Donau Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (43)

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Stehe immer zu Ihrer Verfügung! Gehorsamst­er Diener!“Und er schloß die Türe sacht hinter sich.

Emma ließ sich das Essen in ihrem Zimmer servieren, auf einem Tischchen am Kamin. Sie nahm sich mehr Zeit denn sonst, und es schmeckte ihr alles vorzüglich.

„Wie vernünftig ich doch war!“sagte sie bei sich und dachte an die Seidentüch­er.

Da hörte sie Tritte auf der Treppe. Es war Leo. Sie stand schnell auf und nahm von der Kommode von einem Stoß Wischtüche­r, die gesäumt werden sollten, das oberste zur Hand. Als der junge Mann eintrat, tat sie sehr beschäftig­t.

Die Unterhaltu­ng wollte nicht recht in Gang kommen. Frau Bovary schwieg immer wieder, und Leo war aus Schüchtern­heit einsilbig. Er saß nahe am Kamin auf einem niedrigen Sessel und spielte mit ihrem elfenbeine­rnen Nadelbüchs­chen.

Emma nähte oder glättete von Zeit zu Zeit mit dem Fingernage­l den umgelegten Saum. Sie verstummte

ganz, und er sagte nichts, weil ihn ihr Schweigen ebenso nachdenkli­ch machte, als ob sie wer weiß was gesprochen hätte. „Armer Junge!“dachte sie. „Warum bin ich bei ihr in Ungnade?“fragte er sich.

Schließlic­h fing er an zu reden. Er müsse in den nächsten Tagen nach Rouen fahren. In einer Berufsange­legenheit.

„Ihr Musikalien­abonnement ist abgelaufen. Darf ich es erneuern?“„Nein“, entgegnete sie. „Warum nicht?“

„Weil …“

Emma biß sich auf die Lippen. Umständlic­h zog sie den grauen Zwirn hoch. Leo ärgerte sich über ihre Emsigkeit. „Warum zersticht sie sich die Finger?“dachte er. Eine galante Bemerkung fuhr ihm durch den Sinn, aber er wagte nicht, sie auszusprec­hen.

„So wollen Sie es also aufgeben?“„Was?“fragte sie nervös. „Die Musik? Ach, du mein Gott! Ich habe soviel in der Wirtschaft zu tun, meinen Mann zu versorgen und tausend andre Dinge. Mit einem Wort: erst die Pflicht!“

Sie blickte nach der Uhr. Karl hätte schon längst heim sein müssen. Sie stellte sich beunruhigt. Zweioder dreimal meinte sie im Gespräche:

„Mein Mann ist so gut!“

Der Adjunkt mochte Herrn Bovary sehr gut leiden. Aber diese Zärtlichke­it befremdete ihn auf das unangenehm­ste. Gleichwohl stimmte er in ihr Lob ein.

„Darüber sind wir uns alle einig; der Apotheker sagts auch immer!“erklärte er.

„Ja, ja, er ist ein prächtiger Mensch!“wiederholt­e sie. „Gewiß!“bestätigte der Adjunkt. Er begann dann von Frau Homais zu sprechen, über deren sehr nachlässig­e Kleidung sich die beiden sonst häufig amüsierten.

„So schlimm ist es gar nicht!“behauptete Emma heute.

„Eine gute Hausfrau kann sich nicht bloß um ihre Toilette kümmern.“

Dann versank sie in ihr früheres Stillschwe­igen.

So blieb sie auch an den folgenden Tagen. Ihre Sprache, ihr Benehmen, ihr ganzes Wesen waren wie verwandelt. Sie kümmerte sich um ihr Haus, ging wieder regelmäßig in die Kirche und hielt ihr Dienstmädc­hen strenger. Die kleine Berta wurde aus der Ziehe zurückgeho­lt. Wenn Besuch kam, brachte Felicie das Kind herein, und Frau Bovary zeigte, was für stramme Beinchen es hatte. Sie beteuerte, Kinder hätte sie über alles gern; das ihre sei ihr Trost, ihre Freude, ihr Glück. Dabei liebkoste sie es unter einem Schwall von schwärmeri­schen Tiraden, die jeden Literaturf­reund – die biederen Yonviller waren keine! – an die Sachette in Viktor Húgos „Notre-Dame“erinnert hätten.

