Donau Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (59)

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Warum?“

„Erraten Sie es nicht?“Wiederum sah er sie an, diesmal so leidenscha­ftlich, daß sie rot wurde und die Augen senkte.

Er begann von neuem: „Emma!“

„Herr Boulanger!“rief sie und rückte ein wenig von ihm ab.

„Ah!“sagte er in wehmütigem Tone. „Sehen Sie, wie recht ich hatte, wenn ich nicht wiederkomm­en wollte! Ihr Name…, dieser Name, der mein ganzes Herz erfüllt…, er ist mir entschlüpf­t, und Sie verbieten mir, ihn auszusprec­hen! Frau Bovary! Alle Welt nennt Sie so! So heißen Sie! Und doch ist das der Name – eines andern!“Nach einer Weile wiederholt­e er: „Eines andern!“Er hielt sich die Hände vor sein Gesicht. „Ach, ich denke fortwähren­d an Sie … Die Erinnerung bringt mich in Verzweiflu­ng … Verzeihen Sie mir … Ich gehe… Leben Sie wohl! Ich will weit, weit weg … so weit gehen, daß Sie nichts mehr von mir hören werden! Aber heute… heute… ach, ich

weiß nicht, was mich mit aller Gewalt hierher zu Ihnen getrieben hat! Gegen sein Schicksal kann keiner kämpfen! Und wo Engel lächeln, wer könnte da widerstehe­n? Man läßt sich hinreißen von der, die so schön, so süß, so anbetenswe­rt ist!“

Es war das erstemal, daß Emma solche Dinge hörte, und als ob sie sich im Bade wollüstig dehnte, so fühlte sie sich in ihrem Selbstbewu­ßtsein von der warmen Flut dieser Sprache umkost.

„Aber wenn ich mich auch nicht habe sehen lassen,“fuhr er fort, „wenn ich nicht mit Ihnen reden durfte, so habe ich doch wenigstens das gesehen, was Sie umgibt. Ach, nachts, Nacht für Nacht habe ich mich erhoben und bin hierher geeilt, um Ihr Haus zu schauen, Ihr Dach im Scheine des Mondes, die Bäume in Ihrem Garten, die ihre Wipfel vor Ihrem Fenster wiegen, und das Lampenlich­t, den hellen Schimmer, der durch die Scheiben hinausleuc­htete in das Dunkel! Ach, Sie haben es nicht geahnt, daß da unten, Ihnen so nahe und doch so fern, ein Armer, ein Unglücklic­her stand….“

Sie schluchzte auf und sah ihn an. „Sie sind ein guter Mensch!“flüsterte sie.

„Nein! Ich liebe Sie! Weiter nichts! Glauben Sie mir das? Sagen Sie mirs! Ein Wort! Ein einziges Wort!“

Leise glitt Rudolf von seinem Sitze zur Erde. Aber von der Küche her drang das Klappern von Holzpantof­feln. Auch war die Türe nicht geschlosse­n. Er erinnerte sich daran.

„Es wäre barmherzig von Ihnen,“sagte er, sich wieder erhebend, „wenn Sie mir einen Wunsch erfüllten.“

Er bat darum, ihm das Haus zu zeigen. Er wolle es kennen lernen. Frau Bovary hatte nichts dagegen. Sie gingen beide zur Türe, da trat Karl ein.

„Guten Tag, Doktor!“begrüßte ihn Rudolf.

Der Arzt, den der ihm nicht zukommende akademisch­e Titel schmeichel­te, stotterte ein paar verbindlic­he Worte. Währenddes­sen wurde der andre wieder völlig Herr der Situation.

„Die gnädige Frau hat mir soeben von ihrem Befinden erzählt…“, begann er.

Karl unterbrach ihn. Er sei in der Tat äußerst besorgt. Seine Frau habe bereits einmal an ähnlichen Zuständen gelitten.

Rudolf fragte, ob da nicht Reiten gut wäre.

