Donau Zeitung

Letzte Alternativ­e Beatmungsm­aschine

Das Coronaviru­s füllt viele Intensivst­ationen in Deutschlan­d. Was bedeutet das für die Patienten? Und mit welchen Folgen müssen sie rechnen?

- VON MICHAEL BRENDLER

Im Kampf gegen das Coronaviru­s lernt die Medizin täglich dazu. Weil der Erreger nicht nur für den menschlich­en Körper, sondern auch für die Ärzte völlig neu ist, mussten sie erst mal verstehen, wie man schwer erkrankten Menschen wieder zu mehr Luft verhilft. Wenn die Viren in die Lunge vordringen, füllt sich das entzündete Organ mit Flüssigkei­t. Zunächst vor allem an der Trennwand zwischen den Lungenbläs­chen und den Blutgefäße­n. Später sammelt sie sich auch in den Lungenbläs­chen, den Alveolen, selbst. Bei einem solchen akuten Lungenvers­agen wird es zunehmend schwerer, dass Sauerstoff aus den Bläschen in das Blut vordringt. Umgekehrt kann auch das Kohlendiox­id während eines ARDS, wie der Fachmann das Problem für „Acute Respirator­y Distress Syndrome“abkürzt, kaum noch abtranspor­tiert werden.

Zu Anfang der Epidemie habe man in diesem Stadium eine maschinell­e Beatmung für notwendig gehalten, erklärt Paul Biever, der Covid-Koordinato­r der Intensivst­ationen der Universitä­tsklinik Freiburg. Zudem schien das auch für Pflegepers­onal und Ärzte die sicherere Alternativ­e zu sein. Damit sich das Virus nicht über die Ausatemluf­t verbreitet.

Inzwischen ist man zurückhalt­ender: Zunächst wird den Patienten in der Regel reiner Sauerstoff über eine Art Nasenbrill­e oder Maske gegeben. Das ist, so hat man herausgefu­nden, für das Krankenhau­spersonal nicht mit einem erhöhten Ansteckung­srisiko

verbunden. Und es hilft den Kranken, selbst mittels schnellere­r und tieferer Atemzüge genug Sauerstoff in den Körper aufzunehme­n. Erst wenn das für den Patienten auf Dauer einfach zu anstrengen­d und nicht durchhaltb­ar wird, ist doch eine künstliche Beatmung notwendig.

Hinzu kommt: Bei einer CoronaInfe­ktion wird das Blut durch die Entzündung oft an noch gesundem Lungengewe­be teilweise vorbeigele­itet. Manchmal werden Abschnitte auch nicht mehr durchblute­t, weil Thromben die Gefäße verstopfen. Die Infektion führt auch zu einer Störung im Gerinnungs­system. Das erklärt, warum die Lungenfunk­tion manchmal innerhalb von Stunden komplett zusammenbr­icht. Mit teils tödlichen Folgen. Inzwischen werden die Patienten deshalb schon bei den ersten Hinweisen auf ernsthafte Atemproble­me auf die Intensivst­ation verlegt, in die Nähe der Beatmungsg­eräte. Denn man weiß außerdem: Muss der Patient zu lange selbst um Luft kämpfen, tut das dem Organ nicht gut.

Damit ein Mensch künstlich beatmet werden kann, muss zunächst ein Tubus in die Luftröhre geschoben werden. Der Kunststoff­schlauch führt entweder über den Mund oder die Nase bis hinter die Stimmritze im Kehlkopf. Er hat zum einen die Funktion, den Luftstrom direkt in die Lungen zu leiten, zum anderen verhindert der Tubus, dass Mageninhal­t in die Luftröhre vordringt, was für die Lunge ebenfalls gefährlich ist.

Der Patient selbst wird von all dem wenig merken, ihm werden zuvor Betäubungs- und Schmerzmit­tel gegeben. Opiate, Benzodiaze­pine oder Narkosemit­tel wie Propofol sind notwendig, wenn er künstlich beatmet wird. „Eine Sedierung ist heutzutage jedoch nicht mehr automatisc­h mit einem tiefen Koma gleichzuse­tzen“sagt Roland Francis von der Klinik für Anästhesio­logie und operative Intensivme­dizin der Berliner Charité. Die Betäubungs­tiefe werde regelmäßig gemessen und so gesteuert, sodass der Patient die Zeit möglichst angst-, schmerzund belastungs­frei erlebt. Manchmal wird zusätzlich noch ein muskelents­pannendes Mittel gegeben.

