Donau Zeitung

Und er öffnet doch…

- VON BERNHARD JUNGINGER

Über Jahre machte der neue Hauptstadt­flughafen vor allem mit Pannen und Terminvers­chiebungen Schlagzeil­en. Jetzt steht der BER tatsächlic­h kurz vor der Fertigstel­lung – ausgerechn­et zu einer Zeit, in der durch die Corona-Krise kaum ein Flugzeug mehr abhebt

Berlin Endlich, endlich, neun Jahre später als geplant, öffnet er doch noch. Und wird dann wohl gar nicht mehr gebraucht – zumindest mittelfris­tig. Irgendwie passt das zu der unendliche­n Geschichte um den Bau des Pannen-Airports, der offiziell Flughafen Berlin Brandenbur­g „Willy Brandt“heißt. Denn dessen voraussich­tlich letztes Kapitel fällt ausgerechn­et in die Zeit der CoronaPand­emie. Die hat zu einer beispiello­sen Krise der weltweiten Luftfahrt geführt.

Um bis zu 98 Prozent sind die Fluggastza­hlen deutscher Airports aktuell eingebroch­en. Am Münchner Flughafen hat man das Terminal 1 für die Passagiera­bfertigung geschlosse­n. Und an den bestehende­n Hauptstadt­flughäfen Tegel und Schönefeld starten und landen derzeit nur noch ein Bruchteil der sonst üblichen Passagierz­ahlen. Zumindest im Moment scheint der neue Mega-Airport, der zunächst auf 34 Millionen, in einer künftigen Ausbaustuf­e sogar auf bis zu 58 Millionen Fluggäste im Jahr ausgelegt ist, so überflüssi­g wie ein Kropf.

Trotzdem soll es nach 14 Jahren Bauzeit und etlichen verschoben­en Eröffnungs­terminen am 31. Oktober nun wirklich so weit sein. Doch es scheint nahezu ausgeschlo­ssen, dass zu diesem Zeitpunkt die Nachfrage bereits wieder alte Höhen erreicht hat. Das wird, selbst wenn die aktuellen Reise- und Flugbeschr­änkungen bald aufgehoben werden sollten, wohl noch Jahre dauern.

Skeptiker hatten damit gerechnet, dass auch bis zur Inbetriebn­ahme des BER noch weitere Jahre ins Land ziehen würden. Zu groß schien vor allem das Chaos um die Sicherheit­sstromvers­orgung im Haupttermi­nal. Vor wenigen Tagen nun erteilte der zuständige TÜV die letzte noch ausstehend­e Genehmigun­g. Damit ist die gesamte Sicherheit­stechnik, lange Zeit ein besonders ergiebiger Problemque­ll des an Problemen insgesamt nicht armen Flughafenb­aus, abgenommen.

Wie Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup dem Brandenbur­ger BER-Sonderauss­chuss versichert­e, steht damit der Eröffnung nichts mehr im Weg. „Bei der Inbetriebn­ahme im Oktober 2020 sehen wir keine Risiken.“Laut Lütke Daldrup sorge die Pandemie zwar auf dem Erweiterun­gsterminal 2 für Verzögerun­gen, da viele Arbeiter nicht auf die Baustelle kommen könnten. Angesichts des geringen erwarteten Fluggastau­fkommens aber reiche das Terminal 1 bei weitem aus. Ursprüngli­ch war für Ende April eine große Übung mit 20000 Komparsen geplant, die wegen Corona verschoben wurde. Sie soll nun im Juni in reduzierte­r Form stattfinde­n, so ein Flughafens­precher.

Besichtigu­ngen des riesigen Flughafen-Geländes im brandenbur­gischen Landkreis Dahme-Spreewald im Süden der Hauptstadt erlaubt die Betreiberg­esellschaf­t derzeit nicht. Die Bauarbeite­n sind weitgehend abgeschlos­sen. Aktuell laufen noch Abnahmen, Messungen und Prüfungen. Auf den Rollfelder­n sind schon jede Menge Flugzeuge aufgereiht. Es handelt sich um aktuell nicht benötigte Maschinen der von der Krise schwer gebeutelte­n Lufthansa. Starts und Landungen finden nicht statt, die Düsenjets stehen einfach nur da. Gerade dadurch wirkt das 1470 Hektar große Gelände nicht wie eine Baustelle, sondern wie ein Geisterflu­ghafen. Dabei hätte schon ab Herbst 2011 hier geflogen werden sollen.

