Letzte Alternative Beatmungsmaschine
Das Coronavirus füllt viele Intensivstationen in Deutschland. Was bedeutet das für die Patienten? Und mit welchen Folgen müssen sie rechnen?
Im Kampf gegen das Coronavirus lernt die Medizin täglich dazu. Weil der Erreger nicht nur für den menschlichen Körper, sondern auch für die Ärzte völlig neu ist, mussten sie erst mal verstehen, wie man schwer erkrankten Menschen wieder zu mehr Luft verhilft. Wenn die Viren in die Lunge vordringen, füllt sich das entzündete Organ mit Flüssigkeit. Zunächst vor allem an der Trennwand zwischen den Lungenbläschen und den Blutgefäßen. Später sammelt sie sich auch in den Lungenbläschen, den Alveolen, selbst. Bei einem solchen akuten Lungenversagen wird es zunehmend schwerer, dass Sauerstoff aus den Bläschen in das Blut vordringt. Umgekehrt kann auch das Kohlendioxid während eines ARDS, wie der Fachmann das Problem für „Acute Respiratory Distress Syndrome“abkürzt, kaum noch abtransportiert werden.
Zu Anfang der Epidemie habe man in diesem Stadium eine maschinelle Beatmung für notwendig gehalten, erklärt Paul Biever, der Covid-Koordinator der Intensivstationen der Universitätsklinik Freiburg. Zudem schien das auch für Pflegepersonal und Ärzte die sicherere Alternative zu sein. Damit sich das Virus nicht über die Ausatemluft verbreitet.
Inzwischen ist man zurückhaltender: Zunächst wird den Patienten in der Regel reiner Sauerstoff über eine Art Nasenbrille oder Maske gegeben. Das ist, so hat man herausgefunden, für das Krankenhauspersonal nicht mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko
verbunden. Und es hilft den Kranken, selbst mittels schnellerer und tieferer Atemzüge genug Sauerstoff in den Körper aufzunehmen. Erst wenn das für den Patienten auf Dauer einfach zu anstrengend und nicht durchhaltbar wird, ist doch eine künstliche Beatmung notwendig.
Hinzu kommt: Bei einer CoronaInfektion wird das Blut durch die Entzündung oft an noch gesundem Lungengewebe teilweise vorbeigeleitet. Manchmal werden Abschnitte auch nicht mehr durchblutet, weil Thromben die Gefäße verstopfen. Die Infektion führt auch zu einer Störung im Gerinnungssystem. Das erklärt, warum die Lungenfunktion manchmal innerhalb von Stunden komplett zusammenbricht. Mit teils tödlichen Folgen. Inzwischen werden die Patienten deshalb schon bei den ersten Hinweisen auf ernsthafte Atemprobleme auf die Intensivstation verlegt, in die Nähe der Beatmungsgeräte. Denn man weiß außerdem: Muss der Patient zu lange selbst um Luft kämpfen, tut das dem Organ nicht gut.
Damit ein Mensch künstlich beatmet werden kann, muss zunächst ein Tubus in die Luftröhre geschoben werden. Der Kunststoffschlauch führt entweder über den Mund oder die Nase bis hinter die Stimmritze im Kehlkopf. Er hat zum einen die Funktion, den Luftstrom direkt in die Lungen zu leiten, zum anderen verhindert der Tubus, dass Mageninhalt in die Luftröhre vordringt, was für die Lunge ebenfalls gefährlich ist.
Der Patient selbst wird von all dem wenig merken, ihm werden zuvor Betäubungs- und Schmerzmittel gegeben. Opiate, Benzodiazepine oder Narkosemittel wie Propofol sind notwendig, wenn er künstlich beatmet wird. „Eine Sedierung ist heutzutage jedoch nicht mehr automatisch mit einem tiefen Koma gleichzusetzen“sagt Roland Francis von der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Berliner Charité. Die Betäubungstiefe werde regelmäßig gemessen und so gesteuert, sodass der Patient die Zeit möglichst angst-, schmerzund belastungsfrei erlebt. Manchmal wird zusätzlich noch ein muskelentspannendes Mittel gegeben.
