„Es kommt eine Menge auf uns zu“
Kurzarbeit kommt für immer mehr Betriebe in der Region infrage, auch wenn die meisten aktuell gut dastehen. Manch einer profitiert sogar von der aktuellen Lage – zumindest noch
Landkreis Ein „Crash, das kann man gar nicht beschreiben“, so bezeichnet Siegfried Bissinger das, was derzeit in der weltweiten Wirtschaft vor sich geht. Auslöser sind das Coronavirus, die Eindämmungsmaßnahmen, die Unsicherheit. Beim Blick auf die Wirtschaft befürchtet der Geschäftsführer des gleichnamigen Systemhauses in Gundelfingen: „Dass jemand glimpflich davonkommt, kann ich mir nicht vorstellen.“In seinem eigenen Unternehmen würden die meisten Bereiche noch gut laufen. „Die Auswirkungen spürt man nicht gleich im ersten Monat“, sagt Bissinger. Trotzdem gebe es bereits Überlegungen, Kurzarbeit einzuführen, um mögliche Umsatzeinbußen aufzufangen.
Wie Bissinger geht es derzeit vielen Unternehmen im Landkreis. Während die Zahl der bestätigten Corona-Fälle steigt, bekommt auch die Wirtschaft in der Region die Auswirkungen der Krise zu spüren. Seit vergangener Woche etwa steht die Produktion beim Traktorhersteller Same Deutz-Fahr in Lauingen still, BSH in Dillingen zog am Samstag nach. Auch dort wird aktuell nicht mehr produziert.
Doch nicht alle Unternehmen trifft es so hart. Einige merken die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht – zumindest noch nicht. Grünbeck in Höchstädt etwa: Im März habe das Unternehmen einen „bombastischen Umsatz“erzielt, sagt Geschäftsführer Günter Stoll. Denn der Hersteller von Wasseraufbereitungsmaschinen erlebe seine ganz eigene Welle an Hamsterkäufen. „Viele Großhändler ziehen ihre Bestellungen vor und decken sich ein“, erzählt Stoll. Besonders Wasserfilter, Enthärtungs- und Dosieranlagen seien gefragt. Dazu komme bei Grünbeck noch ein glücklicher Zufall, wenn man so will. Denn die Lager sind voll, die Produktion ist vorerst gesichert. „Wir haben zum 1. April eine EDV-Umstellung geplant. Da muss man davon ausgehen, dass das Schwierigkeiten geben wird.“Damit die Produktion trotzdem weiterlaufen kann, habe man seit November fleißig die Lagerbestände hochgefahren. Doch Stoll ist sich sicher: „Mit einer gewissen Verzögerung trifft uns die Krise auch.“Ob Kurzarbeit eine Option sei? „Wir müssen uns zumindest gedanklich damit beschäftigen.“Solange es geht, wolle man den normalen Betrieb aber aufrechterhalten – und Kurzarbeit vermeiden.
Ähnlich sieht das auch Nicola Thanner, Geschäftsführerin des gleichnamigen Herstellers von Spezialschuhen für Diabetiker und Rheumatiker und Schäften für orthopädische Schuhe aus Höchstädt. Sie sagt: „Nur weil es gerade leichter ist, Kurzarbeit einzuführen, heißt das nicht, dass man das gleich machen muss.“Schließlich trage das Unternehmen auch soziale Verantwortung. Trotzdem denke man auch bei Thanner angesichts der geringeren Zahl an Aufträgen über Kurzarbeit nach. „Wir müssen einfach abwarten und sehen, wie es im April aussieht.“Momentan sei man in der glücklichen Lage, produzieren zu können – und zu dürfen. Wie Grünbeck sieht sich auch der Zulieferer für den Gesundheitssektor als systemkritisch an. Trotzdem werde die Produktion dadurch erschwert, dass viele Rohstoffe für die Schuhe aus dem Ausland kommen, Leder etwa aus Italien. „Wir haben immer geschaut, dass wir genug im Lager haben.“
Wie viele Menschen in der Region aktuell tatsächlich von Kurzarbeit betroffen sind, lässt sich kaum einschätzen. Der Vorsitzende der IHKRegionalversammlung, Gregor Ludley, kann dazu keine Zahlen nennen. Denn der Industrie- und Handelskammer lägen dazu keine Auswertungen vor. „Jedoch können Sie davon ausgehen, dass eine große Anzahl an Unternehmen sich damit momentan schon beschäftigt hat“, so Ludley. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis „ziemlich flächendeckend die meisten Unternehmen davon betroffen sein werden“. Nicht einmal die Agentur für Arbeit hat derzeit einen Überblick. Auf Nachfrage sagt eine Sprecherin: „Momentan ist das alles relativ unübersichtlich. Die Anfragen werden jeden Tag mehr.“Seit knapp zwei Wochen seien die meisten Mitarbeiter der Donauwörther Behörde nur noch damit beschäftigt, telefonisch Auskünfte über Kurzarbeit zu geben. Um der neuen Situation Herr zu werden, habe man intern einige Abläufe umgestellt: „Oberste Priorität haben Auszahlungen, vor allem, was das Arbeitslosengeld angeht.“Wie sehr das Virus die Wirtschaft in der Region treffen wird, sei nicht absehbar. Sicher sei nur eines: „Es kommt eine Menge auf uns zu.“
Auch bei der Betriebsseelsorge der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) spürt man die Sorgen vieler Arbeitnehmer. „Es gibt einige, die verdammt Angst haben“, sagt Diakon Georg Steinmetz. Vor allem für Menschen im Niedriglohnsektor sei die Lage schwierig. „Wenn man nur zehn Euro pro Stunde verdient und dann noch Kurzarbeit kommt, das ist ein Riesenproblem.“Seinem Eindruck nach wüssten auch viele Betriebe gar nicht, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen sollen. Steinmetz zieht bereits eine Lehre aus der Krise: „Ich denke, es war höchste Zeit für eine wirtschaftliche Bremse, auch wenn es tragisch ist, dass sie in dieser Form kam.“Das Rennen um immer bessere Renditen und die Selbstverständlichkeit billigen Einkaufens seien nicht normal. „Es ist dringend nötig, dass wir wieder auf den Menschen schauen, nicht nur auf die Wirtschaft.“Seine Hoffnung stecke in den Maßnahmen, die Bund und Länder angekündigt haben. „Das zeigt, dass sie hinter den
Unternehmen und den Arbeitnehmern stehen.“Wichtig sei jetzt, „dass wir uns gegenseitig in guten Gedanken verbunden bleiben“.