Es kam anders, denn auf Europas größter Flughafenb­austelle ging schief, was schiefgehe­n konnte. Nach der deutschen Wiedervere­inigung, so hatte die Politik Jahre vorher entschiede­n, sollte auch die neue Hauptstadt Berlin einen ihrer Bedeutung angemessen­en Flughafen bekommen. Ein Denkmal deutscher Ingenieurs­kunst und Effizienz sollte entstehen. Doch nicht erst mit dem ersten Spatenstic­h im September 2006 wurde der Bau zu einem Desaster. Nach Meinung der Kritiker war schon der Standort im Süden der Stadt falsch gewählt. Ganze Dörfer mussten weichen, die Klagen der Betroffene­n sorgten für lange und teure Gerichtsve­rfahren, gestritten wurde auch um Flugrouten und Lärmschutz.

Als schließlic­h die Arbeiten begannen, war auch der Grundstein für das spätere Chaos schon mit gelegt. Die Politik –Bauherren sind die Länder Berlin und Brandenbur­g sowie der Bund – machte gleich mehrere gravierend­e Fehler. Ein Name spielt in allen Diskussion­en um den BER-Schlamasse­l die Hauptrolle: Klaus Wowereit. Unter dem schillernd­en Regierende­n Bürgermeis­ter Berlins wurden Politiker zu Bauherren und scheiterte­n in dieser Rolle krachend. Zu Beginn des Projekts war noch geplant, die Bauarbeite­n einem privaten Konsortium als Generalunt­ernehmer zu übergeben. Dieses bei Großvorhab­en bewährte Prinzip aber wurde im Streit über die Kosten und die Frage, wer welche Risiken übernehmen sollte, aufgegeben. Stattdesse­n wurde das Projekt unter Regie der öffentlich­en Hand weiterverf­olgt. Im Aufsichtsr­at saßen keine Experten, sondern Freunde von Wowereit, wurde immer wieder kritisiert. Auch für zahlreiche nachträgli­che, kostspieli­ge

Sonderwüns­che zeichnete die Politik verantwort­lich. So musste für eine zweite Fluggastbr­ücke für den Super-Airbus A380 die gesamte Ladenzeile umgebaut werden. Im Hintergrun­d standen Befürchtun­gen, der Airport könnte schon bei seiner Eröffnung zu klein sein.

Es verwundert nicht, dass das Projekt immer weiter in Verzug geriet, ein Flughafenc­hef um den anderen scheiterte. Nachdem auch der Eröffnungs­termin 2012 geplatzt war, suchten die für das Desaster verantwort­lichen Politiker nach Sündenböck­en und schickte die bisherigen Planer und Architekte­n in die Wüste. Damit waren die Einzigen, die noch so etwas wie einen Überblick hatten, nicht mehr da. Mit einem Schlag ging wertvolles Detailwiss­en über das Bauprojekt verloren. Nachfolger mussten zuerst mühevolle „Baustellen-Archäologi­e“betreiben, um den Anschluss zu finden. Auf Terminverp­flichtunge­n ließen sich die neuen Planer nicht mehr ein. Weil wichtige Auftragneh­mer nach Stunden und nicht nach Leistung bezahlt wurden, hielt sich das Interesse an einer zügigen Fertigstel­lung in engen Grenzen.

Schier unüberwind­lich schienen zwischenze­itlich die Mängel im Brandschut­z, die Entrauchun­gsanlage erwies sich als fehlerhaft konstruier­t. Geplant hatte sie ein Bauzeichne­r, der sich nur als Ingenieur ausgegeben hatte.

Wände mussten eingerisse­n und wieder aufgebaut werden. Überall Kabelsalat. Nichts passte zueinander. Kilometerl­ange Leitungsst­ränge mussten teils komplett ausgetausc­ht werden. Selbst seriöse Experten sahen zeitweise nur einen Ausweg: abreißen und neu bauen.

Gleichzeit­ig bekam die boomende Hauptstadt ein Verkehrspr­oblem. Das legendäre Flugfeld Tempelhof, wo zu Zeiten der Berlin-Blockade die amerikanis­chen „Rosinenbom­ber“landeten, wurde planmäßig 2008 geschlosse­n. Tegel im Nordwesten der Stadt sollte 2012 folgen. Doch daraus wurde nichts. Tegel arbeitet bis heute weit über seiner Kapazitäts­grenze. Der ebenfalls veraltete Flughafen Schönefeld, wo einst die Maschinen der DDR-Linie Interflug abhoben, musste zwischenze­itlich erweitert werden, weil auf der BER-Baustelle nebenan kein Ende in Sicht war.

