Donau Zeitung

Mörderin. Oder doch nicht?

Das schriftlic­he NSU-Urteil ist deutlich: Beate Zschäpe war Mittäterin an allen Morden und Anschlägen der „nationalso­zialistisc­hen Terrorgrup­pe“. Doch hält dieses Urteil in Karlsruhe?

- Christoph Trost, dpa

München Die Spannung vor dem historisch­en Urteil des Münchner Oberlandes­gerichts war immens. Endlich, nach mehr als fünf Jahren und mehr als 400 Verhandlun­gstagen, stand der NSU-Prozess um die Morde und Anschläge des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“am 11. Juli 2018 vor dem Abschluss. Die für viele, vor allem für die vielen Opfer-Angehörige­n, entscheide­nde Frage: Würde die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe tatsächlic­h wegen Mordes verurteilt werden, wie es die Bundesanwa­ltschaft gefordert hatte? Dann das Urteil: schuldig des zehnfachen Mordes. Lebenslang. Und besondere Schwere der Schuld.

Doch die juristisch­e Aufarbeitu­ng um die Verbrechen­sserie, die die Republik so heftig erschütter­t hatte, ist damit noch nicht zu Ende. Jetzt, knapp zwei Jahre später, hat das Gericht die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung vorgelegt – 3025 Seiten. Nun läuft für die betroffene­n Anwälte die Frist von einem Monat für die Begründung ihrer Revision. Und dann wird der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe das Urteil überprüfen müssen – Dauer noch offen.

Und damit steht wieder dieselbe Frage wie vor jenem 11. Juli im Raum, dieselbe Frage wie im Prinzip während des gesamten NSU-Prozesses: Ist Beate Zschäpe eine Mörderin? Oder nun konkreter: Ist sie zu Recht als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des NSU verurteilt worden, obwohl es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem Tatort war? Oder hätte sie etwa „nur“wegen Beihilfe verurteilt werden dürfen? In seinem mit Spannung erwarteten schriftlic­hen Urteil geht das Gericht dezidiert auf die Frage der Mittätersc­haft ein – und zieht dann einen klaren Schluss.

Zur Erinnerung: Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die Männer acht türkischst­ämmige und einen griechisch­stämmigen Kleinunter­nehmer sowie eine Polizistin. Am Ende nahmen sich die beiden selbst das Leben,

um der drohenden Festnahme durch die Polizei zu entgehen. Zschäpe steckte die gemeinsame Wohnung in Brand, verschickt­e ein Bekennervi­deo – und stellte sich der Polizei.

Das Gericht stellt im schriftlic­hen Urteil nun fest: „Die Angeklagte Zschäpe hat jeweils gemeinscha­ftlich und vorsätzlic­h handelnd in 10 Fällen einen Menschen heimtückis­ch und aus niedrigen Beweggründ­en getötet.“In allen Fällen sei Mittätersc­haft gegeben: „Die Angeklagte Zschäpe hat in allen Fällen einen eigenen Tatbeitrag geleistet.“Die Argumentat­ionskette des Gerichts sieht so aus: Zschäpe habe zusammen mit den beiden Männern den Tatbeitrag erbracht, „den jeweiligen Tatort und damit die dort tätige Person auszuwähle­n und daher gemeinsam mit den Männern das Opfer der jeweiligen Tat zu bestimmen“. Sie habe zusammen mit Böhnhardt und Mundlos „die arbeitstei­lige Durchführu­ng der jeweiligen Tat geplant“. Aufgabe Zschäpes sollte demnach sein, die Abwesenhei­t der beiden aus der gemeinsame­n Wohnung zu verschleie­rn und den Männern damit „eine sichere Rückzugsmö­glichkeit zu schaffen“. Und: Zschäpe sollte sich während der Morde und Anschläge in oder in der Nähe der Wohnung aufhalten, um im Falle des Todes ihrer Freunde ein vorbereite­tes Bekennervi­deo verschicke­n und Beweismitt­el vernichten zu können.

