Sehnsucht nach Ordnung
Der Mensch ist nicht immer ordentlich. Aber er sehnt sich ständig nach Ordnung. Sogar in der chaotischen Corona-Zeit bemühen sich Staat und Wirtschaft um eine ordentliche Weltbetrachtung. Alles wird durchnummeriert. Begriffe wie Web 2.0, Wirtschaft 4.0 und Society 5.0 vermitteln uns die Gewissheit, dass nach Ende der Pandemie unsere Welt so geordnet sein wird wie ein Aktenschrank im Finanzamt.
Schleunigst sollten wir das Prinzip der bezifferten Ordnung in unseren Alltag übernehmen. Wem eine Sonntagstorte misslungen ist, wird eine Woche später die Torte 2.0 serviert. Wenn ein junger Mann nicht ganz so erfolgreich wie Mozarts Don Giovanni, aber mit ähnlichen Eigenschaften ausgestattet ist, bucht er zur Wahrung der Übersicht seine neueste Eroberung unter „Amore 32.0“. Nach vielfacher Überarbeitung veröffentlichen Landesregierungen ihre aktuellste Entscheidung unter der Bezeichnung „Maskenverordnung 41.0“.
Die neue Liebe zur bezifferten Ordnung wird auch unseren Alltag schöner machen. Der Schweizer Geistliche und Sozialpolitiker Bernhard Becker hat schon 1859 in seinen Anleitungen zur geordneten Lebensführung angemerkt, „daß ein reinlicher, ordentlicher Mensch auch eine unliebliche Wohnung bald zu einem freundlichen Aufenthalt umgestaltet hat und ein wüster Mensch eine schöne Wohnung bald in einen Schweinestall verwandelt“.