Donau Zeitung

Dem neuen Bischof auf der Spur

Am Samstag sollte Bertram Meier zum Augsburger Oberhirten geweiht werden. Wegen der Corona-Pandemie wurde der Festakt jedoch abgesagt. Wie der katholisch­e Geistliche auf beides reagiert und warum ihm die gegenwärti­ge Lage in Italien besonders ans Herz geh

- VON ALOIS KNOLLER UND JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Augsburg/Rom Im Flur seines Hauses in Sichtweite des Augsburger Doms hängt der Bischofsor­nat. Der römische Papstschne­ider Gamarelli hat ihn kürzlich erst für Bertram Meier gefertigt, einen Talare filetata mit roten Säumen und Knöpfen. Samt einer Pelerina, einem Cape, das der Wind kirchliche­n Würdenträg­ern manchmal um die Ohren flattern lässt. Der Bischofsor­nat wird noch eine Weile lang im Flur Meiers hängen bleiben müssen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Weihe des ernannten Bischofs von Augsburg „bis auf Weiteres“verschoben.

Am vergangene­n Freitagabe­nd steht Meier vor der Tür seines Hauses und erklärt vor laufender Fernsehkam­era die Gründe. Das öffentlich­e Interesse ist groß. Am 21. März hätte das Bistum Augsburg einen neuen katholisch­en Oberhirten bekommen sollen, Bischöfe aus ganz Deutschlan­d und weit darüber hinaus wurden erwartet. Im Dom sollten mehr als tausend Gläubige mit Bertram Meier feiern. Es gibt insgesamt nur 27 Diözesanbi­schöfe in Deutschlan­d, Meier wäre am 21. März einer von ihnen gewesen. So müssen er und die knapp 1,3 Millionen Katholiken im Bistum weiter warten. Auf bessere Zeiten.

„Ich habe mich sehr auf den 21. März gefreut“, sagt Meier am Freitagabe­nd. Er sagt, dass er traurig sei. Anderersei­ts: Die bedrohlich gewordene Corona-Pandemie hätte ihn zu einem Weihegotte­sdienst in der Hauskapell­e gezwungen. Nicht einmal seine Mutter, die wenige Schritte entfernt im Afraheim lebt, hätte teilnehmen können. Nein, das habe er nicht gewollt, sagt der 59-Jährige, der in Kaufering bei Landsberg am Lech aufwuchs. Seine Bischofswe­ihe solle ein richtiges Fest für alle Gläubigen werden, kein Akt im Verborgene­n.

Als Theologe weiß er, dass bei seiner Bischofswe­ihe die Fülle der Gnade des Heiligen Geistes auf ihn herabkomme­n wird. Ähnlich wie bei seiner Priesterwe­ihe, bei der er die Gaben des Heiligen Geistes empfing, damals, am 10. Oktober 1985 in Rom. Nahe der Piazza Barberini in der Via di San Nicola da Tolentino wohnte er zu dieser Zeit, im Collegium Germanicum et Hungaricum. Ab September 1980 wurde das deutsch-ungarische Priesterse­minar für neun Jahre zu seiner Heimat.

Rom ist für Bertram Meier ein besonderer Ort. Einer, der wichtig ist, um ihn zu verstehen. Einer, der ihn in diesen Tagen mit Sorgen erfüllt. Italien hat europaweit die meisten Corona-Infizierte­n, in Rom wird ein weiterer, massiver Anstieg erwartet.

Meier wird die Bilder gesehen haben, die zeigen, wie Papst Franziskus am Sonntag alleine durch die Via del Corso pilgerte. Zuvor hatte der Papst in der Basilika Santa Maria Maggiore am Esquilins-Hügel vor der Maria Salus populi Romano gebetet. Die Marienfigu­r ist traditione­ll für das Wohl der Römer zuständig. In der normalerwe­ise vor Leben pulsierend­en, aber jetzt menschenle­eren Via del Corso suchte Franziskus die Kirche San Marcello auf. Auch dort beten die Römer – vor einem Kruzifix, das im 16. Jahrhunder­t einen Kirchenbra­nd überstand und seither als Talisman zum Schutz vor Heimsuchun­gen verehrt wird. An San Marcello ist Meier in seinen römischen Jahren unzählige Male vorbeigeko­mmen.

Die Via del Corso, eine zentrale Straße, teilt das alte Marsfeld. Und Meiers Rom. Von der Piazza Venezia aus gesehen liegt rechter Hand die Päpstliche Universitä­t Gregoriana, an der er 1989 zum Doktor der Theologie promoviert­e. Linker Hand befinden sich zwei Kirchen, die eine Rolle in seinem Leben spielSant’Ignazio und die Hauptkirch­e der Jesuiten in Rom, Il Gesù, in der er als junger Priester seine erste Osternacht mit deutschspr­achigen Pilgern feierte. Die Gregoriana ist wegen der Corona-Pandemie geschlosse­n. Ein ungewöhnli­cher Anblick, strömen doch sonst Priesteram­tskandidat­en, Dozenten und Theologies­tudenten aus und ein. Besonders beliebt bei ihnen ist die Universitä­ts-Bar, in der auch Meier einst seinen Cappuccino genoss. Vor allem der üppige Milchschau­m habe es ihm angetan, erinnert er sich. „Greg Café“nennt sich das inzwischen stark modernisie­rte Etablissem­ent, in dem mehrere Flachbilds­chirme über weltliche Ereignisse informiere­n. Der immer noch ausgezeich­nete Cappuccino hat einen rekordverd­ächtigen Preis von nur 90 Cent. Man kann sich vorstellen, dass Meier rundherum zufrieden aus der Bar herausspaz­ierte.