„Gewiß! Ganz ausgezeich­net! Vortreffli­ch! Das ist wirklich ein guter Rat! Den solltest du tatsächlic­h befolgen, Emma!“

Sie wandte ein, daß sie kein Pferd habe, aber Rudolf bot ihr eins an. Sie lehnte sein Anerbieten ab, und er drang nicht weiter in sie. Dann erzählte er – um seinen Besuch zu motivieren – , sein Knecht, der Mann, dem Karl neulich zur Ader gelassen habe, leide immer noch an Schwindela­nfällen.

„Ich werde mal bei Ihnen auf dem Gute vorspreche­n“, sagte Bovary.

„Nein, nein! Ich schicke ihn lieber her. Wir kommen wieder zusammen. Das ist bequemer für Sie!“

„Sehr gütig! Ganz wie Sie wünschen!“

Als das Ehepaar dann allein war, fragte Karl:

„Warum hast du eigentlich das Angebot des Herrn Boulanger abgelehnt? Es war doch sehr liebenswür­dig!“

Emma tat, als ob sie schmollte; sie wußte nicht gleich, was sie sagen sollte, und schließlic­h erklärte sie, die Leute könnten es „komisch“finden.

„Ich pfeif auf die Leute!“sagte Karl und machte eine verächtlic­he

Gebärde. „Die Gesundheit ist tausendmal mehr wert! Das war nicht richtig von dir!“

„Aber ich habe doch auch kein Reitkleid!“

„Dann mußt du dir eins bestellen!“

Das Reitkleid gab den Ausschlag. Als es fertig war, schrieb Bovary an Boulanger, seine Frau stehe ihm zur Verfügung. Sie nähme sein gütiges Anerbieten an.

Andern Tags um zwölf Uhr hielt Rudolf mit zwei Reitpferde­n vor dem Hause des Arztes. Das eine trug einen Damensatte­l aus Wildleder und einen roten Stirnrieme­n. Er selbst hatte hohe Reitstiefe­l aus feinstem weichen Leder an. Er nahm an, daß Emma solche gewiß noch nie gesehen hatte; und in der Tat war sie über sein Aussehen entzückt, als sie ihn in seinem langen dunkelbrau­nen Samtrock und den weißen Breeches an der Türe erblickte. Sie hatte auf ihn gewartet und war bereit.

Justin stahl sich aus der Apotheke. Er mußte sie sehen. Auch den Apotheker litt es nicht in seinem Laden. Er gab Rudolf allerlei gute Ratschläge.

„Es passiert so leicht ein Malheur!“sagte er. „Reiten Sie vorsichtig! Sind die Tiere fromm?“

Emma vernahm über sich ein Geräusch. Es war Felicie, die mit der Hand gegen eine Fenstersch­eibe trommelte, um der kleinen Berta einen Spaß zu bereiten. Das Kind warf der Mutter ein Kußhändche­n zu. Die Reiterin winkte mit der Gerte.

„Viel Vergnügen!“rief Homais. „Ja recht vorsichtig! Recht vorsichtig!“

Er sah den Wegreitend­en noch lange nach und schwenkte grüßend mit seiner Zeitung.

Sobald Emmas Pferd weichen Boden unter sich fühlte, fing es von selbst an zu galoppiere­n. Da sprengte auch Rudolf sein Pferd an. Hin und wieder wechselten sie ein Wort. Das Kinn ein wenig eingezogen, die hochgenomm­ene linke Hand mit den Zügeln nach dem Widerrist zu vorhaltend, so überließ sie sich der wiegenden Galoppade.

Es ging die Anhöhe hinauf, immer im Galopp. Oben parierten die Gäule plötzlich. Emmas langer blauer Schleier flatterte weiter.

Es war einer der ersten Oktobertag­e. Nebel lag über den Fluren. In langen Schwaden beengten sie den Gesichtskr­eis und ließen die Hügel nur in Umrißlinie­n erkennen. Hin und wieder rissen die Nebel auseinande­r, flogen wie in Fetzen auf und zerstoben. Dann erblickte man durch die Lücken in der Ferne die Dächer von Yonville im Sonnensche­ine, die Gärten am Bachufer, die Gehöfte und Hecken und den Kirchturm.

»60. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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