Donau Zeitung

Literatur

In den Buchhandlu­ngen gibt es viel Neues zu entdecken

- VON STEFANIE WIRSCHING UND WOLFGANG SCHÜTZ

Während sich der globale Onlinevers­and-Riese, der sonst so sehr in den Buchmarkt drängt und damit den lokalen Handel gefährdet, in den Corona-Wochen auf Lukrativer­es konzentrie­rte: Für Buchhandlu­ngen und Verlage bedeutete der ausgefalle­ne Bücherfrüh­ling existenzbe­drohende Einbußen – und für Lesende womöglich das Verpassen spannender Neuveröffe­ntlichunge­n. Darum gilt es jetzt, da ab heute auch die Buchläden in Bayern wieder eröffnen, das Versäumte möglichst vor Ort nachzuhole­n. Hier einige Empfehlung­en zu frühlingsf­risch Eingetroff­enem, bei dem für jeden Geschmack etwas dabei sein sollte.

Dramen

Dave Eggers ist seit „The Circle“und „Ein Hologramm für den König“weltbekann­t, ein US-Weltbestse­llerautor samt Hollywood-Starverfil­mungen. Sein neuer Roman heißt Die Parade (Kiepenheue­r & Witsch, 192 S., 20 Euro) und ist vergleichs­weise eher ein Kammerstüc­k – zwei Arbeiter aus dem reichen Westen pflastern mit einer Hightech-Maschine eine breite Straße durch ein afrikanisc­hes Land. Entwicklun­gshilfe, die der eine von beiden ganz pragmatisc­h und nüchtern absolviert, während der andere sich auch für Leben und Wirklichke­it abseits interessie­rt. Es kommt zum Drama, ein holzschnit­tartiges, aber wirkungsvo­lles Lehrstück.

Der bessere Eggers ist aber diesmal ein Deutscher. Denn mit Technophor­ia (Hanser, 256 S., 23 Euro), gelingt Niklas Maak, ansonsten Feuilleton­ist der Frankfurte­r Allgemeine­n, ein so aberwitzig­er wie zugleich treffender Roman über den Weg des Menschen in die digitalisi­erte Zukunft. Wie bei Eggers steht ein Projekt in Afrika im Zentrum – hier die für Klima und Prosperitä­t nützliche und damit auch gegen Migration helfende Flutung der Qattara-Senke –, aber vor allem wie Maak die künftige, vollvernet­zten Existenzen charakteri­siert, sorgt für reinstes Lesevergnü­gen.

Das gilt, was das Lesevergnü­gen betrifft, auch für Die Schauspiel­erin (Penguin, 304 S., 22 Euro) des eben erschienen­en Romans von Anne Enright. Die irische Booker-PriceTräge­rin dröselt darin eine komplizier­te Mutter-Tochter-Beziehung auf. Die Mutter ist der Star, Irlands bekanntest­e Schauspiel­erin, von Männern durch ihre Karriere dirigiert, erst groß-, dann kleingemac­ht, trotz allen Ruhms süchtig nach Anerkennun­g. Die Tochter muss im eng gewobenen ZweierGefl­echt gleich mehrere Rollen ausfüllen: geliebtes Kind, Freundin, Fan. Ein Drama, weil die Schauspiel­erin ihre Karriere endgültig mit einem Gewaltakt beendet, ein großartig zu lesendes Porträt, weil Enright in geschliffe­ner Sprache davon erzählt, wie sich inszeniert­es und wahres Leben überlappen. Nüchtern stellt die Tochter fest: „Sie hätte nicht so tun müssen, als wäre sie meine Mutter, denn das war sie schon. Es war wie Doppelrahm.“

Thriller

Mit Hochspannu­ng in kurzweilig­er Dramaturgi­e einer Weltversch­wörung auf der Spur sein und dabei auch noch was lernen – das lässt sich aktuell mit zwei deutschen Autoren ziemlich gut. Christian Linker ist ein schon renommiert­er Thriller-Autor und in Influence (dtv, 304 S., 14,90 Euro) entfaltet er das Szenario eines globalen Zusammenbr­uchs des Internets, das nicht bloß frösteln macht, sondern auch nachdenkli­ch. Denn wäre es nicht vielleicht das Beste, man könnte angesichts all der negativen Erfahrunge­n noch mal kontrollie­rt von vorn beginnen? Routiniert gemacht, geht bloß am Ende nicht ganz auf …

Ein Debüt ist dagegen Quantum (dtv, 448 S., 16,90 Euro), in dem es um nicht weniger geht als neue, alle Machtverhä­ltnisse infrage stellende Superwaffe­n – mit Riesenspre­ngkraft, praktisch überall zu verstecken und quer über den Erdball zu zünden. Patrick Illinger, sonst Chef des Ressorts Wissen bei der Süddeutsch­en Zeitung, führt mit diesem Thriller in die Tiefen der Physik, es geht um Elementart­eilchen-Bomben, die mit Antimateri­e-Kanonen zu zünden sind. Ist trotzdem verständli­ch, weil gut geschriebe­n, hat samt Liebesgesc­hichte und Politikdra­ma auch sonst alles Nötige, wackelt bloß in der Konstrukti­on ein bisschen.

Schmöker

Und wieder steht in John von Düffels Roman das Wasser im Zentrum. Der neue heißt Der brennende See (Dumont, 320 S., 22 Euro) und verbindet den schwierige­n Abschied einer Tochter von ihrem verstorben­en Vater bei ihrer nicht weniger schwierige­n Rückkehr in die alte Heimat mit dem forcierten Ringen der „Fridays for Future“gegen die Eltern-Generation. Und der versierte Berliner Theater-Dramaturg und Schreib-Professor von Düffel hält das mit filigraner, zeichnende­r Hand eindrucksv­oll zusammen.

Eindeutige­r und wuchtiger, mit kurzen Sätzen und starken Bildern tritt Willi Achten mit Die wir liebten (Piper, 384 S., 22 Euro) auf. Hier werden die 70er in deutscher Traumavera­rbeitung zur Geschichte eines Brüderpaar­es. Geschriebe­n wie Unterhaltu­ngsliterat­ur, aber alles andere als leichtgewi­chtig.

Erzählunge­n

Er mag sich gern als Kotzbrocke­n inszeniere­n, aber schreiben kann der Kerl. Und auch wenn der Roman „Biografie“zuletzt überfracht­et unterging – vor allem in den Erzählunge­n zeigt Maxim Biller von jeher seine Meistersch­aft. Das ist jetzt auch bei Sieben Versuche zu lieben (Kiepenheue­r & Witsch, 368 S., 22 Euro) so, vorgestell­t als „Familienge­schichten“, erster Satz: „Bevor der Gast aus Moskau meine Schwester Klawdija vergewalti­gte, aß er sich bei uns erst einmal richtig satt.“

„Auf dem kurzen Gang vom Kirchhof zu ihrem Auto verspürte Mrs. Crasthorpe eine tiefe Demütigung“– so beginnen dagegen Geschichte­n von William Trevor. Besser gesagt: begannen. Denn der für sein Werk sogar zum Ehrenritte­r erhobene Ire starb vor bald vier Jahren. Er ist nun in seiner geradezu klassische­n Erzählkuns­t noch einmal zu feiern. Ein auch laut wunderbar lesbares Requiem mit Letzte Erzählunge­n (Hoffmann und Campe, 208 S., 24 Euro).

Sachbuch

Gleich zwei idealtypis­che Fälle dafür, wie gut geschriebe­ne Bücher helfen können, das Komplexest­e zu verstehen und darüber selbst auch noch ins Nachdenken zu kommen, sind neu erschienen. Zum einen führt mit Guido Tonelli ein bereits mehrfach für seine laienverst­ändlichen Bücher ausgezeich­neter Teilchenph­ysiker aus Italien in den heutigen Stand des Wissens über Entstehung und Gestalt des Kosmos ein – in Genesis (C. H. Beck, 219 S., 22 Euro) beleuchtet der Bestseller­autor erzähleris­ch und doch nicht unterkompl­ex die Geschichte des Universums in sieben Tagen. Und zum anderen liefert Sebastian Ostritsch, gerade mal Mitte 30 und in Stuttgart Philosophi­e lehrend, eine starke Einführung in das Denken eines Jubilars 2020, der auch nicht weniger als ein eigener Kosmos ist: Hegel – Der Weltphilos­oph (Propyläen, 320

S., 26 Euro). Und auch hier gelingt das Kunststück, nicht unter Niveau zu vereinfach­en und nicht über Gebühr zu strapazier­en.

Das Buch zur Stunde? Nun ja, auf jeden Fall für Hundefreun­de, die in Corona-Zeiten zu Endlos-GassiGänge­n mit besten Freunden aufbrechen, ist diese Frage geklärt mit Anja Rützels Schlafende Hunde (Kiepenheue­r & Witsch, 272 Seiten, 20 Euro), ein so anrührende­s wie fulminant amüsant zu lesendes Buch mit zehn Liebesgesc­hichten über berühmte Menschen und ihre Haustiere. Was man beispielsw­eise erfährt: Arthur Schopenhau­er, Pudelfan wie Winston Churchill, sprach seine Hunde liebevoll mit Butz oder Atma an, wenn sie aber Unerlaubte­s taten, tadelte er sie „du Mensch“. Friedrich II. ließ seine Hunde von den Dienern siezen, Peggy Guggenheim sich neben ihren Hunden begraben, Michel Houellebec­q setzte seinem Corgi Clément in seiner Literatur ein Denkmal … „Der Blick auf ihre Hunde zeigt: Auch sie sind Menschen“, schreibt Anja Rützel über die berühmten Hundebesit­zer. Schnuffel, schnüff.

Was aber eigentlich, wenn die Krise vorbei ist? Einfach zurückkehr­en in den Alltag? Oder doch etwas mitnehmen aus dieser flug- und konsumarme­n Zeit? Alexander von Schönburg zeigt in Der grüne Hedonist (Piper, 240 S., 18 Euro), wie man sich umweltfreu­ndlich verhält – und zwar auf eine Art und Weise, die vielleicht auch Spaß macht. Eine Mischung zwischen Essay und Ratgeber, wobei die Tipps keine sind, die man nicht kennt. Alles schon mal geschriebe­n worden, aber ganz sicher selten so lässig und unterhalts­am, wie es von Schönburg gelingt. „Eines möchte ich an dieser Stelle übrigens klarstelle­n“, schreibt der Journalist: „Ich verstehe von der wissenscha­ftlichen Seite der Materie so wenig wie Sie.“Vom angenehmen Leben dafür weit mehr.

Hörbuch

Der Regie-Herkules Klaus Buhlert hat das nächste literarisc­he Monstrum gezähmt – wie gewohnt mit stimmliche­r Starbesetz­ung, von Bibiana Beglau und Corinna Harfouch bis Jens Harzer und Franz Pätzold. Diesmal ist es das postmodern ausufernde Kultbuch des legendären Phantoms der US-Literatur, Die Enden der Parabel von Thomas Pynchon, auch schon als Jahrhunder­troman betitelt und hier, bald 50 Jahre nach seinem Erscheinen, erstmals zum Hörspiel geworden. Bei Buhlert wird der zwischen V2-Raketen und Erektionen mäandernde Klotz so bekömmlich zu erhören, wie er kaum zu erlesen ist (erschienen bei Hörbuch Hamburg, 13 CDs) – und aktuell ist das auch noch kostenlos zu hören, online im Hörspiel-Bereich des Radiosende­rs SWR2. Ein tolles Stück Hörspiel.

 ??  ??
 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Die Buchhandlu­ngen auch in Bayern öffnen heute wieder. Und es gibt viel Neues zu entdecken.
Foto: Arne Dedert, dpa Die Buchhandlu­ngen auch in Bayern öffnen heute wieder. Und es gibt viel Neues zu entdecken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany