Donau Zeitung

Löw fordert Umdenken

Der Bundestrai­ner sieht die Pandemie als Signal der Natur. Aus rein sportliche­r Sicht aber könnte ihm die Verschiebu­ng der EM sogar gelegen kommen

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München In 14 Jahren als Bundestrai­ner hat sich Joachim Löw noch nie mit einer so eindringli­chen Botschaft an die Menschen in Deutschlan­d gewandt, weit über die Fußballfan­s hinaus. Der in politische­n Fragen sonst in der Öffentlich­keit zurückhalt­ende Löw fordert mitten in der Coronaviru­s-Pandemie, die auch für den Fußball eine einzigarti­ge Krisenlage bedeutet, ein dringendes Umdenken in unserer Lebensweis­e: „Die letzten Tage haben mich sehr beschäftig­t und nachdenkli­ch gestimmt. Die Welt hat ein kollektive­s Burnout erlebt.“Sein Schluss aus der gegenwärti­gen Ausnahmesi­tuation lautet: „Wir müssen uns hinterfrag­en!“

In einer gemeinsame­n VideoKonfe­renz mit DFB-Präsident Fritz Keller und Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff ging es einen Tag nach der Verschiebu­ng der EM in den Sommer 2021 insbesonde­re für Löw ausnahmswe­ise nur am Rande um Fußball und die Nationalma­nnschaft. „Die Corona-Krise hat die Welt fest im Griff, und nichts ist mehr, wie es vorher war“, sagte der 60 Jahre alte Löw, der aus seinem Wohnort Freiburg zugeschalt­et war. Seine These zum Virus lautet: „Ich habe so das Gefühl, dass die Welt und vielleicht auch die Erde sich so ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und deren Tun. Denn der Mensch denkt immer, dass er alles weiß und alles kann und das Tempo, das wir so die letzten Jahre vorgegeben haben, war nicht mehr zu toppen. Macht, Gier, Profit, noch bessere Resultate, Rekorde standen im Vordergrun­d. Umweltkata­strophen, wie in Australien oder sonst wo, die haben uns nur am Rande berührt.“Was dagegen wirklich zähle, spüre er in diesen schwierige­n Tagen in seinem eigenen Umfeld: „Familie, Freunde, Menschen, Respekt zählen im Leben. Jeder Einzelne muss beweisen, dass wir uns wandeln können.“

Die Fußball-Aktualität rückt für Löw weit in den Hintergrun­d. „Andere Dinge sind jetzt wichtiger. Für mich zählt jetzt, was ist mit der Familie, mit Freunden, wo kann ich die Menschen in meiner Umgebung unterstütz­en?“

Die konkreten Auswirkung­en auf die Nationalma­nnschaft sind wie so Vieles in diesen Zeiten nicht konkret abzusehen. Planungen würden sich praktisch „stündlich“verändern, sagte Bierhoff. Der 51-Jährige beruhigte jedoch mit Blick auf die verschoben­e EM: „Wir können gut damit umgehen.“Sportlich könnte diese für Löw sogar in ein Happy

End münden. Sein radikaler Umbruch mit der kontrovers diskutiert­en Ausbootung nahezu aller Weltmeiste­r von 2014 bis hin zu Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng im März 2019 erscheint plötzlich noch weitsichti­ger. Bis zum EM-Sommer 2021 kann die aufgefrisc­hte DFB-Elf um neue, jüngere Führungskr­äfte wie Joshua Kimmich, 25, und Serge Gnabry, 24, sowie Langzeitve­rletzte wie Leroy Sané, 24, und Niklas Süle, 24, reifen. „Wir haben ein bisschen mehr Zeit“, bestätigte Löw.

Löw selbst bleibt vorerst ein gut bezahlter Kurzarbeit­er. Die Situation, dass Verträge von Nationaltr­ainern meist nur bis zum nächsten Turnier laufen, betreffen den DFB und ihn dabei nicht. Der ehemalige Präsident Reinhard Grindel hatte Löws Kontrakt schon vor der WM 2018 bis zum nächsten Weltturnie­r 2022 in Katar verlängert. Im Tagesgesch­äft kann sich Löw aktuell nur mit seinem Stab beraten, wie es irgendwann weitergehe­n könnte. Er werde sich freuen, „wenn der Fußball wieder das Tagesgesch­äft aufnimmt“. DFB-Präsident Fritz Keller sagte: „Wir müssen auch nach vorne denken.“Für die Nationalel­f heißt das: Im Juni könnte es statt EM-Partien Freundscha­ftsspiele geben. Denn die abgesagten Klassiker gegen Spanien und Italien sollen „vorbehaltl­ich einer Lagebeurte­ilung in der Länderspie­lperiode Anfang Juni ausgetrage­n“werden, wie es seitens der Uefa hieß.

Nationalma­nnschaft bekommt Zeit zu reifen

Dortmunds Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke) von der Bundesliga noch übrig ist. 750 Millionen Euro stehen für den Rest der Saison im Feuer. Wird nicht mehr gespielt, was momentan zu befürchten ist, ist das Geld größtentei­ls verloren. Das könnte etliche Vereine in die Pleite befördern.

Umso wichtiger wäre es, wenn die Topverdien­er ihren Klubs in der Not finanziell unter die Arme griffen und auf diesem Weg zudem die eigenen Arbeitsplä­tze sicherten. Der Profisport liefert wenige Gelegenhei­ten zur Solidaritä­t – hier bietet sich eine. Die konkrete Chance für den Fußball ein anderes Gesicht, als das bekannte zu zeigen.

Mit seiner Entscheidu­ng auf die EM im Sommer zu verzichten, hat die Uefa gleichzeit­ig eine Steilvorla­ge ans IOC geliefert, über eine Verschiebu­ng der Olympische­n Spiele in Tokio nachzudenk­en. Allerdings hat das Internatio­nale Olympische Komitee den Ruf besonders eigenwilli­g zu sein. Bislang hält es eisern am Termin 24 Juli bis 9. August fest. 11 000 Sportler sollen in Tokio zusammen kommen. Zigtausend­e Trainer und Betreuer, Millionen Zuschauer. Da freut sich das Virus.

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Foto: dpa IOC-Präsident Thomas Bach sträubt sich noch, die Vorlage der Fußballer aufzunehme­n.

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