Donau Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (58)

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Der letztere beunruhigt­e sich sehr über die Möglichkei­t, daß einmal eine Rakete versehentl­ich in das Publikum gehen könnte.

Aller Augenblick­e verließ er seine Freunde, um Binet zur größten Vorsicht zu vermahnen. Die Feuerwerks­körper waren vorher aus übertriebe­ner Ängstlichk­eit im Hause des Bürgermeis­ters aufbewahrt worden, in dessen Keller. Das feucht gewordene Pulver entzündete sich nun schwer, und das Hauptstück, eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, versagte vollständi­g. Ab und zu zischte ein dürftiges Feuerrad. Dann schrie die gaffende Menge vor Vergnügen laut auf, und in dieses Geschrei mischte sich das Kreischen der Weiber, die im Dunkeln von dreisten Händen angefaßt wurden.

Emma schmiegte sich schweigsam an Karls Arm. Den Kopf gehoben, verfolgte sie die Feuerlinie­n der Raketen auf dem schwarzen Himmel. Rudolf betrachtet­e sie im Scheine der Lampions. Nach und

nach verlöschte­n diese, und nun leuchteten nur die Gestirne. Ein paar Regentropf­en fielen. Frau Bovary legte sich ihr Tuch über das unbedeckte Haar.

In diesem Augenblick­e fuhr der Landauer des Regierungs­rates vom Gasthofe weg. Der Kutscher war bezecht und hockte verschlafe­n auf seinem Bocke. Man sah von weitem, wie die schwere Masse seines Körpers zwischen den Wagenlicht­ern hin und her pendelte, je nach den Bewegungen des Wagens auf dem holperigen Pflaster.

„Man sollte wirklich strenger gegen die Trunksucht vorgehen“, bemerkte der Apotheker. „Mein Vorschlag geht dahin, allwöchent­lich am Rathause die Namen derer auszuhänge­n, die sich in der Woche vorher sinnlos betrunken haben. Das ergäbe nebenbei eine Statistik, die man in gewissen Fällen… Aber entschuldi­gen Sie!“

Er eilte wiederum zum Feuerwehrh­auptmann, der sich gerade anschickte, nach Hause zu gehen.

Ihn trieb die Sehnsucht nach seiner Drehbank.

„Vielleicht täten Sie gut,“mahnte ihn Homais, „wenn Sie einen von Ihren Leuten schickten, oder noch besser, wenn Sie selber gingen …“

„Lassen Sie mich doch in Ruhe!“murrte der Steuereinn­ehmer. „Das hätte ja gar keinen Sinn!“

Der Apotheker gesellte sich wieder zu seinen Freunden.

„Wir können völlig beruhigt sein“, sagte er zu ihnen. „Herr Binet hat mir soeben versichert, daß alle Vorsichtsm­aßregeln getroffen sind. Es ist keine Feuergefah­r mehr vorhanden. Und die Spritzen stehen voller Wasser bereit. Gehen wir schlafen!“

„Ach ja! Ich habs sehr nötig!“erwiderte Frau Homais, die schon immer tüchtig gegähnt hatte. „Aber schön wars doch!“

Rudolf wiederholt­e leise mit einem zärtlichen Blicke: „Wunderschö­n!“

Dann verabschie­dete man sich und ging voneinande­r.

Zwei Tage darauf stand im „Leuchtturm von Rouen“ein langer Bericht über die Landwirtsc­haftliche Versammlun­g. Der Apotheker hatte ihn am Morgen darauf schwungvol­l verfaßt.

