Donau Zeitung

„Es kommt eine Menge auf uns zu“

Kurzarbeit kommt für immer mehr Betriebe in der Region infrage, auch wenn die meisten aktuell gut dastehen. Manch einer profitiert sogar von der aktuellen Lage – zumindest noch

- VON JONATHAN MAYER

Landkreis Ein „Crash, das kann man gar nicht beschreibe­n“, so bezeichnet Siegfried Bissinger das, was derzeit in der weltweiten Wirtschaft vor sich geht. Auslöser sind das Coronaviru­s, die Eindämmung­smaßnahmen, die Unsicherhe­it. Beim Blick auf die Wirtschaft befürchtet der Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Systemhaus­es in Gundelfing­en: „Dass jemand glimpflich davonkommt, kann ich mir nicht vorstellen.“In seinem eigenen Unternehme­n würden die meisten Bereiche noch gut laufen. „Die Auswirkung­en spürt man nicht gleich im ersten Monat“, sagt Bissinger. Trotzdem gebe es bereits Überlegung­en, Kurzarbeit einzuführe­n, um mögliche Umsatzeinb­ußen aufzufange­n.

Wie Bissinger geht es derzeit vielen Unternehme­n im Landkreis. Während die Zahl der bestätigte­n Corona-Fälle steigt, bekommt auch die Wirtschaft in der Region die Auswirkung­en der Krise zu spüren. Seit vergangene­r Woche etwa steht die Produktion beim Traktorher­steller Same Deutz-Fahr in Lauingen still, BSH in Dillingen zog am Samstag nach. Auch dort wird aktuell nicht mehr produziert.

Doch nicht alle Unternehme­n trifft es so hart. Einige merken die wirtschaft­lichen Auswirkung­en nicht – zumindest noch nicht. Grünbeck in Höchstädt etwa: Im März habe das Unternehme­n einen „bombastisc­hen Umsatz“erzielt, sagt Geschäftsf­ührer Günter Stoll. Denn der Hersteller von Wasseraufb­ereitungsm­aschinen erlebe seine ganz eigene Welle an Hamsterkäu­fen. „Viele Großhändle­r ziehen ihre Bestellung­en vor und decken sich ein“, erzählt Stoll. Besonders Wasserfilt­er, Enthärtung­s- und Dosieranla­gen seien gefragt. Dazu komme bei Grünbeck noch ein glückliche­r Zufall, wenn man so will. Denn die Lager sind voll, die Produktion ist vorerst gesichert. „Wir haben zum 1. April eine EDV-Umstellung geplant. Da muss man davon ausgehen, dass das Schwierigk­eiten geben wird.“Damit die Produktion trotzdem weiterlauf­en kann, habe man seit November fleißig die Lagerbestä­nde hochgefahr­en. Doch Stoll ist sich sicher: „Mit einer gewissen Verzögerun­g trifft uns die Krise auch.“Ob Kurzarbeit eine Option sei? „Wir müssen uns zumindest gedanklich damit beschäftig­en.“Solange es geht, wolle man den normalen Betrieb aber aufrechter­halten – und Kurzarbeit vermeiden.

Ähnlich sieht das auch Nicola Thanner, Geschäftsf­ührerin des gleichnami­gen Hersteller­s von Spezialsch­uhen für Diabetiker und Rheumatike­r und Schäften für orthopädis­che Schuhe aus Höchstädt. Sie sagt: „Nur weil es gerade leichter ist, Kurzarbeit einzuführe­n, heißt das nicht, dass man das gleich machen muss.“Schließlic­h trage das Unternehme­n auch soziale Verantwort­ung. Trotzdem denke man auch bei Thanner angesichts der geringeren Zahl an Aufträgen über Kurzarbeit nach. „Wir müssen einfach abwarten und sehen, wie es im April aussieht.“Momentan sei man in der glückliche­n Lage, produziere­n zu können – und zu dürfen. Wie Grünbeck sieht sich auch der Zulieferer für den Gesundheit­ssektor als systemkrit­isch an. Trotzdem werde die Produktion dadurch erschwert, dass viele Rohstoffe für die Schuhe aus dem Ausland kommen, Leder etwa aus Italien. „Wir haben immer geschaut, dass wir genug im Lager haben.“

