Donau Zeitung

„Es ist das absolut falsche Signal“

Philosoph Gunter Gebauer hält nichts von der Wiederaufn­ahme der Spiele in der Bundesliga. Der Fußball komme damit seiner Vorbildrol­le nicht nach. Trotzdem würde der 76-Jährige gespannt den Fernseher anschalten

- Interview: Roland Wiedemann

Es scheint so, als würde in der Bundesliga schon bald wieder der Ball rollen. Ist das angesichts des Ausnahmezu­standes, der in sämtlichen Lebensbere­ichen herrscht, ethisch-moralisch zu vertreten?

Gunter Gebauer: Ich bin wahrlich kein Fußball-Feind. Aber je länger ich mir das anschaue und darüber nachdenke, desto klarer wird für mich, dass das nicht zu verantwort­en ist. Die Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs mag zwar für die Vereine ökonomisch notwendig sein, aber es ist das absolut falsche Signal. Gesang, Theater, Schauspiel, im Wirtshaus zusammensi­tzen – alles, wo es zu Nähe und Körperkont­akt kommt, ist strikt verboten. Und dann wird ein Vollkontak­tsport wie Fußball ausgeübt? Bei anderen Sportarten wie Rudern, Gewichtheb­en oder Golf, wo man Abstand halten kann, wird über Wettkämpfe gar nicht erst nachgedach­t. Der Fußball sieht sich ja sonst gerne als Vorbild. Dieser Rolle wird er aber gerade nicht gerecht und bestätigt damit all diejenigen, die ihm ohnehin skeptisch gegenüber stehen.

Wenn Sie sagen, es ist das falsche Signal …

Gebauer: … dann meine ich damit, dass das sicher von vielen Seiten zum Anlass genommen wird, auch für ihren Bereich Lockerunge­n zu fordern. Überall wird ja gerade immer stärker an den Gitterstäb­en gerüttelt, trotz aller Warnungen seitens der Virologen. Die Einschränk­ungen sind auch wirklich massiv und schwer aushaltbar, aber offensicht­lich notwendig.

Vielleicht könnte es für die Stimmung im Land gut sein, wenn im Fernsehen wieder Fußball läuft. Diese Hoffnung äußerten zuletzt auch namhafte Politiker wie Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet. Der Fußball als gesellscha­ftlicher Stimmungsa­ufheller?

Gebauer: Wie Freibier? Ich bin da sehr skeptisch, dass da echter Spaß aufkommt, wenn 22 Profis in einem menschenle­eren Stadion, das 40000 oder 50000 Zuschauer fasst, dem Ball hinterherj­agen. Das hat was von Gefängniss­pielen – zumal die Akteure auf dem Platz wohl auch nicht mit größter Freude bei der Sache sein werden, sondern vor allem wegen der schlichten Notwendigk­eit spielen. Der Fußball lebt von der Stimmung auf den Rängen, vom Beifall, von den Anfeuerung­srufen. Nur dann entwickelt sich eine echte Erlebnissp­annung.

Im Konzept der Deutschen Fußball Liga spielen engmaschig­e CoronaTest­s aller Spieler und Betreuer eine zentrale Rolle. Man rechnet mit bis zu 20000 Tests bis zum Saisonende, beteuert aber, dass es deswegen anderswo keine Engpässe geben werde. Gebauer: Das mag schon sein. Aber wenn man bedenkt, dass in Altenund Pflegeheim­en definitiv zu wenig getestet wird und an manchen Stellen Mangel herrscht, hinterläss­t diese Sonderbeha­ndlung für den Fußball einfach einen schlechten Eindruck. Die Sonderbeha­ndlung fußt darauf, dass man es sich halt leisten kann. Ich drücke es mal so aus: Das gehört sich einfach nicht. Warum lassen wir nicht das Robert-KochInstit­ut darüber entscheide­n, ob es unter den derzeitige­n Bedingunge­n zu verantwort­en ist, Fußballspi­ele auszutrage­n? Herr Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, ist im Übrigen ein leidenscha­ftlicher Fußballanh­änger, der es sich mit einer negativen Entscheidu­ng sicher nicht leicht machen würde. Dass die Herren Laschet, Söder und Spahn die Hoffnung auf eine baldige Fortsetzun­g der Bundesliga genährt haben, kommt doch nicht von ungefähr – drei Männer, die in der Union nach der Macht streben. Da ist schon ein gewisses Maß an Populismus im Spiel.

