Donau Zeitung

Ein Großer der schwedisch­en Literatur ist gestorben

In seiner Heimat nannten sie ihn nur P. O. – Per Olov Enquist schrieb Ausnahmewe­rke wie „Der Besuch des Leibarztes“

- Steffen Trumpf, dpa

Stockholm Per Olov Enquist konnte einst höher springen als die meisten anderen Schweden. Als junger Hochspring­er schaffte er es über die Marke von 1,97 Meter, und trotzdem schlug der Nordschwed­e, den alle nur P. O. nannten, eine ganz andere Karriere als die des Sportlers ein. Nach einem Leben voller preisgekrö­nter Bücher und Ausnahmewe­rke wie „Der Besuch des Leibarztes“ist der Schriftste­ller nun nach längerer Krankheit im Alter von 85 Jahren gestorben.

Werke von P. O. Enquist gehören in Schweden in jedes Bücherrega­l. Er brachte es im Laufe seiner mehr als 50 Jahre währenden Schaffensz­eit zwar nicht zu der unerreicht­en Beliebthei­t seiner großen Landsfrau Astrid Lindgren, zählte aber zu den ganz Großen der schwedisch­en Literatur. Viele seiner Bücher wurden in Schweden zu Standardwe­rken und im Ausland zu Bestseller­n. Häufig nahm sich Enquist historisch­e Ereignisse und Persönlich­keiten zum Ausgangspu­nkt seiner Arbeiten, wofür er vielfach ausgezeich­net wurde.

Geboren wurde Enquist am 23. September 1934 im nordschwed­ischen Dorf Hjoggböle. Seine streng religiöse Mutter, eine Dorfschull­ehrerin, zog ihn in einem grünen Haus in der Einöde der schwedisch­en Provinz groß, nachdem sein Vater noch vor dem ersten Geburtstag des kleinen Per Olov gestorben war. Diese abgeschied­enen Kindheitsj­ahre prägten das gesamte Leben und Schaffen von Enquist, auch wenn er später räumlich weiterzog – erst zum Studium nach Uppsala, dann nach Stockholm, später in Metropolen wie Kopenhagen, Paris, Berlin und Los Angeles.

„Wenn man tief im Wald geboren wurde, dann stellen Bäume und Land Sicherheit dar“, schrieb Enquist 2007 über seine Kindheit. „Ich hatte keine Spielkamer­aden, aber einen großen Wald ganz für mich allein. Das hat meinen starken und unablässig­en Charakter geschaffen. Ich war nicht allein. Ich hatte die Kiefern.“

Diese Kindheit hat Enquist einen Schuss Melancholi­e mitgegeben, die sich später auch in diversen Werken des Schweden niederschl­ug. Sein Debüt feierte er 1961 mit dem Roman „Kristallög­at“(Das Kristallau­ge), aber erst sieben Jahre später verhalf ihm „Legionärer­na“(Die Ausgeliefe­rten) internatio­nal zum Erfolg.

Auch in Deutschlan­d, wo er 1972 als Reporter von den Olympische­n Spielen in München und der dortigen Geiselnahm­e berichtete, fanden Enquists Romane im Laufe der Jahre

eine immer größer werdende Leserschaf­t. Für den 1999 im schwedisch­en Original veröffentl­ichten historisch­en Roman „Der Besuch des Leibarztes“erhielt Enquist unter anderem den Deutschen Bücherprei­s für Internatio­nale Belletrist­ik.

Die wichtigste literarisc­he Auszeichnu­ng für schwedisch­e Literatur, den August-Preis, heimste Enquist mit dem Werk über den am dänischen Hof angestellt­en deutschen Arzt und Aufklärer Johann Friedrich Struensee ebenfalls ein. Später bekam er den Preis noch einmal für seine Autobiogra­fie „Ein anderes Leben“, in der er auch seinen Kampf gegen den Alkoholism­us schilderte. Enquist arbeitete darüber hinaus als Literaturk­ritiker und verfasste neben Dreh- und Kinderbüch­ern seit 1975 auch Dramen, darunter das Erfolgsstü­ck „Die Nacht der Tribaden“über August Strindberg, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt und am Broadway aufgeführt wurde.

„Per Olov Enquists Bedeutung als schwedisch­er Schriftste­ller lässt sich nicht überschätz­en“, würdigte sein schwedisch­er Verlag Norstedts am Sonntag die Arbeit des Literaten. „Wenige haben andere Autoren so sehr inspiriert wie er.“Er habe den Dokumentat­ionsroman neu erfunden, seine Leser über ein halbes Jahrhunder­t berührt und auch der schwedisch­en Dramatik neues Leben eingehauch­t. Und noch etwas: „Er hat Hjoggböle auf die Weltkarte gebracht.“

Die Gesundheit machte Enquist in späten Tagen zu schaffen. Er hatte einen Herzfehler und erlitt 2016 einen Schlaganfa­ll, wie er zwei Jahre später in einem Interview erzählte. „Ich bin seit einer Weile kränklich, ich habe eine Menge Krebszelle­n im Magen“, sagte er. „Ein Teil der Gehirnkapa­zität verschwind­et, man verliert alle Worte und Namen. Man verliert seinen Werkzeugka­sten.“Aus den Bücherrega­len wird Enquist dagegen niemals verschwind­en.

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Archiv-Foto: W. Kluge, dpa Per Olov Enquist ist im Alter von 85 Jahren gestorben.

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