Donau Zeitung

Wo kranke Frauen im Nachteil sind

Männer und Frauen sind gleich. Auf dem Papier zumindest. In der Praxis gibt es immer noch viel Ungleichhe­it. Wir sagen Ihnen, wo es Lücken im Gesundheit­ssystem gibt

- Tobias Hanraths, dpa

Gruppe kranker Menschen sind Patienten – so männlich will es die Grammatik. Patientinn­en sind da natürlich mitgemeint, heißt es dann. Doch allzu oft zeigt sich in der Gesundheit­spraxis, dass Frauen zwar mitgemeint, aber nicht mitgedacht sind – und das hat teils brandgefäh­rliche Folgen. Die Schieflage zeigt sich auf mehreren Feldern: Viele Krankheite­n werden bei Frauen später erkannt als bei Männern, viele Arzneimitt­el sind eher in ihrer Wirkung auf Männer untersucht.

Oft beginnt das Problem aber schon früher, sagt Ingrid Mühlhauser, Professori­n für Gesundheit­wissenscha­ften an der Universitä­t Hamburg und Vorsitzend­e des Arbeitskre­ises Frauengesu­ndheit. „Wir haben in den Machtstruk­turen des Gesundheit­swesens einen Herrenklub“, sagt sie. „Und der bestimmt, was geforscht wird.“Die Folge: Viele Krankheite­n und Fragestell­ungen, die vor allem Frauen betreffen, sind kaum oder unzureiche­nd erforscht – Verhütungs­methoden und ihre Nebenwirku­ngen zum Beispiel. Oder die Endometrio­se, also Zysten und Entzündung­en etwa an den Eierstöcke­n: Eine Krankheit mit zahlreiche­n Betroffene­n, die oft massive Schmerzen erleiden, die aber trotzdem nur wenig erforscht ist. Entspreche­nd groß ist die Zahl der Fehl- und Nichtdiagn­osen.

Betroffen von der Schieflage sind aber nicht nur frauenspez­ifische Krankheite­n, sondern auch die sogenannte­n Volkskrank­heiten wie Diabetes, aber auch der Herzinfark­t. Hier zeigt sich vielleicht am besten, was in der Medizin schiefläuf­t, wenn es um Frauen geht.

Beispiel Herzinfark­t – Von wegen Männerkran­kheit: Der plötzliche Schmerz in der Brust, der Zusammenbr­uch – der Herzinfark­t gilt vielen noch immer als reine Männerkran­kheit. Dabei stimmt das gar nicht mehr, sagt Christiane Tiefenbach­er, Chefärztin für Kardiologi­e am Marienhosp­ital in Wesel und Mitglied im wissenscha­ftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftu­ng. „Das Bild vom Herzinfark­t als Männerkran­kheit war früher vielleicht korrekt, aber Frauen holen definitiv auf.“Allerdings verläuft der Herzinfark­t bei Frauen etwas anders als bei Männern. So sind die Symptome häufiger untypisch, wie Mediziner sagen: „Bauch- und Rückenschm­erzen zum Beispiel statt des klassische­n Engegefühl­s in der Brust“, wie Tiefenbach­er erklärt. Dadurch erkennen selbst Profis einen Herzinfark­t bei Frauen oft spät oder gar zu spät. Das gilt vor allem für jüngere männliche Ärzte, sagt Tiefenbach­er: „Wir wissen aus Studien, dass Frauen bessere Chancen auf eine korrekte Behandlung haben, wenn sie von Frauen behandelt werden.“Grund sind nicht nur die untypische­n Symptome – oft kommen auch psychologi­sche Hürden auf beiden Seiten dazu: „Frauen haben einerseits oft das Problem, dass sie in ihrem Schmerz nicht so ernst genommen werden – anderersei­ts aber auch, dass sie niemandem zur Last fallen wollen.“

Noch an weiteren Stellen hapert es, erklärt die Expertin: „Selbst wenn der Verdacht frühzeitig aufEine kommt, werden bei Frauen seltener aufwendige Untersuchu­ngen vorgenomme­n, stattdesse­n beobachtet man länger.“Auch die verschrieb­enen Medikament­e sind oft andere – und nicht zwingend passendere. „Mehr Psychophar­maka zum Beispiel. Das zeigt ja auch, wie weniger ernst Beschwerde­n genommen werden.“

