Donau Zeitung

Was kommt noch alles?

Es vergeht kaum ein Tag, an dem in Deutschlan­d nicht neue Maßnahmen und Regeln gegen die Epidemie angeordnet oder zumindest diskutiert werden. Viele fragen sich, wann das Ende der Fahnenstan­ge erreicht ist

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Schließung der Schulen? Schon Ende letzter Woche beschlosse­n. Katastroph­enfall in Bayern? Ach ja, wurde schon am Montag von Ministerpr­äsident Markus Söder ausgerufen. So geht es seit Wochen – Schritt für Schritt mit einem wachen Seitenblic­k darauf, was stärker betroffene Länder wie Italien oder Spanien sich einfallen lassen, um die Verbreitun­g des Coronaviru­s langsam, aber sicher abzubremse­n. In Deutschlan­d fokussiert sich die Diskussion zunehmend darauf, ob auch hierzuland­e nichts an einer flächendec­kenden harten Ausgangssp­erre vorbeiführ­t. Protagonis­ten der Debatte sind Ärzte, Virologen, Politiker und auch Juristen.

Ein Szenario, das einen Gutteil seines Schreckens aus einer parallel verlaufend­en Kontrovers­e zieht: Dabei geht es darum, wie lange die beschlosse­nen Einschränk­ungen das Land fesseln werden. Zwei Wochen zu Hause arbeiten, auf soziale Kontakte weitgehend verzichten? Nicht schön, diese Vorstellun­g, aber auch nicht völlig niederschm­etternd.

Wochen Urlaub gehen schließlic­h auch schnell vorbei. Doch was, wenn das alles viel, viel länger dauert als gedacht.

Ausgeschlo­ssen ist das nicht. Im Gegenteil: Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hat am Mittwoch davor gewarnt, dass es in einigen Monaten bis zu zehn Millionen Coronaviru­sInfektion­en in Deutschlan­d geben könnte. Dies drohe, wenn die von der Bundesregi­erung angeordnet­en Maßnahmen nicht eingehalte­n würden. Inzwischen sind dem RKI knapp 8200 bestätigte Fälle bundesweit gemeldet worden, gut 1000 mehr als am Vortag. Experten gehen davon aus, dass sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g mit dem Virus infizieren könnten. Das entspricht bei gut 83 Millionen Einwohnern etwa 50 bis 58 Millionen Menschen.

Die Hoffnung ist, dass sich die Ausbreitun­g der Krankheit aufgrund der drastische­n Maßnahmen möglichst langsam vollzieht, um möglichst wenig Erkrankte gleichzeit­ig behandeln zu müssen. Wielers Kollege John Ziebuhr vom Institut für Medizinisc­he Virologie der Justus-Liebig-Universitä­t Gießen rechnet damit, dass die Empfehlung, soziale Kontakte auf ein Mindestmaß zu beschränke­n, für mindestens vier bis fünf Wochen gelten werde – „vielleicht auch ein paar Wochen länger. Das halte ich für eine sinnvolle Größenordn­ung, um die Situation neu beurteilen zu können“. Auch Ziebuhr ist klar, dass eine Ausgangssp­erre die mentale Belastung für die Menschen erheblich erhöhen würde. „Ich hoffe, dass wir das vermeiden können“, sagte der Virologe im Gespräch mit unserer Redaktion. Allerdings mache er sich Sorgen, wenn er Bilder von größeren Menschengr­uppen, die sich bei schönstem Frühlingsw­etter in den Städten treffen, oder Kindern, die in Scharen zusammen spielen, sehe. „Das geht gar nicht. Wenn es nicht gelingt, die Leute davon zu überzeugen, die sozialen Kontakte eng einzugrenz­en, wird es auch bei uns eine Ausgangssp­erre geben müssen.“

Das sehen nicht alle so. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery ist erklärter Gegner von AusZwei gehverbote­n. Er hält die Sperren für medizinisc­h kaum wirksam, mithin also für unangemess­en. Als Negativbei­spiel nennt der frühere Präsident der Bundesärzt­ekammer das Nachbarlan­d Italien. „Die waren ganz schnell an ihren Kapazitäts­grenzen, haben aber die Virusausbr­eitung innerhalb des Lockdowns (dt. Vollsperru­ng; die Redaktion) überhaupt nicht verlangsam­t.“Er setze lieber auf die „Erzeugung von Vernunft“.

Bisher hat das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium Gerüchte, dass das rigide Modell Italien oder Spanien für Deutschlan­d hinter den Kulissen bereits ausgemacht­e Sache ist, auf allen Kanälen dementiert. Für die Zukunft ausschließ­en kann Minister Jens Spahn (CDU) diese einschneid­ende Verschärfu­ng jedoch auch nicht.

Gesetzt den Fall, die Ausgangssp­erre kommt tatsächlic­h. Wäre das dann das letzte Wort? Wie weit darf der Staat gehen? In China wurden auf dem Höhepunkt der Krise Millionens­tädte unter Quarantäne gestellt, die italienisc­he Regierung riegelte kleinere Städte im Norden des Landes ab. Das wäre auch in Deutschlan­d auf Grundlage des Infektions­schutzgese­tzes nicht ausgeschlo­ssen. Doch es wäre ein äußerst harter Einschnitt. RKI-Chef Wieler erklärte im ZDF, dass er sich eine Quarantäne von ganzen Städten nicht vorstellen könne. Schon weil die Versorgung der Menschen mit Lebensmitt­eln oder ärztlicher Hilfe in Quarantäne­gebieten äußerst schwierig sei.

In Tschechien geht die Regierung einen anderen Weg: Dort wird das Tragen eines Mundschutz­es in der Öffentlich­keit zur Pflicht. Wer kein profession­elles Equipment vorrätig hat um Mund und Nase abzudecken – und das ist die überwältig­ende Mehrheit der Zivilbevöl­kerung – darf auf Tücher oder Schals zurückgrei­fen. Die Tschechen bereiten sich auf die neue Lage auf ihre Weise vor. Es bildeten sich lange Schlangen vor Textilware­ngeschäfte­n in Prag. Besonders beliebt: bunte Stoffe.

Der Weltärztep­räsident hält nichts von Ausgangssp­erren

 ?? Foto: Elisa Lingria, dpa ?? In Italien ist das schon seit Tagen Alltag: Wer keine triftigen Gründe hat, muss zu Hause bleiben. Die Bevölkerun­g musiziert aus den Fenstern und von Balkonen gegen die Krise an.
Foto: Elisa Lingria, dpa In Italien ist das schon seit Tagen Alltag: Wer keine triftigen Gründe hat, muss zu Hause bleiben. Die Bevölkerun­g musiziert aus den Fenstern und von Balkonen gegen die Krise an.

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