Während die meisten Unternehmen unter erschwerten Bedingungen weitermachen wie bisher, schwenken andere um. Die Glaserei Trocha in Dillingen zum Beispiel. In NichtKrisenzeiten stellt der Handwerksbetrieb Glastüren, Duschabtrennungen und verschiedene Verglasungen her. Aktuell dreht sich die Produktion aber um Spuckschutzelemente für Bäckereien, Banken, Apotheken und mehr. Immer öfter werden solche
Abtrennungen an den Kassen und Schaltern verbaut, um die Mitarbeiter vor möglichen Infektionen zu schützen. Doch zuversichtlich ist Geschäftsführer Michael Trocha trotzdem nicht. „Ich denke, die nächsten zwei Monate werden für alle Handwerker schwierig.“Aktuell gebe es in seiner Glaserei zwar noch Arbeit, das Auftragsvolumen sei aber nicht das gleiche wie in Nicht-Krisenzeiten. Dazu kommt: „Es ist auch schwierig, für Aufträge irgendwo hinzugehen. Man muss ja Sicherheitsabstände einhalten.“Reparaturarbeiten führe die Glaserei noch aus. Die Kunden, sagt
Trocha, wissen Bescheid. Wenn die Handwerker kommen, gehen sie in einen anderen Raum. „Wenn sie das nicht tun würden, könnten wir gar nicht arbeiten.“Trotz der wirtschaftlichen Konsequenzen sagt er mit Blick auf das Virus: „Wir dürfen alle nicht jammern, solange wir das hier überleben.“
Weniger Sorgen scheint man sich beim Fassadenbauer Gartner in Gundelfingen zu machen. Auch dort nehme man die Lage zwar ernst, etwa, indem man wie viele andere Betriebe auch viel Wert auf Sicherheitsabstände und Desinfektion von Oberflächen legt, direkte Auswirkungen spüre man bislang aber nicht. „Uns kommt entgegen, dass wir langfristig denken und unsere Projekte meist über mehrere Jahre verfolgen“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Für das derzeit größte Projekt, Google in London (wir berichteten), könne man auch weiterhin produzieren, selbst wenn die Baustelle stillstehen würde. „Das Gebäude befindet sich erst im Rohbau, wir produzieren die Fassadenteile bisher nur und lagern sie ein.“Als global tätiges Unternehmen sei Gartner besonders auf die jeweiligen lokalen Sicherheitsbestimmungen angewiesen. „Wenn in New York eine Baustelle stillsteht, geht es in der Schweiz vielleicht trotzdem weiter.“Seit Ausbruch der Krise sei man bei Gartner noch enger in Kontakt mit den Lieferanten, um mögliche Engpässe frühzeitig zu erkennen. Kurzarbeit, so die Sprecherin, „ist nicht gar kein Thema, weil wir nicht wissen, wie die Lage morgen ist.“Kurzfristige Schwankungen in der Arbeitsauslastung könnten aber durch flexible Schicht- und Arbeitszeitmodelle abgefedert werden.
Die Bayerische Staatsregierung hat ein Soforthilfeprogramm eingerichtet, das sich an Betriebe und Freiberufler richtet, die durch die Corona-Krise in eine existenzbedrohliche wirtschaftliche Schieflage und in Liquiditätsengpässe geraten sind. Wichtige Informationen über Antragsberechtigung, Höhe der Soforthilfen sowie das Antragsformular zum Download finden sich auf den Internetseiten des Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sowie der Regierung von Schwaben. Beim zuständigen Sachgebiet der Regierung wird laut einer Mitteilung bereits mit massiv verstärktem Personaleinsatz an den Anträgen gearbeitet. Um die Wartezeit auf die Entscheidungen auf ein Minimum zu begrenzen, appelliert die Regierung an die Antragsteller, von Nachfragen über die geschaltete Hotline abzusehen. Die Regierung bittet unter Hinweis auf die hohen Fallzahlen außerdem um Verständnis, dass Eingangsbestätigungen derzeit weder per Post noch per Mail versandt werden. Fragen? Die Arbeitsagenturen und das Jobcenter haben weitere Rufnummern eingerichtet, da aufgrund des erhöhten Anrufaufkommens die Leitungen überlastet sind: Für Arbeitnehmer 0906/ 788333, für Arbeitgeber 0800/ 4555520, Jobcenter Dillingen 09071/5858333.