„Da sind die Leute wieder froh, Merkel zu haben“
Der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust spricht über den Druck auf Politiker in Krisenzeiten und das wichtigste Kapital der Kanzlerin. Und er erklärt, warum momentan niemand das „Geschwätz“von Populisten hören will
Herr von Beust, sind Sie froh, keine politische Verantwortung mehr tragen zu müssen?
Ole von Beust: Die Verantwortung und die Belastung für Politiker sind derzeit riesig, ohne Frage. Aber es kann auch reizvoll sein, dabei zu helfen, so eine Krise zu bewältigen. Jetzt zeigt sich, was Politik alles schafft.
Nach außen hin bemühen sich Politiker
gerade in schwierigen Zeiten, souverän zu wirken. Geht man da nicht manchmal mit dem Gefühl nach Hause, in Wahrheit selbst überfordert zu sein? Von Beust: Jeder, der eine gewisse Demut hat, spürt so etwas. Das ist mir so gegangen. Das wird auch den Verantwortlichen jetzt so gehen. Sogar die Wissenschaftler stochern ja zum Teil im Nebel. Man versucht die Krise mit Mitteln zu bekämpfen, von denen man überzeugt ist, dass es die richtigen sind. Aber eine Garantie für den Erfolg gibt es ja nicht. Das darf man auch zugeben.
Warum traut sich dann kaum ein Politiker einzuräumen, dass er nicht Herr der Lage ist?
Von Beust: Das ist ganz normal – und im übrigen kein rein politisches Phänomen. Der Chef versucht seine Firma ja auch souverän durch die Krise zu führen, ohne die Mitarbeiter zu verunsichern. Und in der Familie bemühen sich die Eltern, das Vertrauen ihrer Lieben darin zu bestärken, dass alles gut wird.
Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer ist unter dem Druck zusammengebrochen und hat sich das Leben genommen. Erwarten wir zu viel von Politikern?
Von Beust: Grundsätzlich glaube ich das nicht. Ein Problem sind eher die Gehässigkeiten, die sie oft aushalten müssen. Natürlich passieren Fehler. Wenn diese Fehler dann aber mit einer ständigen Bösartigkeit begleitet werden, kann einen das mürbe machen – und gute Leute davon abhalten, überhaupt erst in die Politik zu gehen. Die Gründe für den Suizid von Thomas Schäfer kenne ich nicht.
Politik ist auch Psychologie. Wie gelingt es, den Menschen Sicherheit zu geben, ohne zu viel zu versprechen? Von Beust: Ich finde, die Kanzlerin zeigt gerade, wie das geht. Sie hat sich zurückgehalten, bis sie die Fakten seriös einschätzen konnte. Dann hat sie mitfühlend die Dramatik ohne Umschweife geschildert, ohne etwas zu versprechen oder anzukündigen, was sie vielleicht nicht halten kann. Nüchternheit, Ruhe und Gelassenheit, verbunden mit Anteilnahme, sind jetzt das Richtige. Politiker, die so tun, als wüssten sie alles, wecken falsche Erwartungen.
Dabei schienen die Deutschen der ewigen Kanzlerin überdrüssig zu sein, jetzt ist sie klar die beliebteste Politikerin. Wie erklären Sie sich das?
Von Beust: Alle Politiker, die lange im Amt sind, erleben das. Am Anfang finden die Menschen eine beArt vielleicht wohltuend, doch irgendwann nutzt sie sich ab. Auch bei Angela Merkel war das so. Jetzt allerdings wird gerade diese ernsthafte, ruhige, analytische Art wieder ihr Kapital. Erst recht, wenn man in andere Länder schaut. Da sehen Sie einen Donald Trump, der völlig hilflos hin- und hersteuert. Einen Viktor Orbán, der die Lage missbraucht, um seine Macht auszubauen. Einen Emmanuel Macron, der pathetisch von Krieg spricht. Da sind die Leute dann doch wieder froh, Angela Merkel zu haben.
Auch Markus Söder ist populär wie nie. Was macht er besser als andere? Von Beust: Er ist der Treiber gewesen und damit in eine politische Marktlücke gestoßen. Aber er war eben nicht nur schnell, sondern er hat auch Dinge gemacht, die inzwischen bundesweit der Standard sind. Damit hat er Führungsstärke demonstriert.
Könnte das die Frage nach der Kanzlerkandidatur der Union in eine neue Richtung lenken?
Von Beust: Das liegt erst einmal an Markus Söder selbst. Bisher hat er ja immer gesagt, er wolle in Bayern bleiben. Sollte er seine Meinung ändern, dann werden die Karten definitiv neu gemischt.
Auch Armin Laschet ist Ministerpräsident und könnte sich als Macher beweisen. Warum profitiert er weniger? Von Beust: Er ist eben ruhiger und nachdenklicher. Das ist aber auch authentisch. Wenn Laschet jetzt den Söder machen würde, wäre das unglaubwürdig. Beide sind sich treu geblieben und das ist richtig.
Vor der Coronakrise war Friedrich Merz sehr präsent. Jetzt ist er zum Zuschauen verdammt. Kostet ihn das den CDU-Vorsitz?
Von Beust: Friedrich Merz ist, genau wie Norbert Röttgen, in einer schwierigen Situation. Anders als Söder, Laschet und natürlich Jens Spahn, der seine Sache als Gesundheitsminister sehr gut macht, tragen sie keine exekutive Verantwortung und können damit auch nicht punkten. Das wird man am Ende nicht von der Frage trennen können, wer CDU-Vorsitzender werden soll.
