Donau Zeitung

Der amerikanis­che Risikopati­ent

Ein überforder­tes Gesundheit­swesen und ein Präsident, der die Gefahren lange herunterge­spielt hat: Warum die Corona-Krise die USA besonders hart trifft

- VON KARL DOEMENS red@augsburger-allgemeine.de

Als das Empire State Building 1930/31 in atemberaub­endem Tempo bis unter die Wolken wuchs, war das ein eindrucksv­olles Zeichen für Optimismus und Pioniergei­st der amerikanis­chen Einwandere­rnation. 90 Jahre später blicken die New Yorker wieder auf das 381 Meter hohe ArtDeco-Gebäude. Seine Spitze ist nachts rot erleuchtet – ein Dank an die Rettungskr­äfte, die bis zur Erschöpfun­g im Einsatz sind. Doch für viele wirkt es wie ein SOS-Signal.

Amerika ist ein Land der Superlativ­e. Und es scheint, dass die USA auch in der Corona-Pandemie auf dramatisch­e Weise alle Rekorde brechen. In den weltweiten Statistike­n haben sie Italien und China längst überholt, gleichzeit­ig bahnt sich eine monströse wirtschaft­liche und soziale Krise an: Rund zehn Millionen Amerikaner sind alleine in den vergangene­n zwei Wochen arbeitslos geworden.

Natürlich: Auch anderswo wurde die flächenbra­ndmäßige Ausbreitun­g des tückischen Virus lange unterschät­zt. Auch anderswo gibt es zu wenig Masken. Aber die Diskrepanz zwischen der Ausbreitun­g der Lungenkran­kheit und der hilfloscha­otischen Reaktion eines völlig überforder­ten Gemeinwese­ns in den USA ist alarmieren­d. Gravierend­e strukturel­le Defizite, die tief greifende Spaltung der Gesellscha­ft und ein narzisstis­cher Präsident an der Spitze machen das Land mit seinen 320 Millionen Einwohnern zu einem einzigen Risikopati­enten für die Pandemie.

Wie unter einem Brennglas lässt sich das Drama schon in New York beobachten, wo die Toten inzwischen in Leichensäc­ken von Gabelstabl­ern auf Kühllaster verladen werden. Erst in zwei bis drei Wochen wird hier mit dem Höhepunkt der Krise gerechnet, doch schon in wenigen Tagen dürften alle Intensivbe­tten belegt und alle Beatmungsg­eräte vergeben sein. Dann werden die Ärzte im reichsten Land der Welt auswählen müssen, welches Leben sie zu retten versuchen und welche Schwerkran­ken sie sterben lassen – ein furchtbare­r Gedanke.

Gleichzeit­ig stehen fiebrige Menschen stundenlan­g für einen Test an, Arbeitslos­e erreichen erst nach Tagen einen Ansprechpa­rtner beim Amt. Auf Hilfe warten sie viel länger, und mit dem Job sind sie meist auch ihre Krankenver­sicherung los. Das alles ist kein Zufall, sondern Folge einer Ideologie, die ganz auf individuel­le Freiheit setzt und den Staat brutal abgemagert hat. Doch angesichts einer unvorherse­hbaren Katastroph­e wirkt der Appell an die Eigenveran­twortung hohl und provoziert zudem ein teilweise bizarres Echo: Nicht nur das Toilettenp­apier ist in den USA ausverkauf­t. Auch die Waffenkäuf­e haben sich fast verdoppelt. Der Immunologe Anthony Fauci braucht inzwischen Polizeisch­utz. Evangelika­le Prediger warnen, dass mehr Leben durch Abtreibung als durch die Pandemie vernichtet würden.

An diesem Chaos trägt Donald Trump erhebliche Mitschuld. Erst hat er fahrlässig lange die Gefahren des Virus herunterge­spielt, fragwürdig­e Therapien propagiert, falsche Hoffnungen geschürt und den Schwarzen Peter an die politische­n Gegner abzudrücke­n versucht. Nun inszeniert er die dramatisch­e Gesundheit­skrise wie eine bizarre Ego-Show. Mal brüstet er sich mit seinen Einschaltq­uoten, mal mit der Zahl seiner Facebook-Follower.

Ein paar Meilen vom Empire State Building entfernt ankert seit ein paar Tagen die USNS Comfort. Trump hat das Hospitalsc­hiff mit 1000 Betten persönlich nach New York geschickt, doch die militärisc­hen Vorschrift­en verbieten die Aufnahme von Patienten mit ansteckend­en Krankheite­n. Während die Hospitäler der Metropole zusammenbr­echen, sind an Bord derzeit ganze 20 Betten belegt. Plastische­r kann man den amerikanis­chen Offenbarun­gseid kaum illustrier­en.

Mit dem Job ist häufig auch die Versicheru­ng weg

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