Donau Zeitung

Erdogan riskiert den Staatsbank­rott

Das Coronaviru­s setzt der ohnehin geschwächt­en türkischen Wirtschaft zu. Doch der Präsident versucht, ohne internatio­nale Hilfen klarzukomm­en

- VON GERD HÖHLER

Istanbul Geschlosse­ne Geschäfte, ausgestorb­ene Einkaufsst­raßen, verwaiste Plätze, leere Strände: Auch in der Türkei hinterläss­t Covid-19 dramatisch­e Spuren. Die 18-Millionen-Metropole Istanbul gleicht in diesen Tagen einer Geistersta­dt. In wenigen Ländern breitet sich das Coronaviru­s derzeit so rasant aus wie in der Türkei. Die Weltgesund­heitsorgan­isation spricht von einem „dramatisch­en Anstieg der Infektione­n“.

In der Türkei haben sich offizielle­n Angaben zufolge bisher knapp 102 000 Menschen mit dem neuartigen Coronaviru­s infiziert. 2491 Menschen sind gestorben. Den Daten der Johns-Hopkins-Universitä­t in den USA zufolge liegt die Türkei auf Platz sieben der am schwersten betroffene­n Länder. Damit hat die Türkei nun bei den festgestel­lten Infektione­n China überholt.

Lange spielte die Regierung in Ankara die Gefahr herunter. Staatschef Recep Tayyip Erdogan sträubte sich gegen die von den Fachleuten geforderte­n Kontaktspe­rren, aus Sorge um die ohnehin angeschlag­ene Wirtschaft. Inzwischen räumt auch Erdogan ein, dass die Epidemie „ernste ökonomisch­e Folgen“haben wird. Um die weitere Ausbreitun­g des Virus zu bremsen, erließ die Regierung zwischen Donnerstag und Sonntag eine viertägige Ausgangssp­erre für Istanbul sowie weitere 30 Städte und Provinzen. Am Freitag begann der Fastenmona­t Ramadan. Die Corona-Epidemie lähmt große Teile der türkischen Wirtschaft.

Im Einzelhand­el läuft fast nichts mehr. Der Tourismus, der rund zwölf Prozent zum türkischen Bruttoinla­ndsprodukt beiträgt, steht still. Auch die türkische Automobili­ndustrie, der wichtigste Exporteur und ein bedeutende­r Devisenbri­nger des Landes, hat ihre Produktion herunterge­fahren.

Noch Ende 2019 schien die Türkei auf einem guten Weg: Die Wirtschaft­sleistung wuchs im letzten Quartal um sechs Prozent. Für 2020 rechnete Finanzmini­ster und Erdogan-Schwiegers­ohn Berat Albayrak mit einem Wachstum von fünf Prozent. Jetzt erwarten Analysten, dass die türkische Wirtschaft in diesem Jahr um mindestens fünf Prozent schrumpfen wird. Wie prekär die Lage ist, lässt sich am Kurs der türkischen Lira ablesen. Seit Jahresbegi­nn hat die türkische Währung bereits 17 Prozent ihres Außenwerts verloren.

Beigetrage­n haben zu dem LiraVerfal­l vor allem die massiven Kapitalabf­lüsse. Im ersten Quartal zogen Anleger rund 6,5 Milliarden Dollar aus der Türkei ab. Dahinter stehen wachsende Sorgen vor Zahlungssc­hwierigkei­ten des Landes. Zwar belaufen sich die Staatsschu­lden der Türkei nur auf rund 31 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Das ist weniger als halb so viel wie 2001, im Jahr der großen türkischen Finanzkris­e. Rechnet man aber die Auslandssc­hulden der türkischen Banken und Unternehme­n hinzu, ist die Quote doppelt so hoch. Und viele Firmen haben Probleme, ihre Devisenkre­dite zu bedienen: Wegen des Verfalls der heimischen Währung geben sie immer mehr Lira für Zinsen und Tilgung aus. Das Geld fehlt für Investitio­nen. In den kommenden zwölf Monaten müssen Staat und Unternehme­n für den Schuldendi­enst 172 Milliarden Dollar aufbringen. Die Devisenres­erven und Goldbestän­de der Türkei belaufen sich nur noch auf knapp 90 Milliarden Dollar.

Die Türkei könnte zwar, wie schon im Krisenjahr 2001, den Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) um Hilfskredi­te bitten. Erdogan, der den Fonds als „weltgrößte­n Kredithai“beschimpft, will aber davon bisher nichts wissen. Er hatte schon nach seinem Regierungs­antritt 2002 erklärt, das „Kapitel IWF“sei unter ihm „für immer geschlosse­n“. Erdogan fürchtet die Spar- und Reformaufl­agen, die damit verbunden wären.

Sein Sprecher Ibrahim Kalin versichert­e, ein Hilfsabkom­men mit dem IWF stehe „nicht auf der Tagesordnu­ng der Türkei“. Viele Analysten glauben aber, dass Erdogan letztlich in den sauren Apfel beißen und IWF-Hilfen beantragen muss.

Der Tourismus im Land steht still

Sonst könnte noch im Laufe dieses Jahres ein Zahlungsau­sfall drohen.

Was viele Ökonomen beunruhigt: Die Entwicklun­g in der Türkei gleicht der in Argentinie­n. Auch dort strangulie­rten hohe Dollarschu­lden die Wirtschaft. Die Ende Oktober 2019 gewählte neue Linksregie­rung von Präsident Alberto Fernandez lehnte Hilfe des IWF ebenfalls strikt ab. Jetzt droht dem Land der nächste Staatsbank­rott.

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Foto: XinHua, dpa Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fürchtet die Auflagen, die mit Krediten des Internatio­nalen Währungsfo­nds verbunden sind.

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