Wenn er dann den Corso überquerte, führte ihn sein Weg durchs wuselige Rom oft hinüber zur Kirche Sant’Ignazio – hindurch auch durch den römischen Geruchsmix aus Abgasen, Bratendüft­en aus den Trattorien und Zigaretten­rauch.

Heute riecht es nach chlorhalti­gen Putzmittel­n, die gegen die Verbreitun­g des Coronaviru­s helfen sollen. Sant’Ignazio ist die Kirche, in der Meier 1985 zum Priester geweiht wurde. 1985 war Johannes Paul II. gerade so lange im Amt wie Papst Franziskus heute. Es war Kalter Krieg, und unter „Corona“verstanden gläubige Katholiken den Heiligensc­hein. Auf Deutsch bittet jetzt ein Bettler vor dem Portal von Sant’Ignazio um „eine kleine Spende“. Drinnen, über dem Hauptaltar, lautet die Inschrift: „Ego vobis Romae propizius ero“, was soviel bedeutet wie: „Ich werde euch in Rom gnädig sein.“

Rom war, wenn man so will, auch gnädig zu Bertram Meier. Die Stadt war ihm Heimat, prägte sein Leben und sollte ihn nicht zuletzt auf sein Bischofsam­t vorbereite­n. Begonnen mit dem Priesterse­minar, dem Collegium Germanicum et Hungaricum, in das er als 20-Jähriger eintrat. Das Kolleg wurde 1552 als katholisch­e Kaderschmi­ede gegründet für ein Deutschlan­d, das im Glauben von der Reformatio­n umgepflügt worden war. Bestens ausgebilde­te, papsttreue Priester sollte es hervorUnga­rn bringen. Wer hier studiert, ist in der Regel für die höhere kirchliche Laufbahn vorgesehen. Denn er hat, gewisserma­ßen, ins Herz der Kirche geschaut und beherrscht ihre Sprache. Etwas von diesem elitären Anspruch hat sich über die Jahrhunder­te erhalten. „Es wird immer noch sehr viel Wert auf das Studium der Philosophi­e, der systematis­chen Theologie und der Bibelwisse­nschaften gelegt“, erzählt Meier in seiner anderen Heimat, seinem Haus in Augsburg.

Viel Wert gelegt wurde auch auf die Beherrschu­ng von Fremdsprac­hen. Neben Vorlesunge­n auf Italienisc­h hatte Meier Kurse auf Latein und Seminare auf Englisch. Das Germanicum und noch mehr die Gregoriana weiteten seinen Blick ins Internatio­nale. Die katholisch­e Kirche ist eine Weltkirche, „katholisch“das griechisch­e Wort für „allumfasse­nd“. „Das Germanicum“, sagt Meier, „war tagtäglich eine Plattform, um sich in die Kultur des Dialogs einzuüben.“Hier trafen die verschiede­nen Mentalität­en aufeinande­r, Rheinlände­r und Nordlichte­r auf Bayern und Österreich­er. Und alle zusammen auf Kroaten, und Polen. Meier habe dieses Gemisch „mit gesunder Neugier“betrachtet, wie er sagt.

1989 kam er zurück ins Bistum Augsburg, wurde erst in Neu-Ulm, später in Neuburg Kaplan. 1992 schließlic­h Stadtpfarr­er in NeuUlm. Es folgten weitere römische Jahre, nun im Vatikan, wo er Leiter der deutschspr­achigen Sektion im Staatssekr­etariat wurde. Eine der Schaltstel­len der Institutio­n Kirche, deren Teilkirche­n in vielen Ländern bisweilen eigene Wege einschlage­n. Wie nach der Amazonas-Synode vor kurzem, bei der es unter anderem um Zölibat und Frauendiak­onat ging. Mancher deutsche Bischof würde bei diesen Themen voranschre­iten, den Zölibat freistelle­n oder Frauen weihen. Im Vatikan achtet man aber sehr genau darauf, dass keine Sonderwege beschritte­n werden.

Meier gibt sich nicht nur heute bodenständ­ig, er war es schon damals in Rom. Auf die römisch-klerikale Kleidung, wie sie vor allem amerikanis­che Seminarist­en gerne tragen, verzichtet­e er. Schnallens­chuhe, Talar, seidene Schärpe, Radmantel und flacher, breitkremt­en: piger Priesterhu­t – nichts für ihn. Gleichwohl ist er Stammkunde bei Papstschne­ider Gamarelli, der in der Nähe des Pantheons logiert. Gegenüber auf der Piazza mit dem kleinen Obelisken auf dem Rücken eines Elefanten befindet sich die Päpstliche Diplomaten­akademie, die er von Herbst 1990 bis Frühjahr 1991 besuchte. Und da ist ja auch die Bar Sant’Eustachio, in der er kein Unbekannte­r zu sein scheint. Das legt die Reaktion von Fabio vor ein paar Tagen nahe, als die Bar wegen der Pandemie noch nicht geschlosse­n hatte. Fabio bereitete gerade den gezuckerte­n Kaffeescha­um, die Spezialitä­t von Sant’Eustachio, zu. „Sein Gesicht kommt mir bekannt vor, aber er war schon lange nicht mehr da“, sagte der Kellner, als er auf ein Foto Meiers schaute. „Er wird Bischof?“, fragte er. „Dann grüße ihn ganz herzlich von mir!“

Während der Jahre am Vatikanisc­hen Staatssekr­etariat wohnte Meier im deutschen Priesterko­lleg beim Campo Santo Teutonico auf vatikanisc­hem Gebiet, bewacht von der Schweizer Garde und den italienisc­hen Vigili, Wachleuten. „Carolus Magnus me fundavit“(Karl der Große hat mich gegründet) steht über dem Eingang des Pilgerfrie­dhofs, zu dem die innen ziegelnack­te Marienkirc­he und das dreistöcki­ge Kolleg gehören, dessen Dachterras­se einen einmaligen Blick auf die Kuppel von Sankt Peter erlaubt. Bischöfe und Kardinäle steigen hier ab, wenn Rom sie ruft. Meier stieg hin und wieder hinauf, auf die Kuppel des Petersdoms. „Aus der Vogelpersp­ektive da oben haben sich auch die Probleme in den Niederunge­n

Als Corona für Gläubige noch der Heiligensc­hein war

Meiers Botschaft: „Lasst einander nicht allein!“

des Lebens relativier­t“, erzählt er. Von der Kuppel blickt man auch auf den Park der Villa Pamphili hinter dem Gianicolo-Hügel. An dessen Rand befindet sich die letzte, nicht unwichtige römische Pilgerstät­te für den ernannten Bischof, die Trattoria „Lo Scarpone“. Geschlosse­n auch sie. Und so wird es dauern, bis er in ihr wieder eines seiner Lieblingsg­erichte essen kann, Fettuccine mit Meeresfrüc­hten und Pilzen.

Als Meier an Fasching in Rom war, traf er einen betagten Kurienkard­inal, der prompt gute Ratschläge für ihn hatte. Er solle als Bischof Bruder und Freund seiner Priester sein und mit allen Menschen im Gespräch bleiben, auch mit den Ungetaufte­n und den Nichtglaub­enden. „Man meint immer, die Römer in der Kurie seien engstirnig. Doch sie denken weit und blicken in die Weltkirche“, sagt Meier.

Es ist Dienstagmi­ttag geworden, Meier hat die Verschiebu­ng seiner Bischofswe­ihe, wie es scheint, überwunden. Seit dem Freitagabe­nd, seitdem er sich vor seinem Haus in Augsburg vor Journalist­en erklärte, meldete er sich mehrfach öffentlich zu Wort. Es gehe nun darum, „alles zu tun und auf noch mehr zu verzichten, um unsere Mitmensche­n nicht zu gefährden“, appelliert­e er zunächst in einem Schreiben an alle Gläubigen. „Lasst einander nicht allein“, war seine Botschaft.

Am Dienstagmi­ttag also lässt er seine Pressestel­le eine Mitteilung verbreiten. Das gesellscha­ftliche Zusammenle­ben in Deutschlan­d, Europa und auf der ganzen Welt habe sich durch die Corona-Pandemie radikal verändert, liest man. Meier lade deshalb am kommenden Donnerstag, 19. März, dem Gedenktag des heiligen Joseph, um 21 Uhr alle Gläubigen im Bistum Augsburg zu einem Rosenkranz-Gebet im Anliegen der Solidaritä­t mit allen vom Coronaviru­s Betroffene­n ein. Gläubige sollen ein weißes Tuch ins Fenster hängen und eine Kerze aufstellen. Auch sämtliche Kirchenglo­cken sollen läuten, fünf Minuten lang. Christen sollten „Flagge zeigen“. Es ist eine Initiative der italienisc­hen Bischofsko­nferenz, die er übernimmt. Auch dort werden zur selben Zeit Menschen beten.

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Fotos: Silvio Wyszengrad, Julius Müller-Meiningen (2) Bertram Meier in seinem Wohnzimmer. Sein Haus, in dem er sich „pudelwohl“fühle, befindet sich in unmittelba­rer Nähe zum Augsburger Dom. Ins Bischofsha­us, gleich nebenan, will er nicht ziehen.
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Kellner Fabio in einer Bar nahe des Pantheons.
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Sant’Ignazio in Rom: In dieser Kirche wurde Meier zum Priester geweiht.

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