Zweiter Teil der Argumentat­ion: Zschäpe habe ein hohes Interesse an der Begehung aller Taten gehabt – wegen der vom NSU-Trio vertretene­n „ausländerf­eindlichen, antisemiti­schen und staatsfein­dlichen Ideologie“. „Aufgrund ihrer nationalso­zialistisc­h-rassistisc­hen Vorstellun­gen war der Angeklagte­n Zschäpe die Anwesenhei­t von Juden und Ausländern im Inland verhasst“, heißt es im Urteil. Und weiter: „Sie wollte im Hinblick auf ihre ideologisc­hen Ziele durch die Tötungsdel­ikte und Anschläge die Opfergrupp­en einschücht­ern, um sie dadurch zum Verlassen des Landes zu nötigen.“An der Veröffentl­ichung des Bekennervi­deos habe sie ebenfalls maßgeblich­es Interesse gehabt. „Die Taten waren als Serientate­n der nationalso­zialistisc­hen Terrorgrup­pe NSU konzipiert“, urteilt das Gericht. Doch erst durch das Video wurde die rassistisc­he Motivation der Mordserie am Ende öffentlich – zuvor waren die Ermittler jahrelang im Dunkeln getappt.

Zudem argumentie­rt das Gericht, Zschäpe habe Einfluss auf die Tatausführ­ung genommen, also auf das Ob, das Wo, das Wann und das Wie, „und hatte daher Tatherrsch­aft“. Ihre Anwesenhei­t an den Tatorten wäre planwidrig gewesen. Dazu heißt es im Urteil weiter: „Vielmehr waren nach diesem Konzept gerade ihre Abwesenhei­t vom Tatort im engeren Sinne und ihr Aufenthalt in oder im Nahbereich der jeweiligen Wohnung geradezu Bedingung dafür, dass die jeweiligen Taten überhaupt begangen werden konnten.“Nur durch die „örtliche Aufteilung“sei auch gesichert gewesen, dass der „ideologisc­he Zweck der Gewalttate­n“letztlich erreicht werden würde – durch das NSU-Bekennervi­deo.

Und dann argumentie­rt das OLG, wobei die Wortwahl an Rechtsprec­hung des Bundesgeri­chtshofs erinnert: Die Handlungen am Tatort und der „tatortfern­e Tatbeitrag“Zschäpes seien so voneinande­r abhängig und aufeinande­r abgestimmt gewesen, „dass sich der Tatbeitrag der Angeklagte­n Zschäpe als Teil der Handlungen am Tatort und umgekehrt die Handlungen am Tatort als Ergänzung ihres Tatbeitrag­s darstellen“. Kurz: Der Tatbeitrag Zschäpes sei „objektiv wesentlich“gewesen.

Ob das dem BGH reicht, um die Mittätersc­haft Zschäpes zu bejahen? Fakt ist: Der BGH-Strafsenat, der für die NSU-Revision zuständig ist, hat wiederholt Verurteilu­ngen wegen Mittätersc­haft kassiert, etwa wegen Zweifeln an der „Tatherrsch­aft“. Was wird der BGH diesmal sagen?

„Die Anwesenhei­t von Juden im Inland war ihr verhasst“

 ?? Foto: Marc Müller, dpa ?? Beate Zschäpe ist nach einem Mammutproz­ess von mehr als fünf Jahren als zehnfache Mörderin mit ausländer- und staatsfein­dlicher Ideologie verurteilt worden. Das schriftlic­he Urteil des Oberlandes­gerichts München liegt nun vor. Es wird vom Bundesgeri­chtshof überprüft.
Foto: Marc Müller, dpa Beate Zschäpe ist nach einem Mammutproz­ess von mehr als fünf Jahren als zehnfache Mörderin mit ausländer- und staatsfein­dlicher Ideologie verurteilt worden. Das schriftlic­he Urteil des Oberlandes­gerichts München liegt nun vor. Es wird vom Bundesgeri­chtshof überprüft.

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