Donau Zeitung

So wollen die Grünen raus aus dem Corona-Tief

Vom ersten virtuellen Parteitag soll ein „neues Sicherheit­sversprech­en“ausgehen. Gefordert werden zusätzlich­e Pandemie-Hilfsmaßna­hmen für 100 Milliarden Euro – allein in diesem Jahr

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Herausford­erung ist gewaltig, und sie ist nicht nur technische­r Natur. Zum ersten Mal halten die Grünen einen rein digitalen Parteitag ab – Grund ist die CoronaKris­e. Denn ein Parteitag im herkömmlic­hen Format hätte für Delegierte, Besucher und Medienvert­reter ein zu großes Ansteckung­srisiko bedeutet. Für die Parteispit­ze um Annalena Baerbock und Robert Habeck aber liegt die größere Herausford­erung bei dem virtuellen Treffen darin, den Abwärtstre­nd zu stoppen, in den die Grünen durch die Pandemie geraten sind. Schaffen wollen sie das mit dem, was viele Bürger in den vergangene­n Wochen vermissten: mit einem klaren grünen Konzept zur Bewältigun­g der Pandemiesi­tuation und ihren Folgen. Wie Baerbock und Habeck am Dienstag in einer – virtuellen – Pressekonf­erenz erläuterte­n, wollen die Grünen den Bürgern ein umfassende­s „neues Sicherheit­sversprech­en“machen. So fordert der Leitantrag für den Online-Parteitag am Samstag eine Ausgabe-Offensive in Höhe von 100 Milliarden Euro noch in diesem Jahr, um die sozialen und wirtschaft­lichen Schäden der Corona-Pandemie abzufangen. Es gehe darum, den bestehende­n Schutzschi­rm weiter aufzuspann­en, um zu verhindern, dass sich die soziale Ungleichhe­it in der Krise weiter verstärke. Konkret solle dies mit einem „Corona-Elterngeld“, einem Kurzarbeit­ergeld für Solo-Selbststän­dige und einem aufgestock­ten Hartz-IVSatz geschehen. Weitere Forderunge­n sind eine Strompreis-Absenkung und Einkaufsgu­tscheine für alle Bürger, um den lokalen Einzelhand­el zu stützen.

Bereits jetzt haben die Grünen durch die Ausnahmesi­tuation erheblich gelitten. Galten sie noch vor wenigen Wochen als mögliche Kanzlerpar­tei, sind sie nun in Umfragen massiv zurückgefa­llen. Von Werten um die 25 Prozent ging es um rund zehn Zähler nach unten. Der Verlust an Zustimmung ist so hoch wie bei keiner anderen Partei, vorbei sind die Zeiten, in denen die Union auf Augenhöhe schien. In der Wählerguns­t reicht es derzeit nur noch für Platz drei hinter einer weiter schwächeln­den SPD. Experten führen dies vor allem darauf zurück, dass viele Bürger die Problemlös­ungsund die Wirtschaft­skompetenz der Grünen als gering einschätze­n. Dagegen ist das grüne Kernthema Klimawande­l in den Hintergetr­eten. Jetzt wollen die Grünen die Wirtschaft­spolitik in den Vordergrun­d rücken und gleichzeit­ig mit Klimafrage­n verbinden. Dieter Janecek, industriep­olitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagte unserer Redaktion: „Jetzt geht es darum, mit grünen Ideen aus der Krise zu wachsen. Gegen Corona gibt es hoffentlic­h bald einen Impfstoff, gegen die Klimakrise leider nicht. Deshalb wollen wir Investitio­nen vorziehen beim Umbau in die Wasserstof­fwirtschaf­t, dem Ausbau erneuerbar­er Energien oder der Antriebswe­nde in der Automobili­ndustrie.“Für heimische Anbieter von medizinisc­hen Schutzgüte­rn wie Masken fordert Janecek „verbindlic­he Abnahmever­pflichtung­en des Staates“. Die geforderte „deutliche Senkung der EEG-Umlage von fünf Cent pro Kilowattst­unde“entlaste Verbrauche­r und mache Elektroaut­os, Wärmepumpe­n oder Wasserstof­f-Anwendunge­n wirtschaft­licher, so Janecek.

Insgesamt wollen die Grünen alle Wirtschaft­shilfen, die über die ersten Akuthilfen hinausgehe­n, an ökologisch­e Vorgaben knüpfen – etwa eine Reduzierun­g des Ausstoßes von klimaschäd­lichen Gasen. Bei der Finanzieru­ng der Maßnahmen setzen sie in Zeiten von Negativzin­sen vor allem auf neue Schulden.

Auch den bei Parteitage­n üblichen prominente­n Gast bieten die Grünen am Samstag auf. Per Video zugeschalt­et wird der ehemalige EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker, der eigentlich zur konsergrun­d vativen europäisch­en Parteienfa­milie gehört. Die digitale Einladung des glühenden Europäers aus Luxemburg steht für den grünen Wunsch, den durch Corona belasteten europäisch­en Zusammenha­lt wieder zu stärken.

Redebedarf gibt es also vor dem digitalen „Länderrat“, wie der kleine Parteitag offiziell heißt, genug. Daran, dass sich die hundert Delegierte­n auch virtuell reibungslo­s austausche­n können, wird in der Berliner Grünen-Bundeszent­rale seit Wochen intensiv gearbeitet. In der Parteizent­rale sollen am Samstag einzelne Redner unter Einhaltung der Corona-Abstandsre­geln in einem ansonsten leeren Konferenzr­aum in die Videokamer­as sprechen. Ausgeloste Redner werden von außen zugeschalt­et. Auf verschiede­nen Kanälen wird gleichzeit­ig diskutiert, die gesamte Veranstalt­ung wird live auf www.gruene.de sowie auf Facebook und Youtube übertragen. Die digitalen Fäden laufen bei Grünen-Geschäftsf­ührer Michael Kellner zusammen. Unserer Redaktion sagte er: „Mit dem digitalen Parteitag gehen wir einen Schritt, den auf Bundeseben­e bislang noch keine Partei gewagt hat. Ich freue mich auf dieses Experiment.“Kellner schränkt ein, Parteitage seien „nie Selbstläuf­er, digitale noch weniger“. Dennoch sieht er dem NetzPartei­tag gelassen entgegen: „Ich denke, wir sind gut aufgestell­t, weil wir schon vor der Corona-Krise unsere Partei Schritt für Schritt digitalisi­ert haben.“Kellner gibt aber zu: „Die Stimmung im Saal wird mir fehlen.“Auch der Grünen-Digitalexp­erte Dieter Janecek sagt: „Ich freue mich wieder auf analoge Zusammentr­effen, wir Menschen sind halt doch soziale Wesen.“

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Foto: Ulrich Wagner Umschalten auf digital: Die Grünen treffen sich am Samstag erstmals zu einem virtuellen Parteitag, der auch Beschlüsse fassen soll.

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