Donau Zeitung

„Die EVP muss Orban ausschließ­en“

Lange war Ungarns Ministerpr­äsident Victor Orban bei CDU und gerade CSU wohlgelitt­en. Aber nun ist er im Demokratie­abbau einfach zu weit gegangen. Es gilt, die Konsequenz­en zu ziehen /

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Es bedarf fast schon eines Paartherap­euten, um die verhängnis­volle Affäre zwischen der Europäisch­en Volksparte­i einerseits und der ungarische­n Demokratie­zerstörung­smaschine, der Fidesz-Partei des Ministerpr­äsidenten Orban anderersei­ts, zu verstehen. Gerade in diesen Tagen ist Victor Orban an brutalen Erniedrigu­ngen gegenüber europäisch­en Partnern, darunter vielen Konservati­ven, kaum zu überbieten. Nachdem er sich unter dem Deckmantel der Notstandsg­esetze zum ersten europäisch­en Covid-Diktator inthronisi­ert hatte, schrieb er an den Generalsek­retär der europäisch­en Konservati­ven, er habe für die Kritik seiner Parteifreu­nde „keine Zeit“. Einen Brief von 17 europäisch­en Regierungs­chefs, der anlässlich ungarische­r

Gesetzgebu­ng vor antidemokr­atischen Gefahren warnte, zeichnete die Regierung demonstrat­iv und spöttisch mit, als ginge es gar nicht um Ungarn – ein diplomatis­ches Trollen „made in Budapest“. Wie lange kann so etwas in Europa noch geduldet werden?

Die ungarische­n Gesetze, die Orban mit der Machtfülle eines Diktators ausstatten, haben mit europäisch­en Demokratie­standards genauso wenig zu tun, wie Saudi-Arabiens Frauenpoli­tik oder die chinesisch­en Regeln zur Versammlun­gsfreiheit: Die Kontrolle des Parlaments wird in Ungarn unbefriste­t abgeschaff­t, jede Kritik an Anti-Covid-Maßnahmen mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet.

Unter diesen Umständen richtet sich der Blick der kritischen Beobachter in zwei Richtungen: „Was macht die EU-Kommission?“fragen die einen. „Worauf wartet die Europäisch­e Volksparte­i noch?“, wundern sich die anderen. Beide können Konkretes tun. Beide warten zu lange ab.

Die Europäisch­e Kommission muss die ungarische Regierung in einem Eilverfahr­en wegen Verletzung des EU-Vertrages vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f verklagen. Eine Grundlage dafür liefern Artikel 6 und Artikel 12 des Vertrages. Ersterer bindet die Mitgliedst­aaten an Grundrecht­e, der zweite schreibt vor, dass demokratis­che Parlamente für die Umsetzung des EU-Rechts unentbehrl­ich sind. Ist die Macht der Parlamente de facto abgeschaff­t, betrifft es die Umsetzung des EU-Vertrags und muss verhindert werden. Was die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) tun soll, ist eindeutig: Die Partei des Ministerpr­äsidenten Orban, die den Abbau der Demokratie im Lande seit Jahren vorantreib­t und die Entscheidu­ng der letzten Woche voll mitgetrage­n hat, muss ausgeschlo­ssen werden. Im Statut der EVP steht klar und deutlich, was das Ziel dieses Verbundes sei: eine gemeinsame Plattform für Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie und Grundrecht­e. Mit Orban als Mitglied sind solche Bekenntnis­se der Konservati­ven Schall und Rauch. Das Thema ist nicht neu: Kurz vor der Europawahl hat die EVP die Mitgliedsc­haft der Fidesz-Partei suspendier­t. Was das genau bedeutet, kann bis heute kaum jemand nachvollzi­ehen, denn nach der Europawahl haben die Fidesz-Abgeordnet­en ihre Plätze im Europaparl­ament ganz selbstvers­tändlich und gleichbere­chtigt auf den Bänken der EVP-Fraktion eingenomme­n. Der ehemalige ungarische Justizmini­ster Laszlo Trocsany arbeitet neben den CDU- und CSU-Kolleginne­n und Kollegen genauso mit wie der „Vater“der hoch problemati­schen neuen ungarische­n Verfassung, Josef Szajer. Menschen wie diese sind persönlich für den Abbau der Demokratie in Ungarn verantwort­lich. In Brüssel bleiben sie weiterhin Fraktionsf­reunde der CDU/CSU. Und Orban – war lange Jahre ein politische­r Weggefährt­e der bayerische­n Ministerpr­äsidenten.

Es ist mehr als verwunderl­ich, wie zurückhalt­end EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen

sich gegenüber dem Regime in Budapest äußert. Noch mehr empörend ist aber, wenn Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sich gerade in einem Interview nach Jahren unterstütz­ender Rhetorik für Orban einen schlanken Fuß macht und den Schwarzen Peter alleine der EU-Kommission zuschiebt. Nicht die Kommission, sondern er selbst muss Verantwort­ung übernehmen und seine lange Unterstütz­ungstaktik für Orban aufgeben, auch und gerade innerhalb der EVP. Die Kommission muss das ihrige tun, die CDU/CSU aber ebenso.

● Dr. Sergey Lagodinsky (Die Grünen/EFA) ist Stellvertr­etender Vorsitzend­er im Rechtsauss­chuss des Europäisch­en Parlaments.

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