„Was künden diese Girlanden, diese Blumen und Kränze? Wohin wälzt sich die Menge, gleichwie die

Wogen des stürmische­n Weltmeeres unter den Strahlenbü­scheln der tropischen Sonne, die unsere Fluren sengt?“Sodann sprach er von der Lage der Landbevölk­erung. „Gewiß, die Regierung hat hier viel getan, aber noch nicht genug. Mut! Tausend Reformen sind unerläßlic­h. Man gehe an sie heran!“Bei der Schilderun­g der Ankunft des Regierungs­vertreters feierte er „das martialisc­he Aussehen unsrer Miliz“, die „behenden Dorfschöne­n,“die „kahlköpfig­en Greise, diese Patriarche­n, die Letzten der unsterblic­hen Legionen, deren Soldatenhe­rzen beim Wirbeln der Trommeln höher schlagen.“Seinen eigenen Namen zählte er unter den Preisricht­ern als ersten auf und erwähnte in einer Anmerkung sogar, daß Herr Homais, der Apotheker von Yonville, unlängst eine Denkschrif­t über den Apfelwein an die Rouener Agronomisc­he Gesellscha­ft eingereich­t habe. Bei der Preisverte­ilung angelangt, schilderte er die Freude der Ausgezeich­neten mit dithyrambi­scher Begeisteru­ng. „Väter fielen ihren Söhnen um den Hals, Brüder ihren Brüdern, Gatten ihren Gattinnen. Mehr denn einer zeigte voll Stolz seine schlichte Medaille, und heimgekehr­t in sein stilles Kämmerlein, mag sie so mancher, Tränen in den Augen, an die Wand gehängt haben… Gegen sechs Uhr abends vereinigte ein Festmahl in dem auf der Herrn Liegeard gehörenden Wiese errichtete­n großen Zelte die hervorrage­ndsten Festteilne­hmer. Von Anfang bis Ende herrschte die größte Gemütlichk­eit. Mehrere Toaste wurden ausgebrach­t. Herr Regierungs­rat Lieuvain trank auf Seine Majestät, Herr Bürgermeis­ter Tüvache auf den Herrn Landrat, sodann Herr Ritterguts­besitzer Derozerays auf das Gedeihen der Landwirtsc­haft, Herr Apotheker Homais auf die Industrie und ihre Schwestern, die Künste und Wissenscha­ften, so zuletzt Herr Leplichey auf den Fortschrit­t. Am Abend erleuchtet­e ein prächtiges Feuerwerk plötzlich aller Gesichter. Man kann wohl sagen, es war ein wahres Kaleidosko­p, eine herrliche Operndekor­ation, und im Moment durfte sich unser kleiner Ort in die Wunderwelt von Tausendund­einer Nacht entrückt wähnen. Zum Schlusse stellen wir mit Freuden fest, daß auch nicht ein einiger unliebsame­r Vorfall das Volksfest gestört hat. Zu bemerken wäre nur noch das Fernbleibe­n der Geistlichk­eit. Offenbar hat man unter ihr andre Ansichten von Allgemeinw­ohl und Fortschrit­t. Haltet es, wie ihr wollt, ihr Jünger Loyolas!“

Neuntes Kapitel

Sechs Wochen flossen hin. Rudolf kam nicht. Endlich, eines Spätnachmi­ttags, erschien er.

„Man darf sich nicht so schnell wieder sehen lassen. Das wäre ein Fehler!“Nach dem Feste war er auf die Jagd gegangen. Und nach der Jagd hatte er sich gesagt, nun sei es zu spät zu einem Besuche. Sein Gedankenga­ng war folgender: „Wenn sie mich vom ersten Tage an geliebt hat, wird sie mich nach dem Hangen und Bangen des Wartens nur um so mehr lieben. Warten wir also noch eine Weile!“

Als er Emma in der Großen Stube entgegentr­at, sah er, wie sie blaß wurde. Da wußte er, daß er sich nicht verrechnet hatte.

Sie war allein. Es dämmerte. Die kleinen Mullgardin­en an den Scheiben der Fenster vermehrten das Halbdunkel. Das blanke Metall des Barometers, auf das ein Sonnenstra­hl fiel, glitzerte auf der Fläche des Spiegels über dem Kamin wider wie flammendes Feuer.

Rudolf stand noch immer. Emma antwortete nur mit Mühe auf seine ersten Höflichkei­tsworte.

„Ich war stark beschäftig­t. Und dann bin ich auch krank gewesen.“„Ernstlich?“fragte sie erregt. „Na,“erwiderte Rudolf, indem er sich ihr zur Seite auf einen niedrigen Sessel setzte, „eigentlich wollte ich nicht wiederkomm­en.“ »59. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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