert Josef Czernich, hat der Schulbus, der Kinder aus Altisheim und Leitheim nach Kaisheim bringt, den Unglücksort passiert.
Den Feuerwehrleuten aus der Umgebung und aus Donauwörth bleibt nur noch, die Flammen in der Landschaft und im Wald zu löschen. Dann kommen Bundeswehr-Einheiten aus Donauwörth und Neuburg und riegeln das Areal weiträumig ab. Zwei Tage lang werden Flur und Forst zum militärischen Sperrgebiet erklärt, ehe die Spuren gesichert und die Trümmer eingesammelt sind.
Im Laufe des Unglückstags treffen die Witwe des getöteten Piloten und weitere Angehörige in Kaisheim ein – und werden im Feuerwehrhaus von Offizieren informiert und betreut. Dabei bekommt Kommandant Czernich erschütternde Details mit: „Der Hauptmann war ein sehr erfahrener Pilot und hätte eigentlich gar nicht mehr zu fliegen brauchen.“Am 13. März sei er aber auf eigenen Wunsch nochmals zu einem Übungsflug aufgebrochen.
Neben Josef Czernich, 81, und Rudolf Mieling erinnern sich viele Menschen in Hafenreut und Umgebung noch heute an das schreckliche Ereignis. Erst vor einigen Monaten kam die Gemeinde Kaisheim in den Besitz einiger Teile, die von dem zerstörten Starfighter stammen. Passanten fanden die weißen, dünnen Kabel, ein kleines Typenschild eines Bauteils mit der Aufschrift „Nobles Engine“und die Metallsplitter samt Schraube offenbar in der Landschaft. Sie gelangten nach Donauwörth und wurden dort im Stadtarchiv über Jahrzehnte aufbewahrt, eingewickelt in Papier. Nun werden sie im Archiv der Marktgemeinde verwahrt als Überbleibsel einer Beinahe-Katastrophe.
Mann wird von seinem Fahrrad geschleudert