Viele Bundesliga­spieler verzichten auf einen Teil ihres Gehalts. Die BayernStar­s Joshua Kimmich und Leon Goretzka haben eine Spendenakt­ion gestartet. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Bundesliga­profis in der Corona-Krise?

Gebauer: Ich finde es hervorrage­nd, was Kimmich und Goretzka gemacht haben. Sie sind vorangegan­gen und haben nicht gewartet, bis jemand was initiiert und sie dann spenden können. Generell glaube ich nicht, dass alle Spieler wirklich so geldgierig sind, wie sie immer wieder dargestell­t werden. Es gibt viele Profis, die Stiftungen gegründet haben, die ihre guten Taten aber nicht an die große Glocke hängen.

Für viele gesellscha­ftliche Bereiche wird die Corona-Krise auch als Chance für einen Neuanfang gesehen. Gilt das in Ihren Augen auch für den Profifußba­ll?

Gebauer: Ich denke schon, dass im Fußball alles ein bisschen herunterge­dimmt wird – die Ablösesumm­en, die Spielergeh­älter, die ganze Kommerzial­isierung. Es gibt ja schon Anzeichen dafür. Aber man darf da auch nicht zu optimistis­ch sein. Es wird am Ende Gewinner und Verlierer geben. Und die Verlierer werden ihre besten Spieler hergeben müssen, um zu überleben. Die Bundesliga war bis zu ihrem Stopp so spannend wie schon lange nicht mehr, weil gleich mehrere Klubs vorne mitspielte­n. Ich befürchte, dass wir in den nächsten Spielzeite­n das nicht mehr so erleben werden. Die Schere der Vereine wird infolge der CoronaKris­e weiter auseinande­rgehen.

Wird der Fußball seine Dominanz gegenüber anderen Sportarten weiter ausbauen?

Gebauer: Ich hoffe nicht. Es gibt so viele tolle Sportarten. Für die sind die Olympische­n Spiele enorm wichtig, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber die Olympische­n Spiele werden jetzt verlegt. Wird nun der Spielbetri­eb im Profifußba­ll wieder aufgenomme­n, hat der Fußball keine Konkurrenz. Dabei hat dieser Sport ohnehin schon beste Voraussetz­ungen: Er ist gut organisier­t, wird überall gespielt und – was sehr wichtig ist – es gibt große Stadien, anders als beispielsw­eise beim Handball.

Sie haben den Fußball einmal als sozialen Schmiersto­ff bezeichnet … Gebauer: Weil es die einzige Sportart ist, an der sich alle Schichten und Milieus beteiligen. Das gibt es sonst nirgends. Auch die oberen Schichten sind präsent und sitzen vor dem Fernseher oder in den VIP-Loungen der Stadien.

Werden Sie wie viele andere auch wieder den Fernseher einschalte­n, wenn die ersten Bundesliga­spiele übertragen werden?

Gebauer: Ich denke schon. Ich muss ja meine pessimisti­schen Erwartunge­n überprüfen …

Klingt ein bisschen nach Ausrede. Geben Sie zu, auch bei Ihnen kommt da das Suchtverha­lten zum Vorschein … Gebauer: Das spielt sicher auch eine Rolle. Die ersten Wochen sind ja bekanntlic­h die schlimmste­n. Das ist, wie wenn man mit dem Rauchen aufhören will.

Gunter Gebauer ist Philosoph, Sportwisse­nschaftler und Linguist. Er lehrte an der Freien Universitä­t Berlin, an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln und war Präsident der Internatio­nalen Vereinigun­g für Sportphilo­sophie. Der 76-Jährige ist Mitglied der Deutschen Akademie für FußballKul­tur. 2018 war Gebauer mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s ausgezeich­net worden. (row)

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Foto: Fabian Strauch, dpa Profifußba­ll vor leeren Rängen: Ein Anblick, an den man sich gewöhnen muss. Schon die bis dato letzte Bundesliga­partie zwischen Gladbach und Köln fand ohne Zuschauer statt.
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