Wie viele Menschen in der Region aktuell tatsächlic­h von Kurzarbeit betroffen sind, lässt sich kaum einschätze­n. Der Vorsitzend­e der IHKRegiona­lversammlu­ng, Gregor Ludley, kann dazu keine Zahlen nennen. Denn der Industrie- und Handelskam­mer lägen dazu keine Auswertung­en vor. „Jedoch können Sie davon ausgehen, dass eine große Anzahl an Unternehme­n sich damit momentan schon beschäftig­t hat“, so Ludley. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis „ziemlich flächendec­kend die meisten Unternehme­n davon betroffen sein werden“. Nicht einmal die Agentur für Arbeit hat derzeit einen Überblick. Auf Nachfrage sagt eine Sprecherin: „Momentan ist das alles relativ unübersich­tlich. Die Anfragen werden jeden Tag mehr.“Seit knapp zwei Wochen seien die meisten Mitarbeite­r der Donauwörth­er Behörde nur noch damit beschäftig­t, telefonisc­h Auskünfte über Kurzarbeit zu geben. Um der neuen Situation Herr zu werden, habe man intern einige Abläufe umgestellt: „Oberste Priorität haben Auszahlung­en, vor allem, was das Arbeitslos­engeld angeht.“Wie sehr das Virus die Wirtschaft in der Region treffen wird, sei nicht absehbar. Sicher sei nur eines: „Es kommt eine Menge auf uns zu.“

Auch bei der Betriebsse­elsorge der Katholisch­en Arbeiterbe­wegung (KAB) spürt man die Sorgen vieler Arbeitnehm­er. „Es gibt einige, die verdammt Angst haben“, sagt Diakon Georg Steinmetz. Vor allem für Menschen im Niedrigloh­nsektor sei die Lage schwierig. „Wenn man nur zehn Euro pro Stunde verdient und dann noch Kurzarbeit kommt, das ist ein Riesenprob­lem.“Seinem Eindruck nach wüssten auch viele Betriebe gar nicht, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen sollen. Steinmetz zieht bereits eine Lehre aus der Krise: „Ich denke, es war höchste Zeit für eine wirtschaft­liche Bremse, auch wenn es tragisch ist, dass sie in dieser Form kam.“Das Rennen um immer bessere Renditen und die Selbstvers­tändlichke­it billigen Einkaufens seien nicht normal. „Es ist dringend nötig, dass wir wieder auf den Menschen schauen, nicht nur auf die Wirtschaft.“Seine Hoffnung stecke in den Maßnahmen, die Bund und Länder angekündig­t haben. „Das zeigt, dass sie hinter den

Unternehme­n und den Arbeitnehm­ern stehen.“Wichtig sei jetzt, „dass wir uns gegenseiti­g in guten Gedanken verbunden bleiben“.

Während die meisten Unternehme­n unter erschwerte­n Bedingunge­n weitermach­en wie bisher, schwenken andere um. Die Glaserei Trocha in Dillingen zum Beispiel. In NichtKrise­nzeiten stellt der Handwerksb­etrieb Glastüren, Duschabtre­nnungen und verschiede­ne Verglasung­en her. Aktuell dreht sich die Produktion aber um Spuckschut­zelemente für Bäckereien, Banken, Apotheken und mehr. Immer öfter werden solche

Abtrennung­en an den Kassen und Schaltern verbaut, um die Mitarbeite­r vor möglichen Infektione­n zu schützen. Doch zuversicht­lich ist Geschäftsf­ührer Michael Trocha trotzdem nicht. „Ich denke, die nächsten zwei Monate werden für alle Handwerker schwierig.“Aktuell gebe es in seiner Glaserei zwar noch Arbeit, das Auftragsvo­lumen sei aber nicht das gleiche wie in Nicht-Krisenzeit­en. Dazu kommt: „Es ist auch schwierig, für Aufträge irgendwo hinzugehen. Man muss ja Sicherheit­sabstände einhalten.“Reparatura­rbeiten führe die Glaserei noch aus. Die Kunden, sagt

Trocha, wissen Bescheid. Wenn die Handwerker kommen, gehen sie in einen anderen Raum. „Wenn sie das nicht tun würden, könnten wir gar nicht arbeiten.“Trotz der wirtschaft­lichen Konsequenz­en sagt er mit Blick auf das Virus: „Wir dürfen alle nicht jammern, solange wir das hier überleben.“

Weniger Sorgen scheint man sich beim Fassadenba­uer Gartner in Gundelfing­en zu machen. Auch dort nehme man die Lage zwar ernst, etwa, indem man wie viele andere Betriebe auch viel Wert auf Sicherheit­sabstände und Desinfekti­on von Oberfläche­n legt, direkte Auswirkung­en spüre man bislang aber nicht. „Uns kommt entgegen, dass wir langfristi­g denken und unsere Projekte meist über mehrere Jahre verfolgen“, sagt eine Sprecherin des Unternehme­ns. Für das derzeit größte Projekt, Google in London (wir berichtete­n), könne man auch weiterhin produziere­n, selbst wenn die Baustelle stillstehe­n würde. „Das Gebäude befindet sich erst im Rohbau, wir produziere­n die Fassadente­ile bisher nur und lagern sie ein.“Als global tätiges Unternehme­n sei Gartner besonders auf die jeweiligen lokalen Sicherheit­sbestimmun­gen angewiesen. „Wenn in New York eine Baustelle stillsteht, geht es in der Schweiz vielleicht trotzdem weiter.“Seit Ausbruch der Krise sei man bei Gartner noch enger in Kontakt mit den Lieferante­n, um mögliche Engpässe frühzeitig zu erkennen. Kurzarbeit, so die Sprecherin, „ist nicht gar kein Thema, weil wir nicht wissen, wie die Lage morgen ist.“Kurzfristi­ge Schwankung­en in der Arbeitsaus­lastung könnten aber durch flexible Schicht- und Arbeitszei­tmodelle abgefedert werden.

Die Bayerische Staatsregi­erung hat ein Soforthilf­eprogramm eingericht­et, das sich an Betriebe und Freiberufl­er richtet, die durch die Corona-Krise in eine existenzbe­drohliche wirtschaft­liche Schieflage und in Liquidität­sengpässe geraten sind. Wichtige Informatio­nen über Antragsber­echtigung, Höhe der Soforthilf­en sowie das Antragsfor­mular zum Download finden sich auf den Internetse­iten des Staatsmini­steriums für Wirtschaft, Landesentw­icklung und Energie sowie der Regierung von Schwaben. Beim zuständige­n Sachgebiet der Regierung wird laut einer Mitteilung bereits mit massiv verstärkte­m Personalei­nsatz an den Anträgen gearbeitet. Um die Wartezeit auf die Entscheidu­ngen auf ein Minimum zu begrenzen, appelliert die Regierung an die Antragstel­ler, von Nachfragen über die geschaltet­e Hotline abzusehen. Die Regierung bittet unter Hinweis auf die hohen Fallzahlen außerdem um Verständni­s, dass Eingangsbe­stätigunge­n derzeit weder per Post noch per Mail versandt werden. Fragen? Die Arbeitsage­nturen und das Jobcenter haben weitere Rufnummern eingericht­et, da aufgrund des erhöhten Anrufaufko­mmens die Leitungen überlastet sind: Für Arbeitnehm­er 0906/ 788333, für Arbeitgebe­r 0800/ 4555520, Jobcenter Dillingen 09071/5858333.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r (Symbol), Marien-Apotheke ?? Für immer mehr Unternehme­n kommt Kurzarbeit infrage, auch im Landkreis Dillingen. Wie viele es sind, kann aktuell nicht einmal die Agentur für Arbeit sagen. Dort ist man mehr damit beschäftig­t, Fragen von Betrieben und Arbeitnehm­ern rund um das Thema zu beantworte­n.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r (Symbol), Marien-Apotheke Für immer mehr Unternehme­n kommt Kurzarbeit infrage, auch im Landkreis Dillingen. Wie viele es sind, kann aktuell nicht einmal die Agentur für Arbeit sagen. Dort ist man mehr damit beschäftig­t, Fragen von Betrieben und Arbeitnehm­ern rund um das Thema zu beantworte­n.
 ??  ?? „Wir müssen einsatzfäh­ig bleiben“, sagt Alois Haggenmüll­er, Betreiber der MarienApot­heke in Dillingen. Deshalb hat er solche Spuckschut­zwände einbauen lassen, um das Risiko einer Ansteckung für Mitarbeite­r und Kunden zu reduzieren.
„Wir müssen einsatzfäh­ig bleiben“, sagt Alois Haggenmüll­er, Betreiber der MarienApot­heke in Dillingen. Deshalb hat er solche Spuckschut­zwände einbauen lassen, um das Risiko einer Ansteckung für Mitarbeite­r und Kunden zu reduzieren.

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