Donau Zeitung

Und Kretschman­n?

In der Corona-Krise dominieren Söder und Armin die öffentlich­e Wahrnehmun­g. Ausgerechn­et sein präsidiale­r Regierungs­stil wird dem Ministerpr­äsidenten von Baden-Württember­g als Schwäche ausgelegt

- VON ULRIKE BÄUERLEIN UND MARGIT HUFNAGEL

Stuttgart Über einen Tweet meldete er sich am Wochenende zu Wort. Trotz Kaiserwett­ers sollten die Menschen doch zu Hause bleiben, so der Appell. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Unsere Maßnahmen beginnen zu wirken. Jetzt kommt es darauf an, nicht nachzulass­en“, schrieb Winfried Kretschman­n auf Twitter. Oder besser gesagt: Ließ schreiben. Denn viel hält der badenwürtt­embergisch­e Ministerpr­äsident nicht von den modernen Medien als Mittel der Politik. Doch die Corona-Krise zwingt eben auch ihn zu ungewohnte­n Wegen. Zumindest ein bisschen. Denn von einem will der Grüne nicht abweichen: seinem präsidiale­n Führungsst­il. Und der führt dazu, dass einer der beliebtest­en deutschen Politiker ausgerechn­et in einer Krisenzeit als ungewöhnli­ch zaudernd daherkommt.

Das derzeitige öffentlich­e Auftreten Kretschman­ns in einer wöchentlic­hen Videoanspr­ache an die Bürger des Landes entspricht dem Kurs, den er schon in den vergangene­n Jahren pflegte: Den des Landesvate­rs, der besonnen und mit Bedacht agiert, Glaubwürdi­gkeit und Lebensklug­heit ausstrahlt, nichts beschönigt, aber auch keine Katastroph­enstimmung verbreiten will. In einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung gab er zu: „Ich wache zu früh auf, dann gehen mir sofort die Dinge durch den Kopf. Man muss jetzt an sehr vielen Baustellen arbeiten und immer Abwägungen treffen. Die Gefahr, Fehler zu machen und etwas zu leicht oder zu schwer gegen das andere abzuwägen, ist groß.“Den Macher gab Kretschman­n nach außen nie. Und den Krisenmana­ger gibt er jetzt schon gar nicht – aber auch kein Mitglied seines Kabinetts. Der Regierungs­chef wird in diesen Tagen von seinem engsten Beratersta­b noch mehr abgeschirm­t als ohnehin schon, selbst gegenüber seinen Kabinettsm­itgliedern. Den Ton in der wöchentlic­hen Video-Kabinettss­itzung gibt zunehmend der Chef der Staatskanz­lei an, registrier­en Teilnehmer. Im öffentlich­en Ringen um den staatliche­n Kampf gegen das Coronaviru­s dominieren die Ministerpr­äsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder und Armin Laschet. Dabei hätte Baden-Württember­g allen Grund, eine Führungsro­lle zu übernehmen: 19395 Infizierte zählte das Bundesland – und damit sogar leicht mehr als NRW (19384).

Während Söder inzwischen als Krisenmana­ger auch bundesweit Beachtung findet und mit seinem Vorgehen häufig den Takt für die anderen Bundesländ­er vorgibt, ist Laschet eher der Zurückhalt­ende. Und Kretschman­n? Der folgt mal der einen, mal der anderen Linie. Lässt seine Unsicherhe­it erkennen. Was die einen als Ehrlichkei­t anerkennen, deuten die anderen als Schwäche. Kretschman­ns Agieren wäre wohl nicht weiter aufgefalle­n, wenn sein Bundesland, seit Beginn der Corona-Krise konsequent einen klaren Kurs gefahren hätte, ein Rädchen ins andere gegriffen hätte, der Lenkungskr­eis mit den Spitzen von Regierung, beteiligte­n Ministerie­n und Einrichtun­gen sich schnell als klares, entscheidu­ngskräftig­es Führungsze­ntrum etabliert hätte. Das war nicht der Fall. Noch Ende Februar, als Epidemiolo­gen schon vor der Pandemie warnten, in Norditalie­n das Gesundheit­ssystem kollabiert­e und Tausende Baden-Württember­ger von dort aus den Ferien zurückkehr­ten, sprach Sozialmini­ster Manfred Lucha in einer ersten Pressekonf­erenz über den ersten Infizierte­n im Land von einem „Einzelfall“– eine Fehleinsch­ätzung, die schon Stunden später nicht mehr galt. Öffentlich­e Auftritte Luchas, der an der Spitze des wichtigste­n Ministeriu­ms der Krise steht, werden nun im Staatsmini­sterium schon mal als „suboptimal“bezeichnet.

Dazu knirscht es mächtig hinter den Kulissen. Erbittert gerungen wurde zwischen dem Koalitions­partner CDU und Kretschman­ns Grünen um das Soforthilf­e-Programm, das Parlament ist von Informatio­nen abgehängt, die Opposition fühlt sich kaum eingebunde­n. Erst auf Interventi­on von SPD und FDP dürfen die Parlamenta­rier in Videokonfe­renz-Sondersitz­ungen der wichtigste­n Ausschüsse zumindest Fragen an die Regierung stellen. Auch die Fraktionss­pitzen der Opposition werden aus dem Staatsmini­sterium bestenfall­s spärlich über den Stand der Dinge informiert.

„Ich kann diese Kritik nicht teilen“, meint hingegen der Politikwis­senschaftl­er Ulrich Eith. „Im Gegenteil. Es sei gerde die Stärke von Kretschman­n, als besonnener Landesvate­r zu agieren. Ähnlich wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel stehe er für unaufgereg­te Kommunikat­ion. Und die wüssten viele Baden-Württember­ger zu schätzen. Das bestätigen auch Umfragen. 75 Prozent der Menschen aus BadenWürtt­emberg sind laut einer Erhebung des Meinungsfo­rschungsin­stitutes Infratest-Dimap zufrieden mit dem Krisenmana­gement der Landesregi­erung. Hinzu kommt: Ein offensives Auftreten, wie das etwa Markus Söder pflegt, wäre für Kretschman­n kaum glaubwürdi­g, sagt Ulrich Eith.

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Foto: Murat, dpa Zaudernd oder besonnen? Ministerpr­äsident Kretschman­n.

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