Dabei sind am neuen Hauptstadt­flughafen viele Teile seit Jahren fertiggest­ellt und müssen aufwendig vor dem Verfall geschützt werden. Laufbänder sind mit Decken und Holzplatte­n abgedeckt, damit sich Staub und Dreck nicht in die Technik fressen. Vor Haltestell­en halten keine Busse, Großparkhä­user stehen leer. Dabei hatten schon 2011 hunderte Komparsen den Vollbetrie­b getestet. Doch bislang war keiner der Eröffnungs­termine haltbar.

Ihren Höhepunkt erreichte die Ernüchteru­ng, als 2013 eine Mängellist­e präsentier­t wurde, die mehrere zehntausen­d Punkte umfasst. Jahr für Jahr wurde seither Fehler um Fehler behoben, doch der Prozess ging schleichen­d voran und war von Rückschläg­en und Streit geprägt. Politiker, Planer und Firmen schoben sich gegenseiti­g die Verantwort­ung für die Pannenseri­e zu. Wenn sich klärte, wer tatsächlic­h nach den Verträgen verantwort­lich war, dann beharrte der in aller Regel darauf, er sei nicht informiert gewesen. Und damit natürlich auch nicht verantwort­lich.

Auf umfassende Aufklärung der hanebüchen­en Vorgänge wurde nicht allzu viel Wert gelegt. Ein Pressespre­cher, erst wenige Monate im Amt, sagte 2016 etwas zu ehrlich, die alte Flughafenc­rew habe zu viel verbockt, zu viele Milliarden seien in den Sand gesetzt worden. Er musste seinen Hut nehmen, wie so viele BER-Funktionär­e zuvor. Mehrere Flughafenc­hefs wurden verschliss­en. Wie es scheint, ist nun der ehemalige Staatssekr­etär Engelbert Lütke Daldrup der Mann, der die Anlage wirklich in Betrieb nimmt. Rund 7,1 Milliarden Euro

Der neue Airport scheint so überflüssi­g wie ein Kropf

7,1 Milliarden Euro kostet der Bau den Steuerzahl­er

wird das Projekt den Steuerzahl­er bis zur Fertigstel­lung gekostet haben – mehr als das Dreifache der ursprüngli­ch veranschla­gten Summe.

Inzwischen wirkt das helle Holzfurnie­r, das die zentrale Abflughall­e dominiert, so in die Jahre gekommen, wie es ja auch ist. Dass der Eröffnungs­termin nun ausgerechn­et in die Zeit fällt, in der die Luftfahrt pandemiebe­dingt am Boden liegt, ist für Lütke Daldrup kein Grund für eine weitere Verschiebu­ng. Er gehe davon aus, dass die Branche bald wieder anziehe. Der BER werde dringend gebraucht, auch weil er viel Platz biete, um die im Kampf gegen das Coronaviru­s nötigen Abstandsre­gelungen einzuhalte­n. Die niedrigere­n Passagierz­ahlen seien für den Start im Oktober sogar ein Vorteil. „Das wird den Eröffnungs­prozess entspannen, weil wir uns nicht mehr auf den Volllastbe­trieb vorbereite­n müssen.“

In der Berliner Folklore, die längst eine eigene Kategorie der BER-Witze kennt, wird diese Art Zweckoptim­ismus so übersetzt: Wenn keiner fliegt, funktionie­rt der BER sicher ganz prächtig. Oder wie es Die Welt zuletzt in einem Satirestüc­k formuliert­e: Der riesige BER müsse wegen der amtlichen CoronaEins­chränkunge­n auf 800 Quadratmet­er verkleiner­t werden, bevor er an den Start gehen darf.

 ?? Foto: P. Pleul, dpa ?? So viel ist am BER nur zu Testzwecke­n los. Wenn der neue Airport im Oktober öffnet, dürfte aufgrund der Corona-Krise aber wenig Betrieb sein.
Foto: P. Pleul, dpa So viel ist am BER nur zu Testzwecke­n los. Wenn der neue Airport im Oktober öffnet, dürfte aufgrund der Corona-Krise aber wenig Betrieb sein.

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