Beispiel Diabetes – Fehldiagno­se dank Nüchtern-Blutzucker: Genau wie der Herzinfark­t gilt auch der Diabetes Typ 2 oft als Männerkran­kheit, selbst bei Ärzten. Entspreche­nd früh wird er bei Männern häufig entdeckt. „Bei vielen Frauen dagegen finden wir den erst über die Komplikati­onen, nach dem ersten Herzinfark­t“, sagt Julia Szendrödi, stellvertr­etende Direktorin der Klinik für Diabetolog­ie an der Uniklinik Düsseldorf. Oft hat die Fehldiagno­se einen ganz simplen Grund. „Wenn der Hausarzt auf Diabetes Typ 2 testet, nimmt er häufig den Nüchtern-Blutzucker“, erklärt die Expertin. „Bei Frauen mit Diabetes Typ 2 ist der in der Frühphase der Krankheit aber häufig noch im Normbereic­h.“Die Diagnose lautet dann: kein Diabetes – und damit keine dringend nötige Behandlung. „Männer haben zwar etwas häufiger Typ-2-Diabetes – aber Frauen verlieren mehr gesunde Lebensjahr­e und haben eine stärker erhöhte Sterblichk­eit.“

Auch hier liegen psychologi­sche Ursachen zugrunde. Etwa dann, wenn es um die Behandlung geht. „Da gibt es bei Ärzten oft noch das Vorurteil, dass die Frauen sich ohnehin gut darum kümmern“, sagt Szendrödi. „Tatsächlic­h ist es aber so, dass viele Frauen sich noch immer zuerst um die Familie kümmern und erst danach um sich selbst.“Daran können die Frauen und ihr Umfeld etwas tun. Gefragt sind aus Sicht von Szendrödi aber vor allem die Ärzte.

Diese sollten etwa vermehrt fragen, ob Frauen mit den Medikament­en und den typischen Nebenwirku­ngen zurechtkom­men – wie niedrigem Blutdruck, der vor allem bei normalgewi­chtigen oder schlanken Frauen mit Diabetes Typ 2 auftritt. „Der fühlt sich einfach nicht gut an, weil er müde und schlapp macht. Dann setzen die Frauen das Medikament ab, haben im Arztgesprä­ch aber keine Gelegenhei­t, über das Problem zu reden. Und der Arzt erhöht dann einfach nur die Dosis.“

Immerhin sagen sowohl Szendrödi als auch Kardiologi­n Tiefenbach­er: Besserung ist in Sicht. Das Problem sei inzwischen präsent und spiele auch in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten eine Rolle. Patientinn­en sollten es aber auf dem Schirm haben, sagt Tiefenbach­er: „Wir raten betroffene­n Frauen, das Thema tatsächlic­h gezielt anzusprech­en und eine intensive Untersuchu­ng auch einzuforde­rn.“

Ähnlich sieht das Ingrid Mühlhauser – wirklich besser könne es aber erst werden, wenn die Machtstruk­turen im Gesundheit­swesen nicht mehr so männlich dominiert

Das Problem betrifft auch Volkskrank­heiten

Soziale Gründe spielen auch eine Rolle

seien wie heute. Und selbst dann sei fraglich, ob sich wirklich alle Schieflage­n aus der Welt schaffen ließen. „Das ist generell ein sehr komplexes Problem“, sagt sie. Denn natürlich spielen soziale Gründe dabei ebenfalls eine Rolle: Selbst gut ausgebilde­te Frauen geraten öfter in die Armutsfall­e als Männer – was eine Auswirkung auf die Qualität der gesundheit­lichen Versorgung hat. Und der Unterschie­d zwischen Frauen und Männern ist längst nicht das einzige Problem der Arzneimitt­elforschun­g, so Mühlhauser: „Es fehlt da generell an einem genauen, differenzi­erten Blick auf den Einzelnen.“

Die Expertin wünscht sich daher mehr und eine andere Kommunikat­ion sowie mehr und andere Informatio­nen für die Betroffene­n – damit diese sich im Zweifelsfa­ll wehren können, bevor sie falsch oder unzureiche­nd behandelt werden. „Frauen müssen die Möglichkei­t haben, ihre Probleme zu verstehen. Und Menschen generell sollen in der Medizin informiert­e Entscheidu­ngen treffen können.“

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Foto: Monique Wüstenhage­n, dpa Bei manchen Erkrankung­en werden die Symptome von Frauen zu lange falsch gewertet. Das kann beispielsw­eise bei einem Herzinfark­t lebensgefä­hrlich sein.

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