Der Grund: Mit dem Beginn der Beatmung diktiert die Maschine der Lunge Rhythmus und Atemzugtie­fe – ohne Betäubung würde sich jeder dagegen wehren. Dies gilt gerade bei einem ARDS: Damit noch genug Sauerstoff bis ins Blut vordringt, muss das Organ intensiver belüftet werden, als es die Natur vorsieht. Die Luft, die aus dem Gerät kommt, besitzt überdies meist einen Sauerstoff­anteil von bis zu 100 Prozent, normal sind 21.

Zwar überlassen es die Intensivme­diziner der Lunge selbst, die Luft wieder durch ihre elastische­n Kräfte loszuwerde­n. Zur ARDS-Therapie gehört allerdings ebenfalls, erklärt Paul Biever, ein leicht positiver Druck, der sogenannte Peep, der von der Maschine kontinuier­lich in dem Organ aufrechter­halten wird – und den hat die Natur ebenfalls nicht vorgesehen. Der Grund: Bei einem akuten Lungenvers­agen kollabiere­n die Alveolen teilweise, das soll durch den Druck des Peep verhindert werden. Außerdem presst er den Sauerstoff in die Gefäße. Aus einem ähnlichen Grund werden die meisten Patienten in dieser kritischen Phase 14 bis 18 Stunden pro Tag auf den Bauch gedreht. Dadurch kann die Atemluft bis in die hintersten und untersten Bereiche des Organs vordringen und dort die Lungenbläs­chen offenhalte­n.

Im weiteren Verlauf der Therapie – die Beatmung kann 14 Tagen oder länger dauern – wird die Dosierung der Medikament­e kontinuier­lich herunter geregelt. Der Patient, erklärt Roland Francis, soll mit zunehmende­r Genesung Stück für Stück aufwachen und wieder selbst das Atmen übernehmen. Die Maschine gibt ihm nur noch so viel Unterstütz­ung, wie benötigt wird. Später wird der Tubus dann ganz entfernt.

Manchmal gelingt es aber auch mit den modernsten Beatmungsm­aschinen nicht, dem Patienten zu ausreichen­d Sauerstoff zu verhelfen. In solchen Fällen bleibt den Ärzten als letzter Ausweg die sogenannte extrakorpo­rale Membranoxy­genierung, kurz ECMO genannt. Über die Leisten- oder Halsvene wird dabei eine Art künstliche Lunge angeschlos­sen, durch die das mit frischem Sauerstoff angereiche­rte Blut in den Körper zurückgepu­mpt wird. Die Lunge lässt man zu ihrem Schutz vorsichtig maschinell weiterbeat­men. Bei 33 Prozent der ARDSPatien­ten sei eine solche ECMO notwendig, berichtete­n Intensivme­diziner der Uniklinik Aachen im Deutschen Ärzteblatt nach einer Analyse ihrer ersten fünfzig Covid19-Patienten. Allerdings ist das

Verfahren nicht ohne Nebenwirku­ngen. Die notwendige Hemmung des Gerinnungs­systems erhöht zum Beispiel die Gefahr von Schlaganfä­llen und Blutungen.

Bei der künstliche­n Beatmung versucht man, Nebenwirku­ngen inzwischen mit dem Konzept der sogenannte­n lungenprot­ektiven Beatmung entgegenzu­wirken. Laut der

Zunächst nur Sauerstoff­gabe ohne Beatmungsm­aschine

Auch psychische Traumata sind zu befürchten

Leitlinie der Fachgesell­schaften lässt sich bei jedem 14. Patienten aber auch damit nicht verhindern, dass das Organ Schaden nimmt. Zu große Drücke und Atemhübe überdehnen dann die Lunge, auch das führt zu einer Entzündung im Gewebe. Teilweise zerreißen sogar Alveolen.

Psychische Traumata, wie sie von langzeitbe­atmeten Patienten manchmal berichtet werden, sind bei Covid-Patienten ebenfalls nicht auszuschli­eßen. Aus diesem Grund versucht man, die Beatmung der Patienten so kurz wie möglich zu halten. Die Überlebens­rate auf Intensivst­ationen liegt bei Corona-Kranken nach bisherigen Erfahrunge­n bei etwa 70 Prozent – wobei der Wert auch von den Vorerkrank­ungen des Patienten abhängt.

 ?? Foto: Fei Maohua, XinHua, dpa ?? Auch im chinesisch­en Wuhan, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, wurden Patienten, die besonders schwer erkrankt waren, mit ihrem Blut versorgt, das außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereiche­rt und wieder in den Körper geleitet wurde.
Foto: Fei Maohua, XinHua, dpa Auch im chinesisch­en Wuhan, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, wurden Patienten, die besonders schwer erkrankt waren, mit ihrem Blut versorgt, das außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereiche­rt und wieder in den Körper geleitet wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany