Der Bücherwurm sagt leise Servus
Seit 30 Jahren fährt Michael Baumgärtner mit dem Bücherbus im Landkreis von Ort zu Ort und bringt Nachschub für Lesehungrige. Nun verabschiedet er sich und geht in den wohlverdienten Ruhestand
Wertingen Der Bibliothekar geht von Bord und sagt leise Servus. Seit 30 Jahren ist Michael Baumgärtner Herr der „rollenden Bibliothek“im Landkreis Dillingen. Zum Monatsende verabschiedet er sich von seiner Tätigkeit im Bücherbus und geht in den verdienten Ruhestand. Ehe er in Kürze seinen Wohnort wechselt und wieder zurück nach Stuttgart zieht, bedankt er sich bei seiner langjährigen treuen Kundschaft.
Nach dem Studium des Bibliothekswesens an der Fachhochschule Stuttgart und nach Praktika in Freiburg, Karlsruhe und Tübingen stieß der junge Bibliothekar in einem Fachblatt auf eine Stellenausschreibung für die Kreisfahrbücherei Dillingen. Heute sagt er: „In der Wirklichkeit ist das der Bücherbus.“
Am Ende seines Berufslebens erinnert er sich an die Anfänge und sagt: „Ich habe damals nicht gewusst, wo Wertingen liegt, damals fuhr hier noch die Nebenbahn.“Seitdem tingelt er mit dem Bücherbus bei Wind und Wetter durch den Landkreis – zu insgesamt 80 Haltestellen. Gemeinsam
mit dem Fahrer Georg Baindl fährt er von Ort zu Ort und kennt viele Bewohner. Seine Erfahrung: Schmökern kommt im Landkreis Dillingen bei Jung und Alt gleichermaßen gut an.
Seit Jahrzehnten erlebt der Bibliothekar immer wieder eine ähnliche Szene. Rollt der „Bücherbus“ins
Dorf, ist das auch ein Höhepunkt im Dorfgeschehen.
Die „Leseratten“warten schon an den Haltestellen. In ihren Taschen und Körben bringen sie Bücher zurück und tauschen diesen gegen Nachschub aus. Öffnet Baumgärtner im Bus die Türen, strömen alle herein und wählen aus langen Bücherregalen
neue Bücher aus. Der Bibliothekar ist ein ruhiger, zurückhaltender Mann. Er berät besonnen seine Kundschaft.
„In der Beratung sehe ich die professionelle Herausforderung, um die Lust am Lesen mit dem passenden Buch zu fördern“sagt er. Kindern und Jugendlichen gelte seine besondere Aufmerksamkeit „Sie sind unsere Zukunft,“sagt der Wertinger. „Über die Jahre kenne ich meine Kunden und deren Lesegeschmack“, sagt der Bibliothekar und beobachtet die unterschiedliche Struktur der Leser in den einzelnen Ortschaften. „In manchen Orten kommen mehr Kinder und in einem anderen sind es mehr Erwachsene.“Am Ende seines Arbeitslebens nehme er viele Erfahrungen und schöne Erinnerungen aus seinem Berufsleben mit. Er erinnert sich an zwei Frauen, die seit Jahrzehnten stets gemeinsam zum Bücherbus kommen. Früher kamen sie mit ihren Kindern, heute kommen sie mit ihren Enkeln zum Bücherbus. Baumgärtner freut sich über die Treue seiner Kunden.
Es gibt immer wieder neue Bücher zu entdecken. Damit die Neugier auf die Buchauswahl der „rollenden Bibliothek“bleibt, aktualisiert Baumgärtner regelmäßig die Auswahl, reagiert auf Leserwünsche und auf Bestellungen. Dabei greift er auf einen stattlichen Fundus von 20000 Druckmedien und 5000 CDs, Hörspiele und elektronische Medien zurück. „So manchem Schüler konnte ich mit Buchempfehlungen weiterhelfen, die sie für Referate nutzen konnten,“berichtet er.
Auch der Bücherbus ist von den Auswirkungen des Corona-Virus betroffen. Der Bus fährt in diesen Wochen nicht. Die letzten Arbeitstage verbringt der „fahrende Bibliothekar“im Innendienst, repariert und aktualisiert den Bücherbestand und führt Telefonate. Das Telefon klingelt in diesen Tagen oft. Leser rufen an und sind verunsichert. Sie wollen wissen, wie sie in dieser Ausnahmesituation ihre Bücherrückgabe regeln können. „Die ausgeliehenen Bücher bleiben vorerst bei den Ausleihern, es fallen keine zusätzlichen Gebühren an“beruhigt Baumgärtner.
Ein langjähriger Stammleser ist am Telefon. Baumgärtner erinnert sich an dessen Geschichte. Als junger Leser kam dieser mit seinem Vater in den Bus für die Unterzeichnung der Ausleihkarte. Mittlerweile ist der Kunde älter geworden und nicht mehr gut zu Fuß. Umso mehr weiß er die fahrende Bibliothek zu schätzen. Er verabschiedet sich vom Bibliothekar und sagt „Eigentlich war es eine sehr schöne Zeit.“