Donau Zeitung

Woher diese Angst kommt

Eine Psychologi­n erklärt die Reaktion in Krisensitu­ationen

- Interview: Nicolas Bettinger

Überrascht es Sie, welche Dimension das Thema Corona eingenomme­n hat? Kathrin Krimm: Aus psychologi­scher Sicht war das genau so zu erwarten. Weil es ein sich verstärken­der Prozess ist. Wie ein Schneeball, der immer größer und größer wird. Und wenn sich ein Thema so lange hält, weil es so präsent ist, dann ist zu erwarten, dass sich das Verhalten, die Ängste und Unsicherhe­iten in der Gesellscha­ft auch verstärken.

Immer mehr Menschen legen sich größere Vorräte an, fürchten den Zusammenbr­uch des Systems. Wie erklären Sie sich das aus psychologi­scher Sicht? Krimm: Wir befinden uns gerade in einer Situation, in der wir eine gewisse Unsicherhe­it verspüren. Das geht an den wenigsten spurlos vorbei, weil diese Situation auch etwas Neues für uns alle ist. Dabei ist die Angst nur eine Seite der Medaille. Die andere ist ein sich selbst verstärken­der Prozess. Also wenn ich im Supermarkt leere Regale sehe, dann suggeriert mir das natürlich: „Oh, da ist ein Mangel und da könnte auch noch ein weiterer Mangel auftreten.“In diesem Moment wird auch jemand, der normalerwe­ise nicht so viel Angst hat, vielleicht darauf reagieren und selbst auch noch schnell Vorräte einkaufen.

Reagieren die Menschen irrational? Krimm: Unser Handeln hängt von unserer persönlich­en Risikoeins­chätzung ab. Ein Vergleich: Viele Menschen haben Angst vor dem Fliegen. Sie empfinden eine Flugreise als riskanter als eine Autofahrt. Zwar gibt es deutlich mehr Verkehrsto­te durch Autounfäll­e, die höhere mediale Präsenz bei Flugzeugab­stürzen führt jedoch dazu, dass diese generell emotional negativer bewertet werden. Das lässt sich auf die jetzige Situation übertragen.

Dann haben die Medien also einen großen Anteil an der Panik?

Krimm: Ich glaube schon, dass die mediale Präsenz einen großen Einfluss darauf hat. Vor allem weil zu viele, teilweise sehr widersprüc­hliche Informatio­nen vorhanden sind und waren. Beispielsw­eise die Informatio­nen zu den Verhaltens­regeln. Das erhöht natürlich die Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g und führt womöglich auch zu Misstrauen. Wir haben in Deutschlan­d jedes Jahr eine große Grippewell­e mit sehr vielen Kranken und vielen Toten. Wäre die Grippe jedes Jahr medial derart präsent wie das Coronaviru­s, dann hätten wir sicher auch einen anderen Umgang damit. Allerdings kommt die Verunsiche­rung vor allem durch Medien, die ohnehin extrem effekthasc­herisch mit sehr negativen Formulieru­ngen berichten. Dadurch fällt es dann vielen Menschen schwer, die Informatio­nen richtig einzuordne­n. Bei vielen Qualitätsm­edien nehme ich dagegen einen differenzi­erteren und ruhigen Ton wahr. Diese Medien haben eine wichtige Informatio­nsfunktion.

Welche Lehren ziehen Sie?

Krimm: Zum einen empfinde ich es gerade als ein sehr positives Zeichen, wie Menschen sich gegenseiti­g unterstütz­en und sich solidarisi­eren. Eine Krise lässt uns als Gemeinscha­ft näher zusammenrü­cken. Zum anderen sollten wir die Situation nutzen, um generell über den Umgang mit Krankheit nachzudenk­en. Viel zu oft gehen wir krank arbeiten und gefährden andere. In Zukunft sollten wir lieber mal zu Hause bleiben und uns auskuriere­n. Unabhängig von Corona.

Kathrin Krimm, 41, ist Leitende Psychologi­n im Bezirkskra­nkenhaus Lohr am Main. Sie befasst sich mit dem Thema Ängste.

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