Warum trifft das Virus Italien so hart?
Die Corona-Todesrate in dem Land südlich der Alpen ist derzeit etwa 36-mal höher als in Deutschland. Welche Erklärungen es dafür gibt
Bergamo Wer sich ein Bild davon machen will, wie verheerend die Corona-Pandemie in Deutschland noch werden könnte, kann sich mit den katastrophalen Nachrichten aus Italien beschäftigen. Nicht nur, dass das Land in Europa mit Abstand am stärksten von dem Virus betroffen ist – am Dienstag wurden mehr als 31500 Infizierte gezählt. Das Land weist überdies auch noch die weltweit höchste Letalität auf: Etwa acht von 100 Erkrankten also sterben im Schnitt an Corona. Die Lokalzeitung L’Eco di Bergamo in der besonders betroffenen 120000-EinwohnerStadt Bergamo am Fuße der Alpen musste jüngst ihren Seitenumfang deutlich erhöhen – weil statt der üblichen zwei oder drei Seiten mit Todesanzeigen zehn Seiten notwendig waren. Warum trifft es ausgerechnet Italien so hart?
Eine belastbare Erklärung dafür gibt es noch nicht. Dazu ist die Erkrankung zu neu. Studien existieren noch nicht. Wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jüngst mitteilte, gibt es übrigens auch keine Erklärung dafür, warum die Todesrate bei uns so niedrig ist. Denn diese liegt ungefähr bei 0,25 Prozent und damit 36-mal niedriger als in Italien. Vorsichtig wagen sich inzwischen aber einige Experten nach vorne – und verweisen auf die Qualität der Intensivmedizin. „Die Möglichkeiten einer maschinellen Beatmung von Covid-19-Patienten hat sich in schwer betroffenen Ländern wie China und Italien als das Nadelöhr in der aktuellen Pandemiesituation gezeigt“, sagt etwa Professor Christian Karagiannidis, ein Spezialist der Lungenklinik Köln-Merheim.
Und in der Tat besteht ein erheblicher Unterschied in der Intensivversorgung zwischen Italien und Deutschland. Hierzulande gibt es rund 25000 Beatmungsplätze. In Italien sind es aber nur 5100. Nach aktueller Schätzung werden fünf Prozent der Corona-Infizierten so schwer lungenkrank, dass sie beatmet werden müssen. Und das zum Teil über zwei Wochen lang. Das heißt zudem, dass ein Patient über einen sehr langen Zeitraum den Beatmungsplatz blockiert. Das bedeutet auch: Es gibt immer wieder Patienten, die sterben, weil für sie kein Beatmungsgerät vorhanden ist.
In Deutschland sind nun mehr als 10 000 Menschen als infiziert gemeldet. Bräuchten fünf Prozent davon einen Beatmungsplatz, wären das 500 Schwerkranke. Deutschland hat also rein rechnerisch durchaus noch Kapazitäten. Zumal Gesundheitsminister Jens Spahn diese Zahl noch deutlich steigern will. Jüngst erst hat die Bundesregierung 10000 Beatmungsgeräte bei dem Medizintechnikhersteller Dräger bestellt.
Doch der Aspekt Intensivmedizin reicht als Erklärung für die Schwere, mit der das Virus Italien heimsucht, nicht aus. Denn es gibt Länder, die ebenfalls ein sehr hochwertiges Gesundheitssystem, aber dennoch eine deutlich höhere Todesrate als Deutschland haben. In der Schweiz ist sie viermal so hoch, in den Niederlanden gar zehnmal höher als bei uns. Diese beiden Länder haben sicherlich nicht zu wenige Beatmungsgeräte.
Es ist dagegen recht wahrscheinlich, dass Italien beim Ausbreitungsgrad von Corona einfach schon „viel weiter“ist. Wie die Zeitung La Repubblica berichtete, war schon lange vor dem Bekanntwerden von Corona-Fällen in der norditalienischen Kleinstadt Codogno ein enormer Anstieg von Grippefällen registriert worden. Behandelt wurde damals auf die saisonal übliche Influenza. Erst später wurde klar, dass es sich um Corona handelt. Auch wenn Italien rasch ganze Regionen abriegelte, verstrich anfänglich zu viel Zeit, wie Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori kritisierte.
Ein weiterer Grund, warum Italien derart betroffen ist, hat wohl mit dem Thema Antibiotika zu tun. Viele dieser Mittel sind in Italien frei erhältlich. Darum gibt es dort auch viel mehr multiresistente Keime als bei uns. Intensivmediziner vermuten, dass Corona-geschwächte Patienten zusätzlich von diesen oft hochgefährlichen Keimen befallen werden und dass dies die Todesrate in die Höhe treibt.
Dass Abschottung zu helfen scheint, darauf verweisen sinkende Zahlen in China. Alles in allem tut Deutschland – so die übereinstimmende Meinung von Experten – gut daran, den Kurs der sozialen Verknappung durchzuziehen. Bei normalem Sozialverhalten steckt ein Corona-Kranker zwei bis drei andere Menschen an. Ziel müsse sein, diesen Wert so tief wie möglich zu senken. Um Zeit zu gewinnen, bis ein Mittel gegen das Virus gefunden ist.