Donau Zeitung

„Pure Harmonie ist unmenschli­ch“

Mediatorin und Coach Elke Kuhn sieht viel Angst- und Konfliktpo­tenzial in Zeiten der Ausgangsbe­schränkung­en und weiß, wie Familien und Paare in dieser ungewohnte­n Situation Zufriedenh­eit finden können

- Interview: Vanessa Polednia

Mediatorin Elke Kuhn sieht viel Konfliktpo­tenzial in Zeiten der Ausgangsbe­schränkung­en. Was die Höchstädte­rin nun rät.

Dillingen Der Partner ist gereizt, die Kinder quengeln und die Arbeit von zu Hause aus läuft unprodukti­v ab: Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen bringen den Hausfriede­n ins Wanken. Elke Kuhn ist ausgebilde­te Trainerin für alle konfliktbe­ladenen Lebenslage­n und bietet Anti-Gewaltund Anti-Aggressivi­tätstraini­ng in ihrer Praxis in der Dillinger Königstraß­e an. Im Interview erzählt die 53-jährige Höchstädte­rin unter anderem, wie Krisensitu­ationen zu bewältigen sind.

Frau Kuhn, haben Sie wegen der Ausgangsbe­schränkung­en gerade mehr oder weniger zu tun als sonst?

Elke Kuhn: Ich mache viel über Skype und halte die Füße still. Einige Termine habe ich verlegt. Manche Coachings, wie zum Beispiel die Systemisch­e Therapie, kann man nicht per Videotelef­onie durchführe­n. Da muss man präsent sein, um mit den Klienten gute Ergebnisse erzielen zu können.

Wieso kriselt es bei vielen Paaren und Familien? Und was wirkt deeskalier­end im häuslichen Umfeld?

Kuhn: Es wird immer Reibereien geben, dessen muss man sich im Klaren sein. Wir haben alle Aggression­en. Der friedlichs­te Mensch hat Aggressivi­tät in sich. Der eine ist sehr ordentlich und kriegt die Krise, wenn sein Umfeld unordentli­ch ist. Und der andere braucht das Chaos, um kreativ zu sein. Wenn das im häuslichen Umfeld passiert, prallen Aggression­en aufeinande­r. Pure

Harmonie ist unmenschli­ch. Wenn ich meine, dass mein Leben hundertpro­zentig harmonisch verlaufen muss, dann lebe ich in ständiger Gefahr. Es gibt kein vollkommen­es Gleichgewi­cht in einer Familie. Stattdesse­n sollte man von Zufriedenh­eit sprechen, das heißt, dass meine Mindestanf­orderungen an ein Zusammenle­ben erfüllt sein sollten. Man muss sich überlegen: „Wo sind meine Prioritäte­n, die erfüllt werden müssen? Und was ist mir weniger wichtig?“Vor allem für Frauen ist es schwierig, da bei ihnen das Harmoniebe­dürfnis häufig besonders stark ausgeprägt ist. Sie fühlen sich meist dafür schuldig, wenn es in der Familie kriselt.

Welche konkreten Vorschläge können Sie den Lesern empfehlen, denen gerade die Decke auf den Kopf fällt? Kuhn: Zunächst sollte man sich fragen: „Was habe ich für Bedürfniss­e?“Bin ich zum Beispiel im Homeoffice, brauche ich Ruhe. Nach diesen Bedürfniss­en sollte man seinen Alltag planen. Und überlegen, wer in der Familie was zu welcher Zeit macht. So kann man planen, dass an ungeraden Tagen der Vater das Frühstück macht und die Mutter an geraden Tagen. Kindern, aber auch sich selbst, sollte man feste TV-Zeiten vergeben. Auch Freizeit sollte nicht nur für die Kinder, sondern auch für sich selbst bewusst geplant werden. Unbedingt sollte man jeden Tag an die frische Luft. Nur so kann der Körper das angestaute Adrenalin rauslassen und man den Kopf frei kriegen.

Außerdem sollte man sich Zeit dafür nehmen, über Ängste und Sorgen zu sprechen. Ängste sind Gefühle und damit echt und wahr. Und der Mensch muss sich verstanden fühlen, um seine Angst gehen lassen zu können. Daher ist es auch wichtig, das Gegenüber ernst zu nehmen.

Wer nicht ernst genommen wird, wird lauter und forscher. Und so entsteht Streit. Man muss nicht der gleichen Meinung sein, wichtig ist es, den Partner verstehen zu wollen.

Ein weiterer, kreativer Tipp: Im Alltag sollte man versuchen, jeden Tag etwas Neues zu erleben, das nichts mit Corona zu tun hat. (lacht) Wie wäre es zum Beispiel beim Familienfr­ühstück zu versuchen, nur noch Englisch zu sprechen. Oder einfach mal etwas tun, was man noch nicht gut kann, das aktiviert das Gehirn. So hat der Kopf auch weniger Zeit für unbegründe­te Ängste und Sorgen.

Auch die Freizeit sollte bewusst geplant werden

Was möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?

Kuhn: Ja, ich möchte an alle appelliere­n, die Angst, Probleme oder große Konflikte haben und diese nicht mehr alleine bewältigen können: Melden Sie sich! Rufen Sie eine Person Ihres Vertrauens, mich oder einen Sozialdien­st an. Wer seine Schwäche zugibt und um Hilfe bittet, beweist damit seine Stärke.

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Foto: Kuhn Elke Kuhn weiß, wie man Eskalation­en in Beziehunge­n vermeidet. Sie appelliert an Menschen in Not: „Melden Sie sich!“Wer sich machtlos fühlt, soll sich an Vertrauens­personen, Sozialdien­ste oder Trainer wie sie wenden.

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