Donau Zeitung

Bissinger Altenpfleg­erin: „Wir haben Hoffnung“

Die Situation in der Pro-Seniore-Einrichtun­g ist furchtbar. Mehr als ein Dutzend Senioren sind bereits verstorben. Trotzdem muss das tägliche Leben dort weitergehe­n. Das klappt – dank der Mitarbeite­r

- VON SIMONE BRONNHUBER

Bissingen Alle gratuliere­n und es gibt sogar ein Ständchen. Trotzdem ist dieser Geburtstag, den eine Seniorin im Bissinger Pro Seniore diese Woche erlebt, anders als all die Jahre zuvor. Die lieben Enkel dürfen die Oma nicht besuchen und es gibt kein Kaffeekrän­zchen mit der Familie im Aufenthalt­sraum oder im Garten. Und die herzlichen Umarmungen bleiben auch aus. Alles verboten – aus Sicherheit­sgründen. Seit fast vier Wochen herrscht in der Einrichtun­g im Kesseltal Ausnahmezu­stand. Das Coronaviru­s hat sich rasend schnell im Heim verbreitet, viele Bewohner und Mitarbeite­r haben sich angesteckt. Und Stand Dienstag sind 16 Senioren an den Folgen von Covid-19 verstorben. Die schlechten Nachrichte­n aus dem Kesseltal haben sich in den vergangene­n Tagen nur so überschlag­en. Deshalb hatte eine Mitarbeite­rin die Idee, den Senioren eine Freude zu machen und organisier­te die Augsburger Pianistin Ivana Sousek. Mehr als eineinhalb Stunden spielte sie an diesem Tag an unterschie­dlichen Stellen auf dem Gelände rund um die Einrichtun­g Lieder. „Unsere Bewohner haben die Fenster aufgemacht und sich sehr gefreut“, erzählt sie. Besonders die ältere Dame, die Geburtstag hatte. Denn das erste Lied war nur ihr gewidmet.

Wer an diesem Nachmittag mit dem Fahrrad am Heim vorbeigefa­hren ist oder beim Supermarkt gegenüber einkaufen war, der hat das Ständchen gehört. Auch Lydia*. Sie hat sogar zugeschaut. Sie ist seit zwei Jahren als Altenpfleg­erin in der Bissinger Einrichtun­g tätig. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Sie wohnt in einem kleinen Dorf, erzählt sie. Dort würden die meisten zwar wissen, dass sie in der Bissinger Einrichtun­g arbeitet – trotzdem will sie anonym bleiben. „Ich will einfach nicht ständig darauf angesproch­en werden“, sagt sie. Darauf, dass im Pro Seniore seit fast einem Monat das Coronaviru­s grassiert und nicht in den Griff zu bekommen ist. Immer noch meldet das Dillinger Gesundheit­samt, dass es im Heim neue Infizierte gibt. Der Höhepunkt scheint nicht erreicht. Trotz der extremen Maßnahmen: Bewohner werden strikt voneinande­r getrennt, es sind Pandemiezo­nen eingericht­et, ständig finden Gesundheit­schecks statt.

Auch das Interview mit Altenpfleg­erin Lydia* findet vor der Tür im Freien statt. Bis zu den zwei Bänken vor dem Eingang kommt man nur, wenn man an einer kleinen Klingel, die an einem Bauzaun angebracht ist, kräftig klingelt. Statt schöner Bluse ist Lydia* mit einem gelben Kittel, Handschuhe­n und Maske ausgestatt­et. Diese Arbeitserz­ählt sie, ist mittlerwei­le normal. „Wir haben uns sofort von Anfang an alle an die Hygienevor­schriften gehalten und versuchen wirklich alles, um das Virus zu bekämpfen. Wir geben alles“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Mehr könnten sie und ihre Kollegen nicht tun. Und dabei machen sie alle schon mehr als genug. Alltagshel­den in der Altenpfleg­e, wie sie auch Ministerpr­äsident Markus Söder nennt, gibt es im Bissinger Heim viele. Lydia* ist eine davon. Sie schildert: „Alle Mitarbeite­r kommen überpünktl­ich, jeder hilft jekleidung, dem und bleibt bei Bedarf länger. Viele haben sogar auf Urlaub verzichtet.“Sie selbst auch.

Die tägliche Arbeit habe sich in der Einrichtun­g nicht grundlegen­d geändert, sagt sie. Die Umstände dagegen schon und es gibt einen anderen Bedarf. „Mittlerwei­le nimmt die Betreuung unserer Bewohner noch mehr Zeit in Anspruch. Wir ersetzen ihre Familien. Nur mit uns können sie reden. Sie brauchen unsere Ansprache.“Hinzu komme die ständige Überwachun­g der Gesundheit. Wer hat welche Symptome oder nicht? Was ist normal, was nicht? Dann das tägliche Bangen. Darum, dass es keine neuen Ansteckung­en mehr gibt. Und darum, dass kein Bewohner mehr an den Folgen des Coronaviru­s sterben muss. Lydia* blickt auf die Eingangstü­r. Sie versucht, die richtigen Worte zu finden. Ihre Stimme wird ein wenig leiser, als sie sagt: „Wir sind nicht nur Mitarbeite­r. Jeder von uns hat einen persönlich­en Bezug zu den Bewohnern. Einen zu verlieren, ist auch für uns schwer.“

Nicht zu vergessen: die eigene Gesundheit. Vier mal wurde Lydia* bereits getestet. Das Warten auf das Ergebnis sei alles andere als angenehm. Vier mal negativ. „Ich habe keine Angst. Ehrlich nicht. Wir halten alle Schutzmaßn­ahmen ein und sind gut ausgerüste­t“, betont sie immer wieder. Dennoch musste auch sie schon aus Sicherheit­sgründen zuhause bleiben, viele Kollegen sind in Quarantäne. Und natürlich komme der ein oder andere Mitarbeite­r an Grenzen. Vor allem emotional. Regelmäßig, erzählt die Fachkraft, kommt ein Seelsorger ins Haus und ist für das Personal da. Auch sie selbst habe dieses Angebot schon in Anspruch genommen. „Das tut gut und man schöpft neue Kraft“, sagt sie. Denn, und das ist Lydia* im Interview besonders wichtig, die Arbeit als Altenpfleg­erin mache Spaß. Trotzdem. Es sei die tägliche Abwechslun­g und der Kontakt zu den Menschen. Auch wenn das aktuell unter erschwerte­n Maßnahmen stattfinde. „Wir bleiben positiv und wir lachen auch mal. Denn wir haben Hoffnung. Auf jeden Fall.“

OKünstler, die den Bissinger Senioren eine musikalisc­he Freude vor dem Gebäude machen wollen, können sich in der Einrichtun­g melden.

* Der Name Lydia ist frei von unserer Redaktion erfunden und steht in keinem Zusammenha­ng mit den genannten Personen im Artikel.

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Fotos: Schweyer, Bronnhuber Trotz Maske ist zu erkennen, dass Betreuerin Sabine Schiele (links) und Seniorin Monika Zechmeier lächeln. Ein Bild, das gerade in der jetzigen Zeit im Bissinger Pro-Seniore-Heim Hoffnung machen soll.
 ??  ?? Der Eingang im Pro Seniore in Bissingen ist mit Bauzäunen abgesperrt. Zwei Bänke – mit Abstand – stehen vor der Tür.
Der Eingang im Pro Seniore in Bissingen ist mit Bauzäunen abgesperrt. Zwei Bänke – mit Abstand – stehen vor der Tür.
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Pianistin Ivana Sousek spielte vor dem Bissinger Heim.

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