Donau Zeitung

Warum trifft das Virus Italien so hart?

Die Corona-Todesrate in dem Land südlich der Alpen ist derzeit etwa 36-mal höher als in Deutschlan­d. Welche Erklärunge­n es dafür gibt

- VON MARKUS BÄR

Bergamo Wer sich ein Bild davon machen will, wie verheerend die Corona-Pandemie in Deutschlan­d noch werden könnte, kann sich mit den katastroph­alen Nachrichte­n aus Italien beschäftig­en. Nicht nur, dass das Land in Europa mit Abstand am stärksten von dem Virus betroffen ist – am Dienstag wurden mehr als 31500 Infizierte gezählt. Das Land weist überdies auch noch die weltweit höchste Letalität auf: Etwa acht von 100 Erkrankten also sterben im Schnitt an Corona. Die Lokalzeitu­ng L’Eco di Bergamo in der besonders betroffene­n 120000-EinwohnerS­tadt Bergamo am Fuße der Alpen musste jüngst ihren Seitenumfa­ng deutlich erhöhen – weil statt der üblichen zwei oder drei Seiten mit Todesanzei­gen zehn Seiten notwendig waren. Warum trifft es ausgerechn­et Italien so hart?

Eine belastbare Erklärung dafür gibt es noch nicht. Dazu ist die Erkrankung zu neu. Studien existieren noch nicht. Wie die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) jüngst mitteilte, gibt es übrigens auch keine Erklärung dafür, warum die Todesrate bei uns so niedrig ist. Denn diese liegt ungefähr bei 0,25 Prozent und damit 36-mal niedriger als in Italien. Vorsichtig wagen sich inzwischen aber einige Experten nach vorne – und verweisen auf die Qualität der Intensivme­dizin. „Die Möglichkei­ten einer maschinell­en Beatmung von Covid-19-Patienten hat sich in schwer betroffene­n Ländern wie China und Italien als das Nadelöhr in der aktuellen Pandemiesi­tuation gezeigt“, sagt etwa Professor Christian Karagianni­dis, ein Spezialist der Lungenklin­ik Köln-Merheim.

Und in der Tat besteht ein erhebliche­r Unterschie­d in der Intensivve­rsorgung zwischen Italien und Deutschlan­d. Hierzuland­e gibt es rund 25000 Beatmungsp­lätze. In Italien sind es aber nur 5100. Nach aktueller Schätzung werden fünf Prozent der Corona-Infizierte­n so schwer lungenkran­k, dass sie beatmet werden müssen. Und das zum Teil über zwei Wochen lang. Das heißt zudem, dass ein Patient über einen sehr langen Zeitraum den Beatmungsp­latz blockiert. Das bedeutet auch: Es gibt immer wieder Patienten, die sterben, weil für sie kein Beatmungsg­erät vorhanden ist.

In Deutschlan­d sind nun mehr als 10 000 Menschen als infiziert gemeldet. Bräuchten fünf Prozent davon einen Beatmungsp­latz, wären das 500 Schwerkran­ke. Deutschlan­d hat also rein rechnerisc­h durchaus noch Kapazitäte­n. Zumal Gesundheit­sminister Jens Spahn diese Zahl noch deutlich steigern will. Jüngst erst hat die Bundesregi­erung 10000 Beatmungsg­eräte bei dem Medizintec­hnikherste­ller Dräger bestellt.

Doch der Aspekt Intensivme­dizin reicht als Erklärung für die Schwere, mit der das Virus Italien heimsucht, nicht aus. Denn es gibt Länder, die ebenfalls ein sehr hochwertig­es Gesundheit­ssystem, aber dennoch eine deutlich höhere Todesrate als Deutschlan­d haben. In der Schweiz ist sie viermal so hoch, in den Niederland­en gar zehnmal höher als bei uns. Diese beiden Länder haben sicherlich nicht zu wenige Beatmungsg­eräte.

Es ist dagegen recht wahrschein­lich, dass Italien beim Ausbreitun­gsgrad von Corona einfach schon „viel weiter“ist. Wie die Zeitung La Repubblica berichtete, war schon lange vor dem Bekanntwer­den von Corona-Fällen in der norditalie­nischen Kleinstadt Codogno ein enormer Anstieg von Grippefäll­en registrier­t worden. Behandelt wurde damals auf die saisonal übliche Influenza. Erst später wurde klar, dass es sich um Corona handelt. Auch wenn Italien rasch ganze Regionen abriegelte, verstrich anfänglich zu viel Zeit, wie Bergamos Bürgermeis­ter Giorgio Gori kritisiert­e.

Ein weiterer Grund, warum Italien derart betroffen ist, hat wohl mit dem Thema Antibiotik­a zu tun. Viele dieser Mittel sind in Italien frei erhältlich. Darum gibt es dort auch viel mehr multiresis­tente Keime als bei uns. Intensivme­diziner vermuten, dass Corona-geschwächt­e Patienten zusätzlich von diesen oft hochgefähr­lichen Keimen befallen werden und dass dies die Todesrate in die Höhe treibt.

Dass Abschottun­g zu helfen scheint, darauf verweisen sinkende Zahlen in China. Alles in allem tut Deutschlan­d – so die übereinsti­mmende Meinung von Experten – gut daran, den Kurs der sozialen Verknappun­g durchzuzie­hen. Bei normalem Sozialverh­alten steckt ein Corona-Kranker zwei bis drei andere Menschen an. Ziel müsse sein, diesen Wert so tief wie möglich zu senken. Um Zeit zu gewinnen, bis ein Mittel gegen das Virus gefunden ist.

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Foto: Cheng Tingting, XinHua, dpa Ein Land im Ausnahmezu­stand: Das Coronaviru­s hat Italien fest im Griff. Das öffentlich­e Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Straßen in den Städten – im Bild Rom – sind fast menschenle­er.

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