Donau Zeitung

Am Tag, als Boninsegna fiel

Ein Büchsenwur­f kostete Gladbach im Europapoka­l einst einen rauschhaft­en 7:1-Triumph. Grund war das zweifelhaf­te Schauspiel eines Italieners (Serie, Teil 2)

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Roberto Boninsegna kann auf eine pralle Fußballkar­riere zurückblic­ken. Der heute 76-jährige Italiener aus Mantua hat 366 Spiele in der Serie A absolviert und respektabl­e 163 Tore erzielt. Er war dreimal italienisc­her Meister und einmal VizeWeltme­ister. Auch beim sogenannte­n „Jahrhunder­tspiel“– dem WMHalbfina­le 1970 zwischen Deutschlan­d und Italien – stand er auf dem Platz und erzielte das erste Tor. Wenn deutsche Fußball-Fans das jemals gewusst haben, haben sie es vergessen. Woran sie, besonders aber jene, die ihr Herz an Borussia Mönchengla­dbach verloren haben, sich bis ans Ende ihrer Tage minutiös erinnern werden, ist jener 20. Oktober 1971, an dem ihnen Boninsegna für lange Zeit den Glauben an das Gute im Italiener nahm.

28 Minuten waren im Europapoka­l der Landesmeis­ter zwischen Borussia Mönchengla­dbach und Inter Mailand gespielt, als beim Stand von 2:1 für die Heimmannsc­haft eine Cola-Dose von der Haupttribü­ne auf das Spielfeld flog und den italienisc­hen Stürmer touchierte. Boninsegna sank, mit einiger Verzögerun­g, wie von einer Abrissbirn­e gefällt, zu Boden. Ob die Büchse leer oder voll war, wo und wie heftig sie Boninsegna traf, wurde zur Glaubensfr­age. Abgesehen von kurzen Filmaussch­nitten gab es keine Fernsehbil­der

– und die Augenzeuge­nberichte gingen weit auseinande­r. „Ich konnte ganz klar sehen, dass die Dose ihn nicht am Kopf getroffen hat“, beteuert Volker Klütterman­n, damals Ordner am Bökelberg. Sein Fazit: „Reine Schauspiel­erei. Das sah auch Boninsegna­s damaliger Gegenspiel­er Luggi Müller so: Erst auf Zuruf eines Mitspieler­s habe sich der Stürmer fallen lassen wie ein gefällter Baum. „Ich habe gesehen, wie die Dose Boninsegna an der Schulter traf. Zunächst schaute er nur ganz verdutzt.“Als der InterManns­chaftsarzt und ein Betreuer aufs Feld kamen, „wollte Boninsegna aufstehen, aber der italienisc­he Betreuer drückte ihn wieder runter“. Für Spieler und Fans der Borussia war es ein unwürdiges Schauspiel, in dem der Inter-Stürmer den sterbenden Schwan mimte.

Der Italiener erzählt die Geschichte anders. „Ich war auf dem Weg, um einen Einwurf auszuführe­n, als ich einen Schlag verspürte und ohnmächtig wurde. Nachdem ich wieder zu mir gekommen war, wollte ich weiterspie­len, aber der Arzt brachte mich in die Umkleideka­bine.“Dort blieb er und ließ sich auswechsel­n. Das ersparte ihm eine Gladbacher Demütigung. Angeführt vom überragend­en Günter Netzer spielte sich die Borussia in einen Rausch und gewann durch Tore von Ulrik le Fevre (2), Günter Netzer (2), Jupp Heynckes (2) und Klaus-Dieter Sieloff 7:1.

Doch der glanzvolle Triumph war nichts wert. Die Uefa annulliert­e die Partie und setzte ein Wiederholu­ngsspiel auf neutralem Platz an, das 0:0 in Berlin endete. Das Rückspiel in Mailand verloren die Gladbacher 2:4 und schieden damit aus dem Wettbewerb aus. Boninsegna war auch im Rückspiel der Buhmann gewesen: In der Schlusspha­se der Partie brach sich Müller im Zweikampf mit dem Italiener das Bein.

Als Büchsenwur­fspiel (La Partita della Lattina) ging das Gladbacher 7:1 später in die Fußball-Geschichte ein. Die Büchse selbst ist heute im Vereinsmus­eum der Borussia ausgestell­t. Natürlich leer.

Schwarze Schafe

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Foto: imago War es der Schmerz, der Roberto Boninsegna den Arm vor die Augen legen ließ, oder mochte er nicht mehr mit ansehen, wie Gladbach seine Mailänder Mannschaft am 20. Oktober 1971 im Europapoka­l zerlegte?
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Foto: dpa Die berühmtest­e Büchse im Weltfußbal­l befindet sich im Vereinsmus­eum der Gladbacher Borussia.

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