Der Grund: Mit dem Beginn der Beatmung diktiert die Maschine der Lunge Rhythmus und Atemzugtiefe – ohne Betäubung würde sich jeder dagegen wehren. Dies gilt gerade bei einem ARDS: Damit noch genug Sauerstoff bis ins Blut vordringt, muss das Organ intensiver belüftet werden, als es die Natur vorsieht. Die Luft, die aus dem Gerät kommt, besitzt überdies meist einen Sauerstoffanteil von bis zu 100 Prozent, normal sind 21.
Zwar überlassen es die Intensivmediziner der Lunge selbst, die Luft wieder durch ihre elastischen Kräfte loszuwerden. Zur ARDS-Therapie gehört allerdings ebenfalls, erklärt Paul Biever, ein leicht positiver Druck, der sogenannte Peep, der von der Maschine kontinuierlich in dem Organ aufrechterhalten wird – und den hat die Natur ebenfalls nicht vorgesehen. Der Grund: Bei einem akuten Lungenversagen kollabieren die Alveolen teilweise, das soll durch den Druck des Peep verhindert werden. Außerdem presst er den Sauerstoff in die Gefäße. Aus einem ähnlichen Grund werden die meisten Patienten in dieser kritischen Phase 14 bis 18 Stunden pro Tag auf den Bauch gedreht. Dadurch kann die Atemluft bis in die hintersten und untersten Bereiche des Organs vordringen und dort die Lungenbläschen offenhalten.
Im weiteren Verlauf der Therapie – die Beatmung kann 14 Tagen oder länger dauern – wird die Dosierung der Medikamente kontinuierlich herunter geregelt. Der Patient, erklärt Roland Francis, soll mit zunehmender Genesung Stück für Stück aufwachen und wieder selbst das Atmen übernehmen. Die Maschine gibt ihm nur noch so viel Unterstützung, wie benötigt wird. Später wird der Tubus dann ganz entfernt.
Manchmal gelingt es aber auch mit den modernsten Beatmungsmaschinen nicht, dem Patienten zu ausreichend Sauerstoff zu verhelfen. In solchen Fällen bleibt den Ärzten als letzter Ausweg die sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO genannt. Über die Leisten- oder Halsvene wird dabei eine Art künstliche Lunge angeschlossen, durch die das mit frischem Sauerstoff angereicherte Blut in den Körper zurückgepumpt wird. Die Lunge lässt man zu ihrem Schutz vorsichtig maschinell weiterbeatmen. Bei 33 Prozent der ARDSPatienten sei eine solche ECMO notwendig, berichteten Intensivmediziner der Uniklinik Aachen im Deutschen Ärzteblatt nach einer Analyse ihrer ersten fünfzig Covid19-Patienten. Allerdings ist das
Verfahren nicht ohne Nebenwirkungen. Die notwendige Hemmung des Gerinnungssystems erhöht zum Beispiel die Gefahr von Schlaganfällen und Blutungen.
Bei der künstlichen Beatmung versucht man, Nebenwirkungen inzwischen mit dem Konzept der sogenannten lungenprotektiven Beatmung entgegenzuwirken. Laut der
Zunächst nur Sauerstoffgabe ohne Beatmungsmaschine
Auch psychische Traumata sind zu befürchten
Leitlinie der Fachgesellschaften lässt sich bei jedem 14. Patienten aber auch damit nicht verhindern, dass das Organ Schaden nimmt. Zu große Drücke und Atemhübe überdehnen dann die Lunge, auch das führt zu einer Entzündung im Gewebe. Teilweise zerreißen sogar Alveolen.
Psychische Traumata, wie sie von langzeitbeatmeten Patienten manchmal berichtet werden, sind bei Covid-Patienten ebenfalls nicht auszuschließen. Aus diesem Grund versucht man, die Beatmung der Patienten so kurz wie möglich zu halten. Die Überlebensrate auf Intensivstationen liegt bei Corona-Kranken nach bisherigen Erfahrungen bei etwa 70 Prozent – wobei der Wert auch von den Vorerkrankungen des Patienten abhängt.