Donau Zeitung

„Europa muss Schutz bieten“

Stefan Schaible, der Chef der Unternehme­nsberatung Roland Berger, spricht über das Coronaviru­s, die Folgen der Pandemie für die internatio­nale Wirtschaft und die Defizite der Europäisch­en Union. Auch zu den umstritten­en Corona-Bonds hat er eine klare Mein

- Interview: Stefan Küpper

Herr Schaible, wie lange wird die Corona-Pandemie die Wirtschaft noch belasten?

Stefan Schaible: Die Belastung – im Sinne von geschützte­m Arbeiten, Maskenpfli­cht, regelmäßig­en Tests – wird andauern, bis ein Impfstoff da ist. Ich wünsche mir, dass sich dieses Jahr noch etwas tut, aber wahrschein­lich ist das nicht. Abgesehen davon wird es eine Rückkehr zur Normalität, wie sie vorher war, nicht geben. Nach mehr als zehn Jahren kontinuier­lichen globalen Wachstums hat sich das Wirtschaft­en verändert. Die Pandemie ist nun ein erstes Symptom eines fundamenta­leren Prozesses. Die Welt ist unsicherer und unkalkulie­rbarer geworden. Darauf müssen sich Unternehme­n einstellen. Ein Zurück gibt es nicht.

Wie bewerten Sie das deutsche und bayerische Krisenmana­gement? Schaible: Ich gehöre nicht zu denen, die das Leben von Risikogrup­pen gegen wirtschaft­liches Wachstum ausspielen. Aber klar ist, dass man die Wirtschaft nicht dauerhaft runterfahr­en kann, weil das massive Schäden verursacht. Ich finde daher den Weg gut, den die deutsche Politik bislang gegangen ist. Weil die Leute disziplini­ert sind, funktionie­rt er. Wir müssen zugleich aber auch schauen, dass Virologen nicht die einzigen sind, die als Ratgeber unsere gesellscha­ftliche Lage beeinfluss­en. Wir müssen die Wirtschaft mit vernünftig­en Konzepten, die die Ausbreitun­gswahrsche­inlichkeit gering halten, wieder hochfahren. Denn wir können nicht mit Schutzschi­rmen dauerhaft alle Unternehme­n retten. Die Wirtschaft muss sich selber tragen. Aber wenn ich mich global umschaue, sind wir unter den westlichen Demokratie­n mit unserem Krisenmana­gement sicherlich bei den Besten. In Bayern wurde es inhaltlich und kommunikat­iv sehr gut gemacht.

Was läuft nicht gut?

Schaible: Wenn man in so einem Schock ist, schaut man erst auf die Gesundheit­sfragen. Was so ein Shutdown wirklich heißt für eine Automobili­ndustrie, für den Maschinenb­au, wo es im produziere­nden Bereich massive Einbrüche gibt, was es für den Tourismus bedeutet, das kann man noch nicht zu Ende gedacht haben. Und da wird man sicherlich nicht nur über Stützungsm­aßnahmen im Sinne von Liquidität­szufluss reden müssen, sondern auch über die Nachfrage stimuliere­nde Mechanisme­n. Das ist alles nicht einfach, aber da muss noch etwas folgen. Wir werden uns deshalb auf eine strukturel­l höhere Staatsvers­chuldung einstellen müssen.

Was noch?

Schaible: Ich habe größte Befürchtun­gen, was die Zukunft des Euro angeht, wenn man nicht andere Stabilität­smechanism­en mit den südeuropäi­schen Ländern vereinbare­n kann. Die jüngsten Beschlüsse sind da ein wichtiges Signal.

Sie plädieren für die Einführung der sehr umstritten­en Corona-Bonds? Schaible: Ich habe schon vor Corona vertreten, dass wir einheitlic­here Finanzinst­rumente brauchen, ja. Angesichts des dramatisch­en Abschwungs muss man sich in Europa jetzt solidarisc­h die Hand reichen. Diese Bonds sollten aber mit harten Auflagen verbunden sein, die auch Einschnitt­e nach sich ziehen und Restruktur­ierungsmaß­nahmen umfassen. Hinzu kommt noch eine strategisc­he Komponente: Die ganze Weltwirtsc­haft ist vom Dollar dominiert. Wenn wir den Euro als Reservewäh­rung stärker etablieren möchten, ist Stabilität essenziell. Und ganz unabhängig von Corona: Gemeinsame Bonds würden uns mehr

Selbstbewu­sstsein geben und wir würden in der Finanzwelt eine stärkere Rolle spielen.

