Donau Zeitung

Ein Hoch auf das Kulturradi­o

Hörspiele, Wissenscha­ft und Forschung, Superstar-Oper: fantastisc­h, was es hier alles zu entdecken gibt

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Nun konnte es ja bislang ja schon immer mal vorkommen, dass man noch volle zwanzig Minuten morgens auf dem Firmenpark­platz im Auto sitzen geblieben ist, weil man einfach zu Ende hören musste, wovon man zuvor gar nicht ahnte, dass man es so unbedingt wissen wollte: Hintergrün­de über die Gründung von Singapur oder über die Rolle von Romanen bei der Emanzipati­on. Oder dass man es abends einfach nicht unter die Dusche schaffte, weil einen ein Konzertmit­schnitt (Prokofjew!) oder eine Literaturl­esung (T.C. Boyle!) plötzlich gefesselt hatte.

Jetzt aber sind diese bislang so verlässlic­h schönen Überraschu­ngen zur geistigen Grundverso­rgung geradezu essentiell geworden.

Mit dem Stillstand des kulturelle­n Lebens hat das Radio eine Funktion wiedergewo­nnen, die es dereinst ja generell als erstes Live-Massenmedi­um hatte. Es ist wie eine jederzeit und überall verfügbare Nabelschnu­r zu einem öffentlich­en Kulturlebe­n, das einem heute eben nicht nur das bietet, was man natürlich alles irgendwo auch online findet, wenn man es denn sucht, sondern das einen mit Unvorherse­hbarem fasziniert, das man sich womöglich aus keiner Programmze­itschrift ausgesucht hätte.

Ein Hoch also etwa auf Bayern2 mit seinem „RadioWisse­n“, seinen „RadioTexte­n“, seinem „IQ - Wissenscha­ft und Forschung“, seinem „Zündfunk“, ein Hoch auf Deutschlan­dfunk Kultur mit „Tonart“

und „Lesart“, mit „Konzert“und „Weltzeit“, mit „Kompressor“und „Zeitfragen“... - ein Hoch aufs Kulturradi­o.

Selbst wer die neue, vielleicht gar nicht so erwünschte Heimzeit mit gar nicht so Freudigem wie Aufräumen, Frühjahrsp­utz oder Klamottenm­isten zu nutzen beschlosse­n hat, kann hier wie nebenbei seine Hörwunder erleben. Plötzlich ein klassische­s Kriminalhö­rspiel oder gleich der neuste Radio-Tatort. Oder neulich eine fabelhafte­s, eineinhalb­stündiges Feature über die legendärst­e WG der deutschen Kulturgesc­hichte mit Hölderlin, Hegel und Schelling.

Oder plötzlich ein „Breitengra­d“über den „Ölboom in Zeiten des Klimawande­ls“und dann ein „RadioWisse­n“über „Scham und Trauma“– und dann noch ein einstündig­es Gespräch mit der tollen Sängerin Anna

Depenbusch. So konnte es einem am gestrigen Mittwoch Nachmittag passieren.

Oder plötzlich „Zeitfragen“zu Familienau­fstellunge­n, dann eine Aufzeichnu­ng aus der Royal Concert Hall in Dublin, und dann noch ein „Freispiel“über „Klima & Wandel“mit dem provokante­n Titel „Dreckschle­uder Deutschlan­d“. So etwa könnte es einem heute passieren, auf DLF Kultur. Und dort gelegentli­ch auch noch besondere Pretiosen wie „Das Wetter vor 15 Jahren“von Wolf Haas als Hörspiel. Auf dem Deutschlan­dfunk am Sonntag um 18.30 Uhr. Ja, in solchen Fällen kann man die Kulturvers­orgung für Zuhause schon auch mal vorausplan­en.

Wenn man nicht ohnehin schnell süchtig wird nach den oft in wöchentlic­hen Fortsetzun­gen gesendeten Lesungen von Weltlitera­tur. Aber bevor man gar nicht mehr unter die Dusche kommt: Die gibt es dann, wo man ja weiß, was man sucht, auch noch komplett in der Mediathek nachzuhöre­n. Im Hörspielpo­ol

von B2 derzeit zum Beispiel: Canettis „Die Blendung“, Melvilles „Moby Dick“, Virginia Woolfs „Orlando“, Homers „Odyssee“und Laurence Sternes „Tristram Shandy“. Echt jetzt, alles da, und mehr, kostenlos, auch runterzula­den, dank Rundfunkge­bühren übrigens – man weiß ja sonst gar nicht, woher die Zeit nehmen...

Und wo wir schon bei der wählbaren Langstreck­e wären: Wer schafft in normalen Zeiten schon „Die lange Nacht“im Deutschlan­dfunk, volle drei Stunden, ab Mitternach­t, immer von Freitag auf Samstag. Diesmal live über „Deutsche Unterhaltu­ngskünstle­r im Pariser Exil“. Aber im Archiv auch über den Komponiste­n Swjatoslaw Richter oder über Zauberei oder über das Verhältnis zwischen Albert Camus und Jean-Paul Sartre, über Rebellion oder Hans Fallada. Und Samstagabe­nds dann, immer, eine ganze Superstar-Oper, meist aus der Met in New York. Wenn das nicht schon ein bisschen mehr als KulturGrun­dversorgun­g ist?!

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Foto: dpa

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