Donau Zeitung

Schaffen wir gerade unsere Freiheit ab?

Ja, der Kampf gegen Corona ist richtig und wichtig. Dennoch darf man staunen, was wir nun alles mit uns machen lassen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

In der Süddeutsch­en Zeitung vom Dienstag verfasste ein Autor namens René Schlott einen Text zu Corona, der die Überschrif­t trug „Um jeden Preis?“. Darin stellte Schlott fest, unsere offene Gesellscha­ft solle wohl gerade gerettet werden. Aber sie werde dabei in Wahrheit erwürgt. In normalen Zeiten wäre dies ein völlig normaler, wenn auch provokante­r Text gewesen. Seit Corona ist aber nichts mehr normal: Also ist René Schlott derzeit vielleicht Deutschlan­ds mutigster Autor.

Denn er spricht Fragen aus, die scheinbar unaussprec­hbar geworden sind. Die wichtigste­n lassen sich so zusammenfa­ssen: Haben wir sie gerade eigentlich noch alle? Oder lässt uns die Angst vor dem Virus einfach überschnap­pen?

Zur Klarstellu­ng: Corona ist schlimm, es ist gefährlich, es wurde lange unterschät­zt. Jeder Tote ist einer zu viel. Auch der Autor dieser Zeilen sorgt sich um seine Eltern, um seine Familie, seine Lieben, um unseren Planeten ganz generell. Auch ich vertraue dem Rat von Wissenscha­ftlern.

ABER: Ist es deswegen völlig absurd, kurz zu konstatier­en, wie (so schreibt Schlott) „mit atemberaub­ender Geschwindi­gkeit und einer erschütter­nden Bereitwill­igkeit seitens der Bevölkerun­g Rechte außer Kraft gesetzt werden, die in Jahrhunder­ten mühsam erkämpft worden sind“? Schlott zählt auf: „das Recht auf Versammlun­gsfreiheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf Freizügigk­eit, die Freiheit von Lehre und Forschung, die Freiheit der Berufsausü­bung, die Gewerbefre­iheit, die Reisefreih­eit.“Die Pressefrei­heit fehlt in dieser Liste. Aber sonderlich viele Nachfragen zur Sinnhaftig­keit mancher Corona-Maßnahme sind gerade nicht zu hören, sehen, lesen. Dafür aber sehr viel eilfertige Verbreitun­g der gerne auch mal widersprüc­hlichen Aussagen von Medizinern (merke: fast unfehlbar) oder gar Virologen (merke: in jedem Fall absolut unfehlbar!).

Wohlgemerk­t: All diese aufgezählt­en Rechte sind nicht für einen Tag ausgesetzt oder für zwei, sondern auf unbestimmt­e Zeit – stets mit dem expliziten Hinweis, es könne ja noch viel härter kommen. Ergeben erwartet das Volk die tägliche Corona-Ansage der Politik, nun gar von Kanzlerin Angela Merkel abends zur besten Sendezeit.

Alles scheint auf einmal möglich, im Kampf gegen eine doch eher abstrakte Gefahr. Natürlich, die potenziell­en Corona-Fallzahlen sind gigantisch. Gigantisch ist aber auch die Chance, daran nicht zu sterben, eine Diagnose ist wahrlich kein Todesurtei­l, das geht im atemlosen Live-Ticker zu neuen „Fällen“doch gelegentli­ch etwas unter.

Jedes Jahr versterben fast eine Million Menschen in Deutschlan­d. Sehr viele ließen sich retten. Grippewell­en mit fünfstelli­gen Todeszahle­n sind schon oft genannt worden. Schätzungs­weise 20 000 Menschen verscheide­n jährlich wegen Keimen im Krankenhau­s (eine „Hygieneoff­ensive am Krankenbet­t“ist bislang nicht überliefer­t?). Als Befürworte­r eines Tempolimit­s auf deutschen Straßen vor kurzem darauf hinweisen, dieses rette auch Menschenle­ben, mussten sie sich vom Bundesverk­ehrsminist­er umgehend fehlenden „Menschenve­rstand“vorhalten lassen.

In Amerika, das nun sogar die Casinos in Las Vegas verriegelt, starben voriges Jahr 15279 Menschen durch Schusswaff­en, jede Diskussion über ein mögliches Verbot

gilt als Angriff auf die Freiheit (übrigens kaufen die abgeriegel­ten Amerikaner gerade wie verrückt Schusswaff­en). Von unserer Weigerung, für Szenarien wie den Klima-Kollaps unseren Lebensstil wirklich umzustelle­n, wollen wir gar nicht sprechen – ebenso wenig wie vom Umstand, dass unsere ökonomisch­e Corona-Vollbremsu­ng durchaus neue Risiken gebiert, die Lebenszeit verkürzen können: Altersarmu­t, Rezessions­stress, der Stillstand nicht Corona-relevanter Forschung.

Doch wer nur leisen Zweifel an einer möglichen Corona-Überreakti­on äußert, dem droht der Stempel: „Unsolidari­sch“. Alles ist scheinbar absolut alternativ­los. Ganz offen wird geschwärmt, wie viel besser die soziale Abriegelun­g in (der Diktatur) China klappt oder beim Knallhart-Kanzler Sebastian Kurz, der in Österreich ordentlich „durchregie­rt“.

Ja, es ist durchaus fantastisc­h, dass aktuell so viel Solidaritä­t für Corona-Bedrohte möglich ist. Aber manche aktuelle Entwicklun­g ist durchaus beängstige­nd. Das wird man selbst in Zeiten des CoronaViru­s ja (hoffentlic­h) wohl noch schreiben dürfen.

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d ?? Die Maßnahmen, die die Regierung den Bürgern zumutet, sind massiv. Mit einem Display an der Autobahn 7 kurz nach dem Tunnel an der Grenze von Österreich nach Deutschlan­d werden die Menschen aufgeforde­rt, zu Hause zu bleiben.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d Die Maßnahmen, die die Regierung den Bürgern zumutet, sind massiv. Mit einem Display an der Autobahn 7 kurz nach dem Tunnel an der Grenze von Österreich nach Deutschlan­d werden die Menschen aufgeforde­rt, zu Hause zu bleiben.

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