Jetzt, da Substanz gefordert ist, sind die Zeiten für Populisten hart. Erleben wir eine Trendwende?
Von Beust: Die Chance gibt es. Eine der Ursachen für den Erfolg der AfD war doch das Gefühl vieler Menschen, dass der Staat nicht handlungsfähig ist. Dass nur gestritten, aber nichts getan wird. Jetzt erleben wir, dass der Staat, wenn es darauf ankommt, sehr wohl handelt, sich um die Probleme kümmert und schnelle Entscheidungen treffen kann. Wenn die Mär von der handlungsunfähigen Politik zusammenbricht, wird das zum Problem für die AfD.
Eine Chance für die Volksparteien, ihren Niedergang aufzuhalten?
Von Beust: Wenn Parteien zeigen, dass man sich in der Not auf sie verlassen kann, dass sie bereit sind, im Sinne der Sache Kompromisse zu machen, dass sie Dinge auch durchsetzen, dann bleibt das auch bei den Menschen haften.
Könnte Corona sogar den weltweiten Siegeszug des Populismus beenden? Von Beust: Zumindest wird sich der Bedarf an oberflächlichem Geschwätz durch Politiker verringern. Die Attraktivität und Glaubwürdigkeit von Leuten wie Donald Trump, die ständig nur aus der Hüfte schießen, wird für einen gewissen Zeitraum ramponiert sein.
Wir erleben gerade nicht nur Sorgen, sondern auch einen besonderen Zusammenhalt. Wird die Krise unsere Gesellschaft dauerhaft verändern?
Von Beust: Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass die Menschen in Krisenzeiten vernünftiger sind, als man das erwartet. Sobald Normalität einstimmte kehrt, ist das aber auch bald wieder vergessen. Jeder kennt das doch von sich selbst. Wenn man gesundheitliche Probleme hat, nimmt man sich vor, nie wieder dies und das zu tun, gesünder zu essen und mehr Sport zu machen. Und wenn man wieder gesund ist, fällt man doch wieder in alte Gewohnheiten zurück.
Die Maßnahmen gegen Corona sind drastisch. Wie lange hält ein Land so etwas aus?
Von Beust: Leib und Leben haben Vorrang vor allem anderen. Das steht außer Frage. Also muss die Verbreitung des Virus verlangsamt werden, um die Kapazitäten auf Intensivstationen auszubauen. Das hat die Regierung gut erklärt und es wird von den meisten Menschen akzeptiert. Keiner wird doch sagen, dass man tausende Tote in Kauf nehmen muss, um eine Wirtschaftskrise zu vermeiden. Erst wenn die medizinischen Voraussetzungen geschaffen sind, um erwartbare
Schwerstinfektionen behandeln zu können, wird man Maßnahmen lockern können.
Schon jetzt mehren sich aber die Stimmen, die davor warnen, die Wirtschaft dauerhaft lahmzulegen.
Von Beust: Keiner will die Wirtschaft ausbremsen. Die Beschränkungen gibt es ja nicht, um Leute zu ärgern. Deshalb halte ich überhaupt nichts davon, ständig darüber zu spekulieren, wann es Lockerungen geben könnte. Denn das kann heute niemand seriös sagen.
Je stärker die Menschen die Maßnahmen spüren, emotional und auf dem eigenen Bankkonto, desto eher könnte sich die Stimmung drehen.
Von Beust: Diese Gefahr ist da. Das spüre ich ja an mir selber. Wenn ich dann aber Bilder aus Spanien oder Italien sehe, muss ich doch sagen, dass ich bei allem Unbehagen lieber die Einschränkungen in Kauf nehme. Das muss uns immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen, auch wenn das Bauchgefühl sagt: Ich hab den Kanal voll und will mich endlich wieder frei bewegen.
Manche Menschen sehen mit Sorge, dass mühsam erkämpfte Freiheiten gerade handstreichartig kassiert werden. Teilen Sie diese Befürchtung?
Von Beust: Ich halte das für eine sehr intellektuelle Diskussion, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Wenn Freiheit zur Lebensbedrohung wird, ist doch jeder bereit, eine Zeitlang auf gewisse Rechte zu verzichten. Kein Politiker, der jetzt Freiheiten beschränkt, tut das doch, um sich oder seiner Partei damit einen Vorteil zu verschaffen.
Was können wir aus der Krise lernen? Von Beust: Das zu beantworten, ohne naseweis zu wirken, ist schwierig. Aber ich denke, eine Erkenntnis ist, dass wir uns im Gesundheitswesen noch besser vorbereiten müssen. Und: Wir müssen auch Vorsorge treffen, dass die Wirtschaft von solchen Krisen nicht so unvermittelt getroffen wird. Man könnte zum Beispiel für gewisse Szenarien Pflichtversicherungen einrichten, in die Unternehmen und Staat einbezahlen, damit im Ernstfall die Mittel verfügbar sind, um die Wirtschaft über Wasser zu halten. Eine zweite Erkenntnis: Politik muss so transparent wie möglich sein. Dass sich dieses Virus auf der ganzen Welt verbreiten konnte, liegt auch daran, dass es in China so lange vertuscht wurde. Zugleich ist die Disziplin, mit der die meisten Menschen in Deutschland gerade helfen, die Krise einzudämmen, der offenen und klaren Kommunikation der politisch Verantwortlichen zu verdanken.
Ole von Beust (CDU) war von 2001 bis 2010 Erster Bürgermeister Hamburgs. Er schmiedete das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene. Heute ist der 64-Jährige Chef einer Beratungsfirma.