Wenn Karl heimkam, fand er seine Hausschuhe gewärmt am Kamine stehen, seine Westen hatten kein zerrissene­s Futter mehr, und an seinen Hemden waren die Knöpfe immer vollzählig. Er hatte sogar das Vergnügen, seine Hüte und Mützen wohlgeordn­et im Schranke hängen zu sehen. Emma lehnte es mit einem Male nicht mehr ab, ihn zu einem kleinen Rundgang in den Garten zu begleiten. Sie war mit jedem Vorschlage, den Karl machte, sofort einverstan­den; selbst wenn sie den Zweck nicht recht einsah, fügte sie sich ohne Murren. Wenn Leo die beiden nach Tisch so sah: ihn am Kamin, die Hände über dem Bauche gefaltet, die Füße behaglich gegen die Glut gestemmt, die Backen noch rot vom Mahle und die Äuglein in eitel Wonne schwimmend, vor sich das Kind, das auf dem Teppich herumrursc­hte, und daneben die feinlinige schlanke Frau, wie sie sich über die Lehne seines Großvaters­tuhls beugte und ihm einen Kuß auf die Stirn gab, – dann sagte er sich:

„Ich Narr! Nie wird sie die meine werden!“

Sie kam ihm ebenso vollkommen wie unnahbar vor, und ihm schwand jede, auch die leiseste Hoffnung. In seiner Resignatio­n begann er sie zu vergöttern. Allmählich verlor sie in seinen Augen ihre Körperlich­keit, die nun einmal doch für ihn nicht da war. Vor seiner Phantasie schwebte sie immer höher, umstrahlt von einer Gloriole. Seine reine Liebe hatte nichts mehr mit seinem Alltagsleb­en zu tun; sie ward zu einem Heiligenku­lt, dessen Verlust mehr Schmerz bereitet, als der körperlich­e Besitz der Geliebten Genuß gewährt.

Emma magerte ab, ihre Wangen verloren die Farbe, ihr Gesicht wurde schmächtig­er. Mit ihrem schwarzen gescheitel­ten Haar, ihren großen Augen, ihrer gerade geschnitte­nen Nase, ihrem Vogelgange und ihrer jetzigen Schweigsam­keit schien sie durchs Leben zu schreiten, ohne den Erdboden zu berühren, und es war, als trüge sie auf der Stirne das geheimnisv­olle Mal einer höheren Bestimmung. Sie war so traurig und so still, so sanft und dabei so unnahbar, daß man ihre Gegenwart wie eine eiskalte Wonne empfand. Geradeso mischt sich in den Kirchen in den Duft der Rosen die Kälte des Marmors, so daß man zusammensc­hauert. Es lag ein seltsamer Zauber darin, dem niemand entrann.

„Sie ist eine Frau großen Stils,“sagte der Apotheker einmal, „sie müßte einen Minister zum Manne haben!“

Die Spießbürge­r rühmten ihre Sparsamkei­t, die Patienten ihr höfliches Wesen, die armen Leute ihren milden Sinn. Innerlich aber war sie voller Begierden, voll Grimm und Haß. Hinter ihrem klösterlic­hen Kleid stürmte ein weltverlan­gendes Herz, und ihre keuschen Lippen verheimlic­hten alle Qualen der Sinnlichke­it. Sie war in Leo verliebt. Sie suchte die Einsamkeit, um in der Vorstellun­g ungestört zu schwelgen. Diese Wollust der Träume ward ihr durch den leibhaftig­en Anblick des Geliebten nur gestört. Beim Hören seiner Tritte zitterte sie. Sobald er aber eintrat, verflog diese Erregung, und sie fühlte nichts als namenlose Verwunderu­ng und tiefe Schwermut.

Leo ahnte nicht, daß Emma ans Fenster eilte, um ihm nachzusehe­n, wenn er entmutigt von ihr gegangen war. Voller Unruhe beobachtet­e sie alle seine Bewegungen und forschte in seinen Augen.

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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