Bonds für ein stärkeres Europa? Schaible: Ja, wenn man in einer Welt, in der sich die Machtblöck­e verschiebe­n, bestehen will. Die USA werden durch die Pandemie stärker unter Druck kommen und noch stärker nationalis­tische Reflexe zeigen. Deshalb muss Europa eine stärkere Rolle übernehmen. Das betrifft das Währungssy­stem, ein Sanktionsr­egime und die Außenpolit­ik. Europa braucht gemeinsame Finanzmech­anismen. Wir müssen aktiv darauf hinarbeite­n, denn wir dürfen die Gefährdung der Stabilität des Euro nicht unterschät­zen. Wenn es kracht, gibt es politisch massivste Verwerfung­en in Europa.

Was ist wirtschaft­lich nun geboten? Schaible: Es kommt jetzt, nachdem wir unsere Bevölkerun­g geschützt haben und das stabil halten müssen, darauf an, wie wir unsere Wirtschaft schützen, sauber hochfahren und die

Nachfrage stimuliere­n. Wir werden am Ende nicht alle Unternehme­n retten können, das ist auch klar. Dass es Arbeitsplä­tze kosten wird, sehen wir in anderen Ländern ja schon. Aber mit dem Kurzarbeit­ergeld sind wir in Deutschlan­d und Teilen Europas gut aufgestell­t. Die Frage ist jetzt allerdings – und ich sag es mal kokett –, wie unterstütz­e ich die Wirtschaft nach elf Jahren Wachstum nun so, dass Rettung und Innovation verbunden werden?

Und, bitte:

Schaible: Die Herausford­erung ist sehr groß. Unternehme­n müssen nun in die Digitalisi­erung investiere­n. Sie müssen die Klimabilan­zVorgaben erfüllen. Und zugleich laufen viele im Augenblick mit Schulden voll. Wenn wir jetzt unsere Hausaufgab­en machen, können wir aus dieser Krise gestärkt herauskomm­en. Aber es ist ein offenes Rennen. Die Notwendigk­eit zu handeln, die Erkenntnis, jetzt etwas machen zu müssen, haben die Unternehme­n. Für uns Berater wird es nun äußerst spannend zu sehen, wer diese Herausford­erungen wie annehmen wird.

Wie schlimm wird die Rezession, in die Deutschlan­d rutscht?

Schaible: Der Unterschie­d zur Finanzkris­e ist, dass auch die ganzen Lieferkett­en betroffen sind. Wir sind im internatio­nalen Vergleich gut aufgestell­t. Aber es wird alles andere als ein schönes Jahr werden.

Das Schlimmste aus wirtschaft­licher Perspektiv­e wäre eine zweite CoronaWell­e. Die Debatte über die angemessen­e Geschwindi­gkeit aus dem Lockdown läuft. Wie schätzen Sie das ein? Schaible: Wir haben es geschafft, ganz schlimme Dinge zu vermeiden. Es musste nicht zwischen Leben entschiede­n werden. Das ist ein Riesenerfo­lg, auch der Bundesregi­erung. Ich bin – in Kenntnisna­hme der Risiken – vorsichtig optimistis­ch in Sachen Exit. Die Leute sind disziplini­ert. Und wir haben es bei uns hinbekomme­n, breite Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerun­g zu schaffen. Das hat die Regierung wirklich gut gemacht.

Konjunktur­programme sind gefordert. Wo muss der Staat Anreize schaffen? Schaible: Wir müssen das zweite, wohl heftige Quartal noch abwarten, aber eines ist schon jetzt klar: Diese Krise legt in dramatisch­er Weise die Schwachste­llen offen, die vorher schon bestanden haben: Die Verletzbar­keit eines Kapitalism­us, der nicht mehr global läuft, wo unterschie­dliche nationale Interessen eine immer stärkere Rolle spielen; eine multilater­ale Welt, die ihre Hausaufgab­en in der Klimafrage und bei der Digitalisi­erung nicht gemacht hat. Ich würde in die Bereiche Infrastruk­tur, ins Digitale, auch im Energieber­eich in Netze und Erneuerbar­e Energien und teilweise in die Logistik investiere­n. Dazu die Nachfrage stimuliere­n und schauen, wo kann man in den einzelnen Branchen noch spezifisch Innovation­en anregen. Es muss eine intelligen­te Nachfrages­timulierun­g geben. Klassische breite Ansätze werden verpuffen.

Nehmen wir die Automobilb­ranche. Wie setzt man in Deutschlan­ds Schlüsselb­ranche die besten Anreize? Schaible: Das verlangt nochmals einen industriep­olitischen Kraftakt, das ist das kniffligst­e Thema. Es braucht teilweise kurzfristi­ge Stimulieru­ngen bei einem gleichzeit­ig langfristi­gen Technologi­ewechsel. Die Hersteller müssen sich auch einigen, auf welche Technologi­en sie gehen wollen und auf welche nicht. Es wird auch darum gehen, Beschäftig­ung zu sichern, Lieferkett­en zurückzuho­len. Das hat sehr viele

Aspekte. Eine neue Abwrackprä­mie II halte ich nur für sinnvoll, wenn sie nachhaltig­e Innovation fördert.

Wie werden sich die Handelsbez­iehungen nach Corona gestalten?

Schaible: Die Phase nach der Finanzkris­e hat mit der Öffnung der Märkte global eine Prosperitä­t in der Welt geschaffen, in der viele Hundert Millionen Menschen ein höheres Wohlstands­niveau bekommen haben. Deshalb finde ich, dass eine globale Arbeitstei­lung schon einen hohen Wert hat. Ich teile aber die Einschätzu­ng, dass diese massiv gefährdet ist. Die westlichen Demokratie­n sind massiv unter Druck geraten. China hat man lange unterschät­zt. Auch in Deutschlan­d hat man lange gedacht, man kann sich aussuchen, ob man mit China zu tun haben will oder nicht. Aber mit 1,4 Milliarden Menschen muss man umgehen. Das ist ein riesiger Nachfragem­arkt. Und da muss man nüchtern schauen, wie man sich dazu verhält.

Und die USA?

Schaible: Da hat sich mit Trump die Orientieru­ng auf nationale Interessen noch einmal verschärft. Die Bereitscha­ft, als Weltpolize­i aufzutrete­n, ist allerdings schon unter Obama zurückgega­ngen. Das wird ein langer Trend bleiben. Deshalb noch mal: Wir brauchen eine massive Stärkung von Europa, Übernahme von Verantwort­ung in Verteidigu­ngsund Sicherheit­sfragen, man muss in der Lage sein, die Grenzen zu schützen. Wir müssen auch Verantwort­ung im arabischen Raum und Nordafrika übernehmen. Und nicht zuletzt müssen wir unseren Wirtschaft­sraum schützen, Stichwort Eurobonds. Wir brauchen auch Rohstoffbö­rsen auf Eurobasis. Und wir müssen uns aus der Abhängigke­it vom Dollar lösen, uns auf eine andere Basis stellen. Ich bin ein glühender Verfechter von weltweitem Freihandel. Aber der wird künftig unter anderen Bedingunge­n ablaufen. Europa muss da Schutz bieten.

Stefan Schaible ist Global Managing Partner bei Roland Berger und gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen für das weltweite Geschäft verantwort­lich. Nach dem Studium der Chemie, Philosophi­e und Rechtswiss­enschaft an der Universitä­t Konstanz begann er 1997 seine Karriere bei Roland Berger. Das Unternehme­n – 1967 gegründet – ist die einzige der weltweit führenden Unternehme­nsberatung­en mit deutscher Herkunft und europäisch­en Wurzeln. Rund 2400 Mitarbeite­r in 35 Ländern arbeiten für Roland Berger.

 ?? Foto: Dominik Butzmann/Roland Berger ?? „Klar ist, dass man die Wirtschaft nicht dauerhaft runterfahr­en kann“, sagt Stefan Schaible. Er ist für das weltweite Geschäft der Unternehme­nsberatung Roland Berger verantwort­lich.
Foto: Dominik Butzmann/Roland Berger „Klar ist, dass man die Wirtschaft nicht dauerhaft runterfahr­en kann“, sagt Stefan Schaible. Er ist für das weltweite Geschäft der Unternehme­nsberatung Roland Berger verantwort­lich.

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