„Der schmerzhafteste Punkt war das Krankenhauswesen“
Georg Barfuß saß 42 Jahre im Kreistag. Ein Thema hat ihn nie losgelassen. Es sei heute noch ein Riesenproblem
Welche Erinnerungen nehmen Sie aus Ihrer Kreistagszeit mit? Positive wie negative.
Georg Barfuß: Kommunalpolitiker zu sein, ist gelebte und direkte Demokratie. Das macht es so wertvoll und spannend. Die Kollegialität und der Respekt zwischen den Kreisräten untereinander haben mich sehr beeindruckt; unter den Landräten habe ich mich stets ernstgenommen gewusst. Außerdem waren und sind die überwiegende Mehrheit aller Mitarbeiter in unserem Landratsamt stets höflich, hilfsbereit. Unter diesen Gegebenheiten war ich gerne Kreisrat und Fraktionsvorsitzender.
Welchen Erfolg schreiben Sie sich auf die Fahnen?
Barfuß: Niemand soll sich einbilden, im „Alleingang“was entschieden zu haben. Es gibt 60 Kreisrätinnen und Kreisräte sowie einen Landrat. Aber ich habe mitgeholfen, überwiegend mit dem Kollegen Winter, den Straßenbau voranzutreiben; ebenso die Aufstufung der Dillinger Klinik zum Akademischen Krankenhaus. Ferner zusammen mit Dr. Dietrich und dem Kollegen Bürgermeister Reißler die Sanierung der ehemaligen Synagoge in Binswangen und die Ausgrabungen am Apollo-Grannus-Tempel in Faimingen. Und nicht zuletzt: Zusammen mit dem Kollegen Zengerle haben wir den Berufsschulen einen mächtigen Schub verleihen können, der bis zur Stunde anhält. Und unserem stellvertretenden Landrat Alfred Schneid danke ich für seine „hohe Diplomatie“. Besonders gern war ich als „Müllrat“einer der Vertreter des Landkreises Dillingen im Abfallwirtschaftsverband Nordschwaben in Donauwörth.
Welche Entscheidung aus all den Jahren ärgert Sie heute noch oder halten Sie heute noch für falsch?
Barfuß: Der für mich schmerzhafteste und ärgerlichste Punkt der letzten 42 Jahre ist das Krankenhauswesen. Hier wurde und wird nicht nach der Logik der Medizin und der Wirtschaftlichkeit gehandelt, sondern ausschließlich nach Kriterien des Regionalproporzes und der möglichen Wiederwahl, also politisch. Kreisrat Wölz, der einzige Kollege, der in Sachen Krankenhaus gemeinsam mit mir versucht hat, Rationalität statt Emotion in die Krankenhausdebatte zu bringen, schätzte die falsche Krankenhausstruktur verantwortlich für bis zu Zweidrittel unserer Schulden. Der neue Kreistag wird sich damit befassen müssen, denn das Geld, das wir hier ausgeben für Verluste, nicht für Investitionen, fehlt: bei den Schulen, im Straßenbau oder für die Schuldentilgung. Man wird zwar jetzt die Corona-Pandemie als Totschlagargument bringen, doch die Gesetze der Mathematik lassen sich auch durch Covid-19 nicht beseitigen. Wir hatten schon vor der Pandemie kaum einen Spielraum für Tilgung; und die Lust, dies zu tun, hielt sich auch in Grenzen. So dürfte der höchste Satz für Kreisumlagen in Schwaben weiterhin im Landkreis Dillingen erhoben werden, und Dillingen weiterhin der höchst verschuldete Landkreis in Schwaben und einer der höchst verschuldeten in Bayern bleiben.
Was wünschen Sie dem neuen Gremium?
Barfuß: Unsere Gesellschaft neigt ja dazu, sich immer nur mit einem Thema auseinanderzusetzen. Derzeit ist es zu Recht Corona. Zuvor war es das Klima, 2015 die Flüchtlinge. Irgendwann BSE, die Vogelgrippe und Waldsterben. Reflexhaft wird dann jeweils aus der Situation heraus gehandelt. Monate und Jahre später ist das Problem vorbei, aber die Haushaltsstellen bleiben – und damit die Belastungen für den Haushalt. Wir müssen langfristig denken und versuchen, die Bürger von unserer Arbeit zu überzeugen und auf „Schnellschüsse“verzichten.
Welche Tipps haben Sie für neue Kreisräte?
Barfuß: Ich würde grundsätzlich empfehlen, langfristig zu denken und ehrlich zu sein. Hilfreich ist vielleicht die Überlegung: „Würde ich diesen Beschluss auch so treffen, wenn es mein privates Geld wäre?“Konstruktive Kritik, helfendes Mitdenken und eine Portion Gelassenheit, gepaart mit Humor, waren konstitutiv für meine Arbeit. Deshalb wünsche ich mir eine ähnliche Haltung für die Kollegen, und dass sie dabei dennoch offen und interessiert für die Angst der Menschen sind und sich in deren Lage einfühlen und mitfühlen. Das ist kein Widerspruch.
Welche Aufgaben halten Sie für die drängendsten?
Barfuß: Das was begonnen wurde, sorgsam zu Ende zu führen, Schulen, Straßen, Kultur, Soziales sind Standardaufgaben. Wichtig ist vor allem aber, die beiden Krankenhäuser neu einander zuzuordnen! Sobald der Ausnahmezustand mit Corona einigermaßen abzusehen ist, muss sofort die Koronar-Abteilung von Wertingen an das Dillinger Haus. Die Innere in Dillingen und diese Abteilung gehören in eine Hand. Damit Wertingen nicht der Verlierer ist, muss dort, zusätzlich zu den operativen Fächern, beginnend mit 20 Betten, eine Rehaklinik aufgebaut werden. Burgau muss als Vorbild dienen. Ferner sollte am Dillinger Krankenhaus eine Geriatrie und eine entsprechende Palliativmedizin vorgehalten werden. Die Propaganda gegen „privates Geld“verfängt nicht, denn auch jetzt sind private Gelder in Dillingen investiert; und für Wertingen will Landrat Schrell ja einen Campus, der „privat finanziert“werden soll; denn wir haben das Geld nicht. Der neue Kreistag sollte sich deshalb an der medizinischen Sachlogik orientieren.
Hätten Sie eine Lösung für die hohen Schulden des Landkreises?
Barfuß: Ohne eine Änderung der Krankenhausstruktur des Landkreises sehe ich keine Chance, von den hohen Schulden des Landkreises wieder herunterzukommen. Es muss gehandelt werden, sonst gefährden wir unsere beiden Häuser.
Wie genießen Sie ab Mai die neu gewonnene Zeit?
Barfuß: Nachdem ich schon längere Zeit pensioniert und durch meine Krankheit ohnehin in einer Art „Hausarrest“bin, ändert sich für mich nicht viel. Statt mich aktiv einzubringen, werde ich künftig ein freundlicher und interessierter Beobachter des gesellschaftlichen und politischen Lebens in unserer nordschwäbischen Heimat sein.
Wo sehen Sie sich persönlich in fünf Jahren? Haben Sie besondere Wünsche? Barfuß: Das überlasse ich getrost unserem Herrgott. Natürlich wünsche ich mir, dass er mich noch ein paar
Jährchen mit und bei meinen Lieben leben lässt.
Und wie wird der Landkreis dann dastehen?
Barfuß: Wir werden weiterhin mit einer alarmierenden Knappheit unserer finanziellen Mittel befasst sein.
Wird die Corona-Krise die LandkreisPolitik auf Jahre beeinflussen und wichtige Projekte zunichtemachen? Barfuß: Zu diesem Thema kann man nur spekulieren. Nehmen wir an, wir schaffen in den nächsten Wochen oder Monaten den Ausstieg aus dem Corona-Modus, selbst dann werden wir mit einer mittleren Rezession für unsere Volkswirtschaft leben müssen. Daraus ergibt sich, dass die Verteilungsspielräume an finanziellen Mitteln um ein Vielfaches kleiner sein werden. Es werden die zusätzlichen gigantischen Kosten für die Corona-Krise sein, die dem Kreistag verdeutlichen werden, wie gewaltig dieses Virus war. Es wäre sozusagen ein Kreistag im Leerlauf. Sollte es zu einer schweren Rezession kommen, ist es ähnlich wie nach einem verlorenen Krieg: Wir müssen alle komplette Abstriche machen von unseren bisherigen Gewohnheiten. Vieles kann aber durch menschliche Wärme, Solidarität und gegenseitige Hilfe wieder ausgeglichen werden, denn das Leben geht auch dann immer weiter. Und wir Menschen werden uns wieder auf das Wesentliche und vielleicht auch das Religiöse besinnen? Egal, wie es kommt, ich wünsche dem neuen Kreistag: Mut, Zuversicht, Fortune und Gottvertrauen! Er wird es brauchen können! Ich habe fertig.
Die Fragen stellte Cordula Homann, Bild: Karl Aumiller/Archiv