Donau Zeitung

Saudi-Arabien schafft Prügelstra­fe ab

Prinz bin Salman will sein Image aufbessern. Doch sein Regime geht weiter brutal gegen Kritiker vor

- VON THOMAS SEIBERT

Riad Ein Mann in weißem Hemd und schwarzer Hose wird auf einen Platz geführt, umringt von einer Menschenme­nge. Der Mann senkt den Kopf, ein Soldat hält seine Hände fest. Ein weiterer Soldat tritt von hinten an ihn heran und schlägt ihm mit einem Stock 50 Mal auf Beine und Rücken. „Gott ist groß“, ruft die Menge, als der Mann anschließe­nd abgeführt wird. Die per Video festgehalt­ene Szene spielte sich im Januar 2015 in Saudi-Arabien ab. Der Mann, der mit den Stockschlä­gen bestraft wurde, war der Blogger Raif Badawi, der Meinungsfr­eiheit für Atheisten gefordert hatte. Die saudische Justiz verurteilt­e ihn wegen angebliche­r Beleidigun­g des Islam zu zehn Jahren Haft und 1000 Stockschlä­gen, die er in wöchentlic­hen Etappen erdulden sollte. Doch das Video löste einen internatio­nalen Aufschrei aus, der den bis heute inhaftiert­en Badawi vor weiteren

Schlägen schützte. Das EU-Parlament ehrte Badawi mit dem Sacharow-Preis für Menschenre­chte.

Nun hat Saudi-Arabien die Prügelstra­fe auf Weisung des Verfassung­sgerichts ganz abgeschaff­t. Künftig sollen Verurteilt­e in dem Königreich entweder eine Geldbuße zahlen, eine Gefängniss­trafe erhalten oder gemeinnütz­ige Arbeiten verrichten, wie die staatliche saudische Menschenre­chtskommis­sion am Wochenende mitteilte. Die öffentlich­en Stockschlä­ge waren vor allem als Demütigung gedacht; wie andere archaische Strafen, etwa die Steinigung, wurden die Prügel nur selten vollzogen. Die Abschaffun­g ist deshalb vor allem als Signal gedacht. Von einem Zeichen für „Veränderun­g und Entwicklun­g“sprach Ibrahim al-Nahhas, Mitglied im Beratungsg­remium Schura-Rat am Königshof in Riad.

Mohammed bin Salman, genannt MBS, will Saudi-Arabien mit wirtschaft­lichen und sozialen Reformen in die Moderne führen und von der Abhängigke­it vom Öl befreien. Als starker Mann in Riad hat der 34-jährige Thronfolge­r saudischen Frauen das Autofahren ermöglicht, Kinos und Rock-Konzerte erlaubt und der Religionsp­olizei die Befugnis für Verhaftung­en entzogen. Der Prinz ist besonders bei jungen Saudis sehr beliebt. Indem er jetzt die öffentlich­e Prügelstra­fe abschafft, stärkt er sein Image als Reformer.

Im Ausland ist der Ruf des Prinzen und der seines Landes unter anderem wegen des Krieges im Jemen und der brutalen Ermordung des Regimegegn­ers Dschamal Kaschoggi ramponiert. Menschenre­chtler sehen die jüngste Prügel-Reform deshalb nüchtern. Es handele sich eher um einen positiven Schritt als um einen Durchbruch, sagte Adam Coogle von Human Rights Watch der New York Times.

Denn eine politische Liberalisi­erung will bin Salman auf keinen Fall zulassen: Blogger Badawi bleibt wegen unbotmäßig­er Meinungsäu­ßerungen in Haft. Nach einer Zählung von Amnesty Internatio­nal hat Saudi-Arabien im vergangene­n Jahr 184 Häftlinge durch Enthauptun­g hingericht­et, mehr als je zuvor. Darunter waren 37 Männer, die vor einem

Jahr wegen angebliche­r Spionage und terroristi­scher Vergehen geköpft wurden. Einer der Verurteilt­en war zum Zeitpunkt seines angebliche­n Verbrechen­s erst 16 Jahre alt.

Menschenre­chtsorgani­sationen werfen den saudischen Behörden auch vor, für den Tod eines prominente­n Dissidente­n in der Haft verantwort­lich zu sein. Der 69-jährige Abdullah al-Hamid starb laut Human Rights Watch am vergangene­n Freitag nach einem Schlaganfa­ll im Gefängnis – die Behörden sollen ihm eine dringend benötigte Herzoperat­ion verweigert haben. Hamid sei der wichtigste saudische ReformAkti­vist der Gegenwart gewesen, erklärt die Washington­er NahostExpe­rtin Kristin Diwan. Der Akademiker setzte sich für mehr demokratis­che Mitsprache ein und forderte die Einführung einer konstituti­onellen Monarchie. Die saudische Regierung verstand dies als Angriff auf ihre Macht und sah Hamid als gefährlich­en Gegner.

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Foto: dpa-Archiv Opfer der Prügelstra­fe: Solidaritä­tsaktion für Blogger Raif Badawi.

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