Ein gefährlicher Sonderweg
Es bleibt bei Appellen
Leer geräumte Supermarktregale, abgesagte Veranstaltungen – während die Nervosität unter der britischen Bevölkerung zunimmt, widersetzte sich die Regierung in London in den vergangenen Tagen und Wochen dem Trend auf dem Kontinent, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Doch nun scheint Premierminister Boris Johnson von seinem Sonderweg abzukommen, zumindest ein bisschen. Am Montagabend forderte er seine Landsleute eindringlich auf, Abstand zu halten, von zu Hause aus zu arbeiten sowie unnötige soziale Kontakte zu vermeiden. Das klingt nach viel, ist aber wenig. Denn es handelte sich bei Johnsons Aufforderungen lediglich um eine „nachdrückliche Empfehlung“. Und so bleiben Schulen und Universitäten geöffnet und ob Pubs und Theater weiterhin Gäste empfangen, ist Sache der Betreiber. Der Ärger auf die Regierung, die an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen appelliert anstatt hart durchzugreifen, wächst. Etliche Veranstalter haben deshalb eigenverantwortlich Events abgesagt. Der Premier dagegen verwies stets auf die Experten, auf deren Rat die
Regierung handelt. Der britischen Strategie zufolge sollte sich ein Großteil der jüngeren und gesunden Menschen sogar mit Covid-19 anstecken, um so eine Art Herdenimmunität gegen das neue Virus zu erreichen. Die Risikogruppe, für die das Virus sogar tödlich sein kann, sollte derweil geschützt werden. Nun die halbe Kehrtwende, nachdem der Sonderweg für gescheitert betrachtet wird. Wie viele auf der Insel mit Corona wirklich infiziert sind, weiß man ohnehin nicht, denn getestet wird